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# taz.de -- Sommerreise des Vizekanzlers: My home is my Goslar
> Ein hässlicher Karstadt, ein Bier namens Gose, ein entspannter SPD-Chef:
> Wer mit Sigmar Gabriel durch Goslar läuft, lernt einiges über ihn
Bild: Der SPD-Chef in seiner Heimatstadt
Sigmar Gabriel sei in Goslar ein anderer Mensch als in Berlin, sagen Leute,
die ihn gut kennen: freundlicher, nahbarer, menschlicher, kein Vergleich
mit dem schroffen Gabriel, der oft in Berlin zu erleben ist.
Hm. Mal sehen. Das klingt, als könne ein Spaziergang mit dem
SPD-Vorsitzenden durch seine Heimat im Harz interessant werden.
„Tach zusammen!“ Sigmar Gabriel, 56, schlendert von der Audi-Limousine zu
den zwei Dutzend wartenden Journalisten herüber. Neben ihm ragt das 1.000
Jahre alte Kaiserhaus mit seinen Rundbogenfenstern empor, im Tal liegt die
Altstadt von Goslar mit ihren spitzen Schieferdächern. Vor ein paar Stunden
hat Gabriel seine Tochter Marie von der Kita abgeholt, jetzt erzählt er,
wie er sich in dem 50.000-Einwohner-Städtchen politisierte.
Dort auf dem Parkplatz, sagt Gabriel, habe er zum ersten Mal in seinem
Leben demonstriert – gegen Franz Josef Strauß. Ein paar Hundert Linke gegen
das CSU-Urvieh und Tausende Anhänger. Die Bonner SPD-Spitze drohte
demonstrierenden Sozis damals mit Parteiausschluss, weil sie Eierwürfe und
böse Presseberichte fürchtete. Gabriel störte das nicht wirklich.
## Gabriel und Goslar, das gehört zusammen
Lässig steht er da in Jackett, Poloshirt und Kordhose, die Gesichtsfarbe so
gesund, als habe er ein halbes Jahr als Eisverkäufer an der Adria
gearbeitet und nicht nur ein paar Tage Urlaub auf Amrum und Sylt hinter
sich.
Gabriel und Goslar, das gehört zusammen, dieser Eindruck stellt sich sofort
ein, wenn man ihm zuhört. Hier wuchs er bei seinem autoritären Vater auf,
einem überzeugten Nazi. Hier zog er später zur Mutter, die er verehrt. Der
Vater, Kommunalbeamter, kam aus Schlesien nach Goslar, die Mutter,
Krankenschwester, aus Ostpreußen. Der SPD-Chef und Wirtschaftsminister
stammt aus einer Flüchtlingsfamilie. Hier trat er den Falken bei, dann der
SPD – und holte schon mit 31 Jahren ein Direktmandat für den Landtag.
„Außer Ärger in Veranstaltungen habe ich damals nicht viel gemacht“, sagt
Gabriel. Er wartet eine Sekunde. „Diese Kontinuität zieht sich durch bis
heute.“ Gut gelaunt ist Gabriel zu erstaunlicher Selbstironie fähig.
Jetzt zeigt er mit der Rechten auf einen ehrwürdigen Sandsteinbau. Früher,
sagt er, sei das eine Kaserne der Bundespolizei gewesen. Aber damit sei es
lange vorbei, leider. „Die Union führt seit elf Jahren das
Bundesinnenministerium.“
## Gabriel wirkt tiefenentspannt – und rauflustig wie eh und je
Bam. Ein Sommergruß aus Goslar ins 270 Kilometer entfernte
Konrad-Adenauer-Haus. Die Bundespolizei hilft den Landespolizeien in
Notlagen, zum Beispiel bei Terroranschlägen – und bei ihr wurde in den
vergangenen Jahren gespart. Gabriel schaut, als könne er kein Wässerchen
trüben.
Der SPD-Vorsitzende wirkt nach seinem Urlaub und vor dem Start in die
politische Saison tiefenentspannt, mit sich im Reinen. Und Gabriel ist
rauflustig wie eh und je. Ob das etwas mit Goslar zu tun hat, sei
dahingestellt, bemerkenswert ist es in jedem Fall.
Gabriel, der hinter seinem robusten Auftritt dünnhäutig ist, ging in den
vergangenen Monaten durch tiefe Krisen. Erst die [1][74-Prozent-Klatsche]
auf dem SPD-Parteitag im Dezember, dann die katastrophalen Wahlergebnisse
in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg. Damals, sagen Genossen, habe der
SPD-Chef überlegt, ob er noch der Richtige für den Job sei.
Auch das, was im September auf Gabriel zukommt, ist – milde ausgedrückt –
wenig erfreulich. Das [2][Oberlandesgericht Düsseldorf] stoppte die
Ministererlaubnis, mit der Gabriel die Fusion von Kaiser’s Tengelmann mit
Edeka befürwortete. Die Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin könnten
für die SPD desaströs enden. Und dann wäre da noch der Parteikonvent zu
Ceta, auf dem Gabriel seine skeptische SPD vom Freihandel überzeugen will.
## Berliner 18-Stunden-Tage und Alltag in Goslar
Gabriel lehnt am Holzgeländer der Terrasse der Berggaststätte Maltermeister
Turm, über ihm rauschende Birkenblätter, unten seine Stadt. Er erzählt von
dem Wahnsinn, Berliner 18-Stunden-Tage mit etwas Alltag in Goslar zu
verbinden. Im Schnitt schaffe er es zweimal im Monat, seine Tochter von der
Kita abzuholen. Oft lasse er sich nachts noch aus Berlin nach Hause fahren,
nur um mit Frau und Tochter morgens frühstücken zu können.
„Als Politiker bewegst du dich in einem unsichtbaren Dreieck. Du sprichst
mit anderen Politikern, mit Lobbyisten und mit Medien. Es gibt Leute, die
verwechseln dieses Leben mit Deutschland.“ Für seine Freunde hier, sagt
Gabriel, sei Fußball im Zweifel wichtiger als Politik.
Goslar ist sein Anker im bundesdeutschen Alltag. Das Städtchen wirkt wie
ein Substrat westdeutscher Normalität, dort gibt es das Eiscafé Galileo,
einen hässlichen Karstadt aus den 70ern und einen Laden für
Modelleisenbahnen. Goslarer begrüßen sich mit „Moin“ oder „Na, alles gu…
und trinken ein Bier namens Gose, dem etwas Salz und Koriander beigemischt
ist.
Das Verhältnis der SPD zu ihrem Chef ist wie dieses seltsame Getränk.
Bitter, prickelnd, nicht leicht zu fassen. Manche stören sich an seinem
Kurs, seiner Skepsis gegenüber linker Steuerpolitik, seinem Ja zu TTIP und
Ceta. Gleichzeitig bewundern sie seinen Instinkt und seine Fähigkeit, einen
Parteitag um den Verstand zu reden. Gabriel plädierte in der
Flüchtlingspolitik von Anfang an, der Staat müsse mehr für die Alltagsnöte
der Deutschen tun, was sich im Nachhinein als klug erwies.
Jetzt hält ihm ein Fernsehreporter das Mikro hin. Wie sieht es aus mit der
Kanzlerkandidatur? Anfang des Jahres gebe es einen Namen, sagt Gabriel. Im
Mai werde der Kandidat offiziell gewählt. „Bis dahin versuche ich der Frage
aus dem Weg zu gehen – mit mehr oder weniger Erfolg.“
## 2017 gegen Merkel?
Viel spricht dafür, dass er sich inzwischen entschieden hat. Er selbst will
2017 gegen Merkel antreten. Er machte seinen Sprecher zum
Kommunikationschef des Willy-Brandt-Hauses. Er organisierte einen
Wertekongress und stritt sich auf [3][offener Bühne mit einer Putzfrau].
Gabriel, der früher versuchte, die SPD in die Mitte zu rücken, setzt
zunehmend auf einen linkeren Sound. In der Edeka-Tengelmann-Causa schaltete
er sofort in den Angriffsmodus, weil er ahnt, dass ihm die Sache gefährlich
werden kann.
Vor allem aber müht sich Gabriel derzeit auffällig, als Mensch sichtbarer
zu werden. Seine Beliebtheitswerte sind bescheiden. Deshalb gibt er der
Bunten zusammen mit seiner Frau Anke, einer Zahnärztin, ein Interview.
Deshalb spricht er im Zeit-Magazin über die Anstrengung, das Vatersein mit
Politik zu verbinden. Auch der Besuch in Goslar ist ein Versuch, eine
persönliche Note hinzuzufügen.
Die SPD ist eine melancholische Partei mit komplexen Befindlichkeiten.
Gabriel aber kann sehr schroff, überheblich und ungeduldig sein. Seine
Sprunghaftigkeit ist längst zum Klischee geronnen. Manchmal ist sie der
Versuch, verschiedene Wählermilieus zu bedienen, manchmal wird seine
Kodderschnauze falsch interpretiert. Aber manchmal stimmt das Klischee
auch. Gabriel ersinnt neue Masterpläne so schnell, wie andere Sozis eine
SMS tippen.
Sie werden mit ihm leben müssen, zumindest bis zur Wahl. Damals in Goslar
gaben die Genossen dem 31-Jährigen den Wahlkreis übrigens nur, weil sie
dachten, er habe keine Chance. Gabriel gewann. Gegen Merkel wird er
vielleicht keine Chance haben, aber, und das ist wichtig für ihn: Er hat es
dann zumindest versucht.
5 Aug 2016
## LINKS
[1] /Gabriel-auf-dem-SPD-Parteitag/!5257005/
[2] /Tengelmann-Uebernahme-durch-Edeka/!5322559/
[3] /Sigmar-Gabriel-und-die-SPD/!5299484/
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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