# taz.de -- Kameruner im Freiwilligendienst: Unter Deutschen | |
> Internationaler Austausch findet fast nur in Nord-Süd-Richtung statt. Ein | |
> Lehrer kam aus Kamerun, um bei einer NGO in Berlin zu arbeiten. | |
Bild: „Weltwärts“, nur andersrum: Dzebam Godlove kam im Rahmen eines Austa… | |
BERLIN taz | Für den Besuch im Ethnologischen Museum hat Dzebam Godlove | |
seine Ampelmann-Mütze gegen eine traditionelle schwarze Kappe getauscht. | |
Das Museum in Berlin-Dahlem beherbergt viele Objekte aus den Grasslands von | |
Kamerun, der Heimat von Dzebam Godlove. Er staunt. „Ich bin ja so | |
enttäuscht“, sagt er dennoch. Denn Ngonso, die königliche Urahnin seines | |
Volks, ist nicht zu sehen. Da kreuzt ein Museumsmitarbeiter seinen Weg. | |
Glückliche Fügung, Jonathan Fine ist Kurator der Afrikanischen Sammlung. | |
Die Figur befinde sich im Depot des Museums, erklärt er. | |
Dzebam Godlove gehört dem Volk der Nso an – einem von etwa 250 Stämmen in | |
Kamerun. Und Ngonso, die Begründerin der Nso-Dynastie, befindet sich hier | |
im Ethnologischen Museum. Aber eigentlich ist Dzebam Godlove, 24 Jahre alt, | |
nicht wegen seiner Wurzeln in Berlin, sondern weil er die Deutschen | |
kennenlernen will: Der Kameruner absolviert hier ein freiwilliges soziales | |
Jahr. | |
Auf dem Schreibtisch in seinem Zimmer in Berlin-Moabit hängt eine | |
Deutschlandfahne – die EM ist gerade vorbei – und darüber ein Zettel: | |
„Attitude is everything, so I Dzebam Godlove pick out the right one.“ Die | |
innere Einstellung zu sich selbst, Haltung ist wichtig; Dzebam Godlove | |
Ayaba Bongnwa hat die richtige. Selbstbewusst, neugierig und kommunikativ, | |
so beschreiben ihn seine Gastgeschwister. Er ist der Erste seiner Familie, | |
der Europa besucht. „Ich werde eine Respektsperson sein“, sagt er. Sein | |
Freiwilligenjahr geht zu Ende, am 13. August fliegt er nach Kamerun zurück. | |
## Ein Privileg, das in Nord-Süd-Richtung gewährt wurde | |
Die Teilnahme am „Weltwärts“-Projekt ist ein Privileg, das bislang vor | |
allem in Nord-Süd-Richtung funktioniert. Seit 2013 aber kommen auch | |
Freiwillige aus Partnerländern nach Deutschland. Dzebam Godlove ist über | |
„Brot für die Welt“ hier. „Ich wollte schon immer nach Deutschland“, s… | |
er. „Ich wusste nur nicht, wie.“ | |
Verbindungen zu Deutschland hat er viele: Seine Eltern sind Pfarrer und | |
leben in Bamenda, der anglofonen Hauptstadt von Nordwestkamerun. Sie | |
gehören der Presbyterian Church an, die während der Kolonialzeit Teil der | |
Basler Mission war. Sein Vorname sei in Kamerun keineswegs selten, | |
versichert Godlove. Ab 1884 war Kamerun deutsche Kolonie, 1919, nach dem | |
verlorenen Ersten Weltkrieg, wurde sie den Briten und Franzosen | |
zugeschlagen. Über seine Eltern lernte er deutsche Missionare kennen, „die | |
ersten Weißen, die ich je sah“, auch wenn er selbst nicht Pfarrer werden | |
will. „Da muss man Vorbild sein.“ Zu viele Verbote, zu viele | |
Verpflichtungen. | |
Im Gespräch springt er zwischen Deutsch und Englisch. Der Start im Juli | |
2015 war hart. Zwei Monate Sprachkurs in Bochum, dann fährt er nach Berlin. | |
Merle und Mirko von Bargen, seine Gastgeschwister, erzählen, wie sie ihn am | |
3. Oktober vom Bahnhof abholen wollten und eine Neonazi-Demo dies fast | |
verhindert hätte. Die Flüchtlingswelle war noch nicht abgeebbt, die | |
Stimmung aufgeheizt. | |
„Ich habe das mit meiner Hautfarbe verbunden“ | |
Oft wird Dzebam Godlove für einen Flüchtling gehalten. Nur einmal gab es | |
einen Moment, in dem er nach Hause wollte. Zwei Wochen war er da in Berlin, | |
er suchte eine Adresse, niemand wollte ihm helfen. „Ich habe das mit meiner | |
Hautfarbe verbunden. Und ein bisschen mit der deutschen Kultur.“ Heute sagt | |
er, dass er sich in Berlin freier fühle als in der Hauptstadt Yaoundé. „In | |
Kamerun haben wir Tribalismus, das ist schlimmer als Rassismus.“ | |
Gegen diesen engagiert er sich bei „Solidaritätsdienst International“ (Sodi | |
e.V.). In der in Lichtenberg ansässigen NGO leistet er seinen | |
Freiwilligendienst. Er gibt Workshops in Schulen, macht interkulturelles | |
Theater, dreht einen [1][Film] für das Projekt [2][„Draufsicht“]. Er hat | |
den Einsatzbereich gezielt gewählt: Als Lehrer sucht er pädagogische | |
Anstöße. Sein Mentor bei Sodi, Daniel Weyand, sagt: „Es hat gut gepasst. Er | |
ist sehr selbständig. Für uns ist die Arbeit der Freiwilligen mindestens | |
genauso ein Gewinn wie umgekehrt.“ | |
An einem Sonntagabend im Juli ist fast die ganze Gastfamilie um den Tisch | |
versammelt. Zehn Monate hat Godlove bei Sabine und Henning von Bargen | |
gewohnt. Sie arbeitet bei Brot für die Welt, er für die | |
Heinrich-Böll-Stiftung. Nur Merle, die jüngste ihrer vier Kinder, die | |
gerade Abi gemacht hat, lebt noch bei ihnen. „Merle ist mein Tagesmanager“, | |
neckt Godlove sie, „jeden Tag hat sie gefragt: Und, was hast du heute | |
gemacht?“ Anfangs fühlte er sich unter Druck, große Erklärungen abzugeben. | |
Dabei wollte sie ihn nur zum Deutschsprechen animieren. | |
„Weiße Frau“ und „Schwarzer Mann“ | |
Es gab kleine Irritationen, die sie humorvoll aus dem Weg zu räumen | |
versuchten. Sabine von Bargen wollte nicht „Mama“ genannt werden, seither | |
ruft Godlove sie „Weiße Frau“ und sie ihn „Schwarzer Mann“. Beim Früh… | |
Zeitung lesen statt zu reden – das irritierte ihn. Er traute sich nicht zu | |
essen, in Kamerun beginnt man nicht vor dem Gastgeber. Irgendwann sprach er | |
die Situation dann doch an. In Kamerun sei das Generationenverhältnis | |
anders, meint Godlove: „Bei uns kritisieren die Eltern die Kinder, nicht | |
umgekehrt.“ | |
Die von Bargens und Godlove haben zusammen Weihnachten gefeiert und Ferien | |
gemacht. Das ist keine Pflicht, sie wollten das so. „Wir haben ihn auch mit | |
zu Verwandten genommen“, sagt Henning von Bargen. „Da musste er durch.“ An | |
diesem Sonntagabend gibt es von den jungen Leuten selbstgemachte Hamburger. | |
Dzebam Godlove mag Fleisch, am liebsten Döner. „Jedes Mal sagt er 'ach’, | |
wenn er auf die Waage steigt“, zieht ihn Merle von Bargen auf. Eins seiner | |
deutschen Lieblingswörter. | |
Für die von Bargens war das Jahr mit Godlove eine gute Erfahrung. „Er fragt | |
einem Löcher in den Bauch“, sagt Sabine von Bargen. „Er will wissen, warum | |
wir für bestimmte Dinge so viel Geld ausgeben“, sagt Tochter Merle. Einen | |
Teil der 200 Euro Taschengeld hat Godlove nach Hause geschickt. Die von | |
manchen geäußerte Kritik, die Freiwilligen würden ausgebeutet, teilt er | |
„überhaupt nicht“. „Ich konnte mich ein Jahr lang entwickeln.“ Er wei�… | |
von anderen Freiwilligen, denen es schwerfällt, sich zu beklagen, wenn | |
etwas schiefläuft. Godlove hat Gewaltfreie Kommunikation gelernt und weiß, | |
wie man Workshops betreut. Bald wird er als Lehrer im Kindergarten | |
arbeiten. „Es ist wichtig, dass wir in unserem Land unsere Erfahrungen | |
weitergeben.“ | |
Der Thron von Ngonso | |
Beim zweiten Besuch im Museum trifft er den Kurator der Sammlung. Dzebam | |
Godlove trägt ein traditionelles hellblaues Gewand. Jonathan Fine wickelt | |
das hölzerne, mit Kaurimuscheln verzierte Objekt – eine aufrecht sitzende | |
Frau in Gestalt eines Stuhls – aus dem Papier. Dzebam verbeugt sich dreimal | |
und klatscht in die Hände, jedes Mal gefolgt von einem Räuspern – der | |
zeremonielle Gruß. „Don’t touch“, sagt er. Es handele sich um den Thron … | |
Ngonso, verehrt als Vermittlerin zwischen den Lebenden und Gott, erklärt | |
Godlove. Zum Sitzen sei der Thron aber zu klein, bemerkt Fine. Er notiert, | |
was der Kameruner sagt. Der Thron diene der traditionellen Rechtsprechung, | |
sagt dieser, durch Handauflegen der streitenden Parteien. Wer lügt, stirbt. | |
Ob er daran glaubt? „Ja“, sagt Godlove, auch wenn ihn seine christliche | |
Mutter von den Nso-Traditionen fernhielt. | |
Wie die Figur in den Besitz des Museums kam, ist unklar. Es gibt nur einen | |
Eintrag in den Archivbüchern: erworben 1902, durch Curt von Pavel. Ob der | |
damalige Kommandeur der deutschen „Schutztruppe“ in Kamerun sie durch | |
Schenkung, Diebstahl oder Handel erlangte, ist nicht bekannt. Daher wurde | |
der Thron auch aus der Ausstellung genommen. Eine Rückgabeforderung des | |
Fons von Nso, also des heutigen Königs, steht im Raum, über die noch nicht | |
entschieden wurde. | |
Für Godlove ist dies ein besonderer Tag. Er hat Ngonso gesehen, er konnte | |
dem Kurator weiterhelfen. Sie tauschen Mailadressen. Ein Austausch auf | |
Augenhöhe. Godlove ist im postkolonialen Diskurs zu Hause. Er sagt gern | |
Sätze wie: „I believe in sharity instead of charity.“ Teilen statt Almosen. | |
Oder: „When you change the way you see things you see things change.“ Zu | |
Hause wird er sie neu anwenden müssen. „Es geht darum, Stereotype zu | |
hinterfragen“, hat er anfangs gesagt. Klischees von Europa in Afrika und | |
umgekehrt. „Europa ist kein Eldorado“, sagt er. | |
Dass Deutsche gut organisieren und gern Bier trinken, dieses Klischee hat | |
sich für ihn bestätigt. Aber anders, als er dachte, anders als Kameruner, | |
die auch gern Bier trinken, sind sie dabei nicht laut. Und in ihrer | |
Freizeit gehen Deutsche gern spazieren, darüber staunt er heute noch, | |
einfach so, ohne Ziel. | |
Dzebam Godlove hat Ziele. Und er liebt Sprüche. Auf seinem Schreibtisch | |
hängt ein weiterer Zettel. „Ich bin erfolgreich. Ich bin reich. Ich bin | |
begabt. Ich bin ein Bestsellerautor.“ Auf die richtige Haltung kommt es an. | |
12 Aug 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://youtu.be/dYOC97YxiUo | |
[2] http://www.draufsicht.org | |
## AUTOREN | |
Sabine Seifert | |
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