Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Inselbürgermeister mit Vergangenheit: Der Käpt’n von Hiddensee
> Gegen Thomas Gens flackerten Stasi-Vorwürfe auf, er war DVU-Mitglied,
> flog aus der CDU und gründete dann seine eigene Partei. Mit Erfolg.
Bild: Der Leuchtturm von Neuendorf. Die schönste Insel Deutschlands wird von d…
Kloster taz | Das Buchenholz brennt im Ofen. Die in mehreren Reihen
aufgespießten Filets von Dorsch, Makrele, Lachs und Heilbutt, die über
Nacht in einer Salzlake gelegen haben, müssen trocknen. Bei geöffneter Tür,
die nach 30 Minuten geschlossen wird, erst dann setzt der eigentliche
Vorgang des Räucherns ein. Worauf es dabei ankommt? „Auf Geduld“, sagt
Thomas Gens, „nicht zu heiß und lieber etwas länger.“
Jeden Morgen steht der Bürgermeister der Ostseeinsel Hiddensee auf seinem
rot-weißen Kutter im Hafen von Kloster und räuchert Fisch, den er ab halb
zwölf verkauft. Schräg gegenüber legt mehrmals täglich die Fähre aus
Stralsund oder Schaprode an, und nur die wenigsten Touristen, die um
Fischbrötchen anstehen, wissen, dass hier der Inselbürgermeister persönlich
verkauft. Ein Mann mit bewegter Vergangenheit und politischen Ambitionen –
über Hiddensee hinaus. Er will in die Landespolitik. Der ehrenamtliche
Bürgermeister der 1.000-Einwohner-Gemeinde Hiddensee, die zum Amt
West-Rügen und zum Landkreis Vorpommern-Rügen gehört, ist Chef der
„Achtsamen Demokraten / Die Hiddenseepartei“.
Thomas Gens, obwohl gelernter Hochseefischer, fährt schon lange nicht mehr
selber zum Fischen raus. 21 Haupterwerbsfischer hat die Insel noch,
erzählt er. Immer neue Verordnungen zerstörten die Küstenfischerei, die den
gleichen Auflagen unterliege wie die Industriebetriebe. „Sie haben keine
Lobby.“ Und schon ist man, während Gens die Brötchen aus dem Ofen holt, bei
seinem Kernthema: dem Irrsinn der Bürokratie, EU- und landesrechtlichen
Verordnungen, Gemeindefusionen, kommunaler Ohnmacht, Bürgerferne statt
Bürgernähe.
„Die Landesregierung deckelt“, sagt er, „den Nahverkehr, die Kitagebühre…
Schulen, Rettungsdienste. Und spart damit die Gemeinden kaputt.“
## Über den Horizont hinaus
Gens’ Minipartei, die etwa 50 Mitglieder zählt, tritt zu den Landtagswahlen
am 4. September an. Auch wenn sie die Fünfprozenthürde nicht annähernd
schaffen wird, könnte Gens in den Schweriner Landtag einziehen – per
Direktmandat. Denn in seiner Gemeinde ist der Mann trotz seiner politischen
Vergangenheit beliebt. 2014 wurde er mit 76,5 Prozent aller Stimmen ins Amt
wiedergewählt, bei 72 Prozent Wahlbeteiligung. Gens kann mobilisieren.
Über eine Länge von 17 Kilometern erstreckt sich Hiddensee, das wie ein
Seepferdchen der viel größeren Insel Rügen auf westlicher Seite vorgelagert
liegt. Kloster ist das kulturelle Zentrum der Insel, mit der alten
Inselkirche, dem Gerhart-Hauptmann-Haus, der kleinen Dorfstraße, wo die
Pferdekutschen mit den Touristen durchzockeln. Auf Hiddensee fahren keine
Autos.
Rund 50.000 Touristen zählt die Insel pro Jahr, davon 3.000 täglich in der
Hochsaison. Das ist vergleichsweise wenig – Rügen besuchen 1,3 Millionen.
Auf Hiddensee stehen keine Bettenhochburgen, es herrscht Baustopp, damit
die Insel mit ihren sanft hügeligen Heide- und Graslandschaften nicht
verschandelt wird.
„Eine Insel ist schon sehr speziell“, sagt Thomas Gens. „Dass man sich
kennt, ist ein Vorteil.“ Vor allem ist die Insel klein, weshalb sich viele
nicht äußern wollen zu ihrem Bürgermeister. Man hat sich arrangiert mit den
neuen Verhältnissen. Elf Mitglieder hat die Gemeindevertretung, die in nur
noch zwei Parteien organisiert sind. Denn als Thomas Gens 2009 die Wahl des
alten Bürgermeisters angefochten hatte und 2010 selbst Bürgermeister wurde,
löste sich die örtliche CDU auf und wurde zur Hiddenseepartei.
„Einen Akt moderner Piraterie“, nennt es Amtsvorgänger Manfred Gau, und der
Kapitän setzt trocken norddeutsch hinzu: „Wenn das die Mehrheiten so
wollen, dann ist das so.“
## Kraftvoller Redner der DVU
Der schmächtige Käpt’n von Hiddensee, Thomas Gens, macht auf seinem Kutter
einen jungenhaften, zurückgenommenen Eindruck. An diesem Tag trägt er ein
schwarzes Shirt, Arbeitsjeans und feste Schuhe, seine blonden Haare sind
zauselig vom Wind. Ganz anders als der junge Gens, der in einem vom
Regionalfernsehen ausgegrabenen Video auftritt: als kraftvoller Redner der
rechtsextremen DVU, der er ab 1998 etwa vier Jahre angehörte. Diese
Mitgliedschaft hatte Gens, der 2004 der CDU beigetreten ist, bei seiner
Kandidatur für den Landtag 2011 verschwiegen, weshalb ihn seine Partei
hinauswarf und der lokale Ortsverband ihm in die Verbannung folgte. Seine
Hiddenseepartei ist in der Gemeindevertretung deutlich in der Mehrheit.
Nicht weit vom Hafen steht eine schlichte Bauernkirche, die im 14.
Jahrhundert für die Bauern und Fischer der Insel errichtet wurde. Innen hat
ein Maler die Holzdecke mit einem blauen Himmel voller Rosen versehen,
draußen hebt sich der weiß getünchte Bau in der Sonne gegen das satte Grün
des angrenzenden Inselfriedhofs ab. Konrad Glöckner arbeitet hier als
Pfarrer. Als Seelsorger ist Glöckner für die ganze Insel zuständig; etwa
die Hälfte aller Hiddenseer ist noch Mitglied der Kirche. Es gebe eine Art
„Volksfrömmigkeit, die See fordert die Menschen auf tiefe Weise“, sagt er.
Der Pfarrer kam vor acht Jahren aus Greifswald auf die Insel. Er staunt
heute noch über die kleine Palastrevolution auf Dorfebene, die sich bald
nach seiner Ankunft ereignete: „Thomas Gens hat seine Vergangenheit
verleugnet.“ Dass die Loyalität zu Gens größer als die zur CDU sei „daf�…
fehlt mir das Verständnis“, sagt er.
Nicht nur die DVU hängt ihm nach, sondern auch der von seinen
Rechtsanwälten erfolgreich ausgetragene Streit mit dem NDR wegen einer
angeblichen Verpflichtungserklärung des jugendlichen Thomas Gens als
Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit. Gens hat stets bestritten.
Selbst gegen eine 16-jährige Schülerin, die ihn für die Schülerzeitung dazu
interviewt hatte, führte er einen Rechtsstreit.
Thomas Gens hat alle Krisen überstanden. Pfarrer Glöckner aber sagt: „Das
Kapital eines Politikers ist seine Glaubwürdigkeit. Die sollte man nicht
verspielen.“ Er glaubt, dass die Spannungen innerhalb der Gemeinde eher zu-
als abgenommen haben. „Gens’ Politikstil zeichnet trotz seiner Energie, die
er in das Amt steckt, eine das Inselklima belastende Enge aus. Hiddensee
ist eigentlich nur dann schön, wenn der Geist, der hier vorherrscht,
großzügig ist und auch die Leistungen und Meinungen anderer wertschätzt.“
## „Nicht links, nicht rechts – wir sind vorn“
Zwischen den Orten Vitte und Neuendorf blühen die Rosen in der Heide.
Touristen radeln auf schmalen Straßen und Trampfelpfaden über die Insel.
Kaum vorstellbar, dass Hiddensee voller Wahlplakate hängen könnte.
Vielleicht zählt auf einer Insel das Kommunale tatsächlich mehr, es gibt
kein Ausweichen, kein Umland. „Meine Arbeit muss überzeugen“ sagt Thomas
Gens. „Für mich ist immer Wahlkampf.“
Zu seiner DVU-Vergangenheit sagt er: „Darauf muss ich mich nicht reduzieren
lassen.“ Und zu der umstrittenen IM-Akte: „Das sehe ich sportlich.“ Er
spricht von Links-rechts-Schemata, die „überholt“ seien. Die Losung seiner
Partei lautet: „Nicht links, nicht rechts – wir sind vorn“.
Die „Achtsamen Demokraten / Die Hiddenseepartei“ verstehen sich auch als
Alternative zur Alternative für Deutschland (AfD). „Grundsätzlich ist es
gut, dass es sie gibt“, sagt Gens über die AfD. „Endlich ist das
Parteiensystem in Bewegung gekommen.“ Bisher habe die NPD von
Protestwählern profitiert. Das dürfte sich nun ändern. Allerdings ist er
zuversichtlich: „Unsere Kandidaten haben kommunale Erfahrungen und
Kompetenz.“ Und: „Wer Hiddensee regieren kann, kann auch woanders politisch
etwas bewirken.“
Gens hat seinen Brötchenverkauf um halb zwei pünktlich geschlossen,
zwischendurch hat seine Frau kurz vorbeigeschaut, nun bietet eine Kneipe am
Hafen Kaffee und eine geschützte Ecke zum Reden. Seit dem vergangenen Jahr
haben Die Achtsamen, wie sie sich selber nennen, auf dem Festland neue
Verbündete gefunden, darunter 17 – teils parteilose – Bürgermeister. „D…
sind auf uns zugekommen“, sagt Gens, „nicht umgekehrt.“ Die meisten seien
inzwischen Parteimitglied , darunter auch ein Ex-SPDler, ein Ex-Linker und
ein Ex-Pirat.
„70 Prozent aller Ausgaben gehen an die Verwaltung“, sagt Gens. „Ich möc…
wissen, wo das Geld unserer Gemeinde landet.“ Der Inselbürgermeister hat
Klage eingereicht beim Oberverwaltungsgericht gegen die Amtsumlage – eine
Art Länderfinanzausgleich auf kommunaler Ebene. Er hat eine
Machbarkeitsstudie für einen energieautarken Hafen im Ort Vitte erstellen
lassen, hat zwölf kommunale Wohnungen bauen lassen – damit junge Familien
bleiben.
Wenn Gens davon berichtet, blitzt der gewitzte Verwaltungsmann auf. Man
bekommt eine Ahnung, warum er vielen Insulanern imponiert. Weil er anpackt,
organisiert und einen Nerv trifft.
Eine politische Überzeugung oder Vision – beides ist bei Thomas Gens schwer
zu finden.
30 Jul 2016
## AUTOREN
Sabine Seifert
## TAGS
Hiddensee
Lesestück Recherche und Reportage
Rechtspopulismus
Robert Habeck
Nationalparks
Deutscher Buchpreis
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kite-Surfen im Naturschutzgebiet: „Nicht unsere Spielwiese zerstören“
Wie viel Sport verträgt das Wattenmeer? In Kiel verhandeln Kitesurfer und
Umweltminister Robert Habeck über eine Lösung für Natur und Freizeitspaß.
Nationalpark Boddenlandschaft: „Wildnis ist unsere Heimat“
Wenn man in der Vorpommerschen Boddenlandschaft nicht nur spazieren gehen
will, wandert man am besten mit einem Ranger.
Deutscher Buchpreis für Lutz Seiler: Hiddensee siegt im Inselduell
Das war zu erwarten: Den Deutschen Buchpreis 2014 erhält Lutz Seiler für
seinen poetischen, aber bisweilen auch ostnostalgischen Roman „Kruso“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.