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# taz.de -- Interview zu "Women Without Men": "Das war wie ein Schock"
> "Women Without Men", das Spielfilmdebüt der exiliranischen Künstlerin
> Shirin Neshat, führt zurück in die 50er Jahre. Ein Gespräch über die
> unvorhergesehene Aktualität und eine vergessene Demokratie.
Bild: Die junge Prostituierte Zarin (Orsi Tóth) am Schminktisch. "Es gibt nich…
taz: Frau Neshat, weshalb dreht man als bildende Künstlerin plötzlich einen
Spielfilm?
Shirin Neshat: Weil man sich immer wieder neu erfinden muss. Ich wollte
einen Film drehen, weil mich es mich gereizt hat, narrativer zu arbeiten,
Motive und Themen meiner vorherigen Arbeiten in eine Geschichte
einzubetten.
Und warum wählen Sie einen Roman zur Vorlage, dessen Handlung ein halbes
Jahrhundert zurückliegt?
Wegen seines Stils, des magischen Realismus. Als Exilantin ist mir der
Zugang zu einer realistischen Darstellung verwehrt. Ich kann nun mal keinen
wirklichkeitsgetreuen Film über den Iran drehen, weil ich nicht dort lebe.
Deshalb ist der magische Realismus die perfekte Ausdrucksweise für mich.
Sozusagen ein anderer Weg zur Wirklichkeit meines Landes. Auch folgt das
Buch wie auch meine Kunst einer konzeptuellen Idee. Durch den Garten wird
die Geschichte allegorisch, er ist ein universeller metaphorischer und
mystischer Raum. Die Stadt Teheran hingegen ist ein realistischer Ort. Wir
haben sehr viel Mühe verwendet, die Zeit und die Stimmung Anfang der
fünfziger Jahre zu rekonstruieren. "Women Without Men" will ja durchaus
einen Blick in die Historie werfen, von Fakten berichten. Es ist diese
Spannung zwischen konkreter Erzählung und abstrakter Überhöhung, die mich
beim Lesen von Shahrnush Parsipurs Roman regelrecht fasziniert hat.
1953 war ein Wendepunkt in der Geschichte des Iran. Was kann man von dieser
Zeit lernen?
Kulturell und politisch war es eine sehr bewegte Ära. Kulturell, weil der
Iran damals sehr kosmopolitisch, sehr modern orientiert war, zumindest in
den Städten lebte eine mehr oder weniger säkularisierte Gesellschaft. In
meinem Film diskutieren Männer und Frauen über den Existenzialismus. Man
war damals sehr offen für künstlerische und intellektuelle Bewegungen. Aber
auch für modische Fragen. Man muss sich nur anschauen, wie elegant die
fünfzigjährige Filmfigur Fakhri gekleidet ist, welche Kostüme sie trägt. In
solchen Details wird die Textur einer Epoche spürbar, daher haben wir sehr
genau, zum Beispiel in Modezeitschriften jener Jahre, recherchiert. Der
Staatsstreich hat diese Gesellschaft aber wieder in einen anderen Zustand
zurückkatapultiert. Der Westen hat diese Periode aus den Augen verloren,
genauso wie viele Iraner. Aber es gab einmal den Beginn einer Demokratie im
Iran!
Warum wurde diese Zeit aus dem Gedächtnis verbannt?
Im Iran scheint es ein Tabuthema zu sein, über diese demokratischen
Aufbrüche zu reden. Bei uns zu Hause wurde jedenfalls nie darüber
gesprochen. Als ich begann, für den Film zu recherchieren, fing ich mit
Gesprächen im Familienkreis an. Zunächst stieß ich auf eine Wand des
Widerstands. Denn nachdem der Schah wieder an der Macht war, hat seine
Geheimpolizei nicht nur Kommunisten verfolgt, sondern auch
Mossadegh-Anhänger. Mit brachialer Gewalt verfolgte man alle
Oppositionellen, unterdrückte jeden Widerstand, Exekutionen waren an der
Tagesordnung. Alle mussten sich ducken, deshalb wurden auch keine
Diskussionen über den Staatsstreich geführt. Die Menschen haben diese
Haltung über die Jahre einfach verinnerlicht. Als ich mit meinem Onkel, der
schon lange in den USA lebt, über dieses Thema reden wollte, zuckte er
regelrecht zusammen. Später fand ich heraus, dass er ein großer
Unterstützer von Mossadegh war.
Ihr Film wurde von den Ereignissen nach den Wahlen im Iran eingeholt.
Wieder gingen Menschen auf die Straße und demonstrierten für ihre
demokratischen Grundrechte.
Diese Aktualisierung der Filmbilder konnte niemand vorhersehen. Das war wie
ein Schock. Plötzlich wurde die politische Aktivistin Munis in meinem Film
mit Nada verglichen, die bei den Demonstrationen getötet wurde. Vielleicht
gleichen sich diese beiden jungen Frauen tatsächlich in ihrer Unschuld, in
ihrer unideologischen Haltung. Munis sagt ja auch den Satz, dass sich die
Geschichte immer wiederhole. Und zwar im negativen wie im positiven Sinn.
Denn in "Women Without Men" sollte die Geschichte auch Inspirationsquelle
sein, sollte zeigen, dass Generationen von Iranern bereits für ihre
Freiheit gekämpft haben, dass keiner im Kampf alleine ist, dass man sogar
in der eigenen Geschichte Brüder und Schwestern finden kann.
Von den Kämpfen ist in dem paradiesischen Garten, in dem sich die
Lebenswege Ihrer vier Heldinnen kreuzen, nichts zu spüren. Auch schon in
Ihren früheren Arbeiten wie "Tooba" zogen sich Menschen an einen solchen
Ort zurück. Welches Konzept steckt dahinter?
In persischen Gedichten ist der Garten, der Park, ein Ort der spirituellen
Ruhe, der Transzendenz. Ein Ort der Zuflucht, der Freiheit. "Tooba" ist ein
Baum im Paradies, ein weiblicher Baum. Diese Arbeit reflektiert das
Bedürfnis der Menschen, nach dem 11. September einen Ort des Friedens
aufzusuchen. Dieser Ort ist die Welt unserer Gedanken, ein mystischer Raum,
den wir uns selbst erschaffen. Wenn man ihn wie meine Filmheldinnen
aufsucht, kann man ein Gefühl der Freiheit erleben. Teheran bleibt in
"Women Without Men" hingegen die Außenwelt. Zunächst sieht man gar nicht,
dass der Garten eine Mauer hat, er scheint unbegrenzt. Wenn sich am Ende
die Tore öffnen und nicht klar ist, ob es die Armee ist, die sich Eintritt
verschaffen will, dann kann man diesen Moment auch wie eine Vergewaltigung
erleben. Denn der Garten hat seine ganz eigene Körperlichkeit.
Ist er ein Paradies ganz ohne religiösem Kontext?
Kann sein. In jedem Fall ist es ein Paradies, in dem ein von allem
abgelöster Zustand der Unschuld herrscht.
Verstehen Sie sich als Botschafterin der persischen Kultur, eines Islam,
der nicht politisch aufgeladen ist?
Ganz bestimmt. Man darf nie vergessen, dass jede muslimische Gesellschaft
ihre eigene Geschichte hat. In den Iran wurde der Islam von den Arabern
gebracht, er ist nicht unsere ursprüngliche Religion. Wir wurden gezwungen
zu glauben, haben dabei aber einen mystischen Islam erschaffen, der offen
für Sufismus, Poesie und Philosophie war. Von dieser Traditionslinie
handeln meine Arbeiten. Im Westen neigt man aber zur Verallgemeinerung. Ich
möchte diesen westlichen Blick nicht kritisieren, aber ich muss ihn ständig
korrigieren. Es mag sich banal anhören, aber Islam ist nicht gleich Islam!
Man sagt immer wieder, dass sich meine Arbeiten mit der Situation der Frau
in der islamischen Welt auseinandersetzen. Auch dagegen muss ich mich
verwahren. Es gibt nicht die eine islamische Welt. Ich würde mir doch nicht
anmaßen, über türkische oder ägyptische Frauen zu sprechen. In Ägypten
tragen viele Frauen den Schleier freiwillig, im Iran werden sie dazu
gezwungen.
Sie leben die längste Zeit Ihres Lebens im Exil, doch der Iran folgt Ihnen
…
Es gibt da dieses Sprichwort: "Sie können einen Iraner aus dem Iran nehmen,
aber sie können ihm niemals den Iran nehmen." Ich glaube, dass ich gerade
durch meine Exilsituation zur Künstlerin geworden bin. So kann ich mit
meinem Land, mit meiner Familie in Kontakt bleiben. Weil ich nicht
zurückreisen darf, werden meine Verzweiflung und Trauer immer größer. Da
diese Beziehung ungeklärt ist, bleibt der Iran meine Obsession. Und in
einem Land, das Kunst und Kultur nicht unterstützt, sondern in ihrer Essenz
bekämpft, hat man außerhalb als Künstler eine umso größere Macht. Deshalb
verstehe ich mich als Kulturbotschafterin. Es ist doch unsere Kultur, die
unser Ansehen retten kann.
1 Jul 2010
## AUTOREN
Anke Leweke
## TAGS
Schwerpunkt Iran
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