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# taz.de -- Vorurteile über den Iran: Solidarität Teheran-Style
> Iranische Männer kritisieren die Schleier-Pflicht für Frauen.
> Überraschung! Da leben nicht nur dschihadistische Teppichweber.
Bild: Wird das „Nicht ohne meine Tochter“-Land jetzt etwa liberaler? Ja und…
Die Welt nähert sich stückchenweise ihrem Untergang. Überall brennt die
Hütte und rechte Gewalt vermehrt sich, oder zumindest ihre Sichtbarkeit –
außer im Iran.
In Deutschland ist man es gewohnt, aus diesem Land nur schlechte
Nachrichten zu hören; über Todesstrafen für schwule Männer und Überlebende
sexualisierter Gewalt, Verhaftungen von ein paar Leuten, die einfach nur
ein Video zu Pharrell Williams’ „Happy“ veröffentlichten,
Atombombengerüchte und die Frage, ob Musik dort nach islami(sti)schem
Gesetz nun erlaubt sei oder nicht.
Umso überraschter reagieren die Almans auf die Tatsache, dass Iraner_innen
nicht wirklich korantreue Dämonen sind, die mehr Freude an blutigen
Gesetzen und von Kinderhand gewebten Seidenteppichen als vermeintlich
westlichen Phänomenen wie Freiheit oder Spaß haben.
Gleich zwei Meldungen brachten dieses Bild in den letzten Tagen ins Wanken:
Die ultrakonservative Zeitung Ya Lessarat hatte sich im Juli über die
„freizügigen“ Outfits der Künstlerinnen auf dem roten Teppich des
„Hafez-Festivals“ echauffiert. „Wer ist ein Zuhälter?“, fragte der Aut…
bereits im Titel und beschämte die männlichen Angehörigen der
Filmemacherinnen, die ihre Ehefrauen, Töchter und Schwestern so gekleidet
in die Öffentlichkeit ließen.
Die Männer reagierten auf sozialen Medien umgehend solidarisch mit ihren
Genossinnen und schrieben zum Beispiel: „Wenn Zuhälter bedeutet, dass ich
nicht der Ansicht bin, meine Mutter, Schwester, oder Partnerin
kontrollieren zu dürfen – dann bin ich in der Tat einer.“ Oder: „Wenn ein
Zuhälter jemand ist, der seine Frau respektiert, dann bin ich stolz darauf,
einer zu sein.“
## Zeitung dicht gemacht
Es blieb allerdings nicht bei Positionierungen innerhalb der Gesellschaft,
sondern auch der Staat reagierte mit einem gerichtlichen Verfahren wegen
Verstoßes gegen das Presserecht und schloss die Zeitung.
Für uns in Deutschland erscheint dieser Umgang nahezu revolutionär, zumal
wir es hierzulande von Männern eher gewöhnt sind, bei Sexismusdebatten
darüber zu nörgeln, dass ihre Rechte gefährdet seien und das Land nun
aussterben werde, da es quasi nicht mehr möglich sei zu flirten.
Unterstützend verhalten sie sich selten.
Im Iran hingegen schon, dort legten die Männer nämlich mit einer weiteren
Kampagne nach: #MenInHijab. Sie veröffentlichten Fotos von sich im
Schleier, meistens neben einer Frau ohne, und kritisierten die seit 1979
geltende Hidschab-Pflicht des Regimes. Damit unterstützen sie die von
Feminist*innen gestartete Kampagne „My Stealthy Freedom“, bei der Frauen
sich ohne ihr Kopftuch fotografierten und das Bild anonym hochluden.
## Positive Entwicklungen
Wird das „Nicht ohne meine Tochter“-Land jetzt etwa liberaler? Ja und nein.
Die jüngsten Entwicklungen waren tatsächlich eher positiv. Im Parlament
sitzen 17 Politikerinnen, das sind nur 6 Prozent, aber mehr als je zuvor.
Als ich in diesem Jahr nach neun Jahren wieder vor Ort war, war ich nicht
die einzige Person, die die Dating-App „Tinder“ nutzte, in linken Cafés
rumhing und auf Partys ging. Selbst mein Opa konnte mit dem Begriff
„Feminismus“ etwas anfangen und würde sich sogar selbst als Feminist
bezeichnen. Unter meinen Alman-Friends können das wenige von ihren eigenen
Familien behaupten.
Ja, das Rechtssystem ist korrupt, wie übrigens in fast allen Ländern auf
der Welt. Weder in den USA noch in Deutschland geht die Vorstellung von
Gerechtigkeit mit ihrer praktischen Umsetzung einher. Und konservativ sind
immer noch große Teile der Gesellschaft. Aber auch das ist gerade eher ein
universelles Problem – da helfen arrogante Haltungen niemandem.
3 Aug 2016
## AUTOREN
Hengameh Yaghoobifarah
## TAGS
Schwerpunkt Iran
Feminismus
Männer
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