# taz.de -- Innovatives Ausstellungsprojekt in Paris: Der Lockruf der Wildnis | |
> Die Ausstellung „Le grand orchestre des animaux“ in der Fondation Cartier | |
> in Paris macht uns mit den natürlichen Klangwelten der Erde bekannt. | |
Bild: Ansicht der Lichtinstallation von UVA für Bernie Krauses Steppen-Soundsc… | |
Wandfüllend laufen linkerhand leuchtend grüne Lichtlinien auf die Stirnwand | |
des Raumes zu, wo sie in die Form eines Sonagramms übergehen. Ein | |
permanentes hohes Sirren ist zu hören, ein leises rhythmisches Klappern, | |
ein Donnern und ja, jetzt hören wir es: Es regnet. Ein einzelner Vogel | |
keckert im Hintergrund. | |
Wir sind im Dschungel. Allerdings in seiner elektroakustischen Abstraktion, | |
wie sie das Londoner Büro United Visual Artists (UVA) für Bernie Krauses | |
„Grand orchestre des animaux“ entwickelt hat. Es tritt in dieser rasanten | |
audiovisuellen Installation von UVA nun der König des Regenwalds auf, der | |
Jaguar. Das ist in die grüne Lichtwand eingeblendet zu lesen. Der Jaguar | |
erhebt seine Stimme, und es hört sich wirklich an, als würde ein Bolide | |
durchstarten. | |
Wenig später tauchen wir in die großen Weltmeere ein. Im jetzt blauen | |
Lichtraum heulen Seehunde, schreien Möwen und wir hören das Blasgeräusch | |
eines Wals. Anders als im Februar 1990 im Amazonas nordöstlich von Manaus, | |
wo der Zeitraum zwischen Mitternacht und Sonnenaufgang auf der Tonspur | |
komprimiert ist, vereint die Ozean genannte Klanglandschaft mit ihren eher | |
seltenen Geräusche produzierenden Bewohnern Aufnahmen unter anderem aus | |
Hawaii (Buckelwal), Vancouver (Schwertwal) und Neuseeland (Pottwal). | |
Wir sind in Paris. In der Fondation Cartier, die sich vom bahnbrechenden | |
Werk des Musikers und Bioakustikers Bernie Krause zu einer | |
ausstellungstechnischen Pioniertat hat inspirieren lassen. Bis in das | |
nächste Jahr hinein kann man hier eine Reise in sieben verschiedene | |
nichthumane Tonwelten antreten wie die des Amazonas, des Ozeans oder der | |
großen Wälder der verschiedenen Nationalparks und Wildschutzreservate, | |
angefangen in der Zentralafrikanischen Republik über Simbabwe, Kanada und | |
die Tundra Alaskas bis nach Kalifornien. | |
## Beruhigende Tierstimmen | |
Die Reise entpuppt sich freilich als Meditationserfahrung. Deutlich spürbar | |
ist die Ruhe, die einen in dem mit Licht und Ton gefüllten Untergeschoss | |
der Fondation überkommt. Sie verdanke sich den Tierstimmen, sagt Bernie | |
Krause bei der Eröffnung des „Grand orchestre des animaux“. Die Tiere, so | |
seine These, hätten uns ohnehin das Singen und Tanzen gelehrt. Ihre | |
Arrangements und Rhythmen übernähmen die Eingeborenenstämme, wenn sie die | |
Klänge und Laute ihres Habitats imitierten, das ließe sich noch heute | |
beobachten. | |
Dass die natürliche Klangwelt selbst bei restlos urbanen, der Natur | |
entfremdeten Menschen Wohlgefühle auslöst, mag der Grund gewesen sein, | |
warum Bernie Krause dem Lockruf der Wildnis verfiel. Der 1938 in Detroit | |
geborene Musiker leidet an ADHS. Als er in den 1960er Jahren für Warner | |
Brothers Naturlaute aufnehmen sollte, wofür er sich in den Stadtpark von | |
San Francisco begab, fiel ihm auf, welches Glück er dort empfand. | |
Da hatte er schon erfolgreich als Studiomusiker beim Motown Label | |
gearbeitet und mit Paul Beaver den Synthesizer in die Popmusik eingeführt, | |
was zur Zusammenarbeit mit Band wie den Byrds und den Doors führte, später | |
mit Brian Eno oder David Byrne und zur Mitwirkung an den Filmmusiken unter | |
anderen von „Rosemary’s Baby“ und „Apocalypse Now“. | |
## Vom Pop zum Walgesang | |
Mitte der 1970er Jahre begann Bernie Krause erneut zu studieren und | |
promovierte in Bioakustik. Er interessierte sich nicht wie üblich für | |
einzelne Tierstimmen, sondern für den Klang des gesamten hörbaren | |
Lebensraums, den er mit drei Begriffen differenzierte. Und zwar in seine | |
Biophonie, also in die Lautäußerungen der Tiere, seine Geophonie, in die | |
Geräusche nichtbiologischen Ursprungs wie etwa Wind, Regen oder Feuer und | |
schließlich in seine Anthropophonie, in die vom Menschen verursachten Töne. | |
In der Wildnis hat Bernie Krause zufolge jede Stimme im gemeinsamen | |
Klangraum evolutionsbedingt ihre eigene akustische Nische, in der sie für | |
die Partnerfindung, die Revierverteidigung, das Spiel und die soziale | |
Kommunikation von den Artgenossen gehört werden kann. Die Stimmen der Tiere | |
verhalten sich dann wie die Instrumente im Orchester. Obwohl hörbar zu | |
unterscheiden, spielen sie doch zusammen. | |
Analog zu dieser These ist in der Fondation Cartier im Weiteren auch die | |
Ausstellung selbst aufgebaut. Neben dem experimentellen Klangraum des | |
„Grand orchestre des animaux“ findet das von der Tara-Stiftung initiierte | |
„Plankton Chronicles“-Projekt des Biologen Christian Sardet seinen | |
besonderen Raum. | |
Sardets Filmaufnahmen von den für das menschliche Auge unsichtbaren | |
Organismen, die die unglaublichsten Formen und Farben aufweisen, | |
inspirierten den japanischen Künstler Shiro Takatani zu einer | |
Videoinstallation. Begleitet von der Musik Ryuichi Sakamotos erstrahlen im | |
verdunkelten Raum die Einzeller-Schönheiten in einem je eigenen, im Boden | |
versenkten Bildschirm. Aber auch die traditionellen Medien Malerei, | |
Zeichnung, Fotografie und Film ergänzen und erweitern das große Orchester | |
der Tiere. | |
Ihre Nische markiert der warme Rotton der Backsteinwand, die die | |
mexikanischen Architekten Gabriela Carrillo und Mauricio Rocha durch das | |
Unter- und das Erdgeschoss zogen und die sie auch in den Außenraum | |
ausgreifen lassen, wo sie die kleine Hütte der großen Agnes Varda | |
miteinbezieht. Die Regisseurin, die für den distinkten Stil ihrer Filme | |
ebenso berühmt ist wie für deren soziale und feministische Anliegen, zeigt | |
darin ein ganz zauberhaftes Katzenvideo. | |
## Kamerafressende Bären | |
Entlang dieser roten Wand, egal ob auf ihrer Vorder- oder der Rückseite, | |
spielt dann das „Grand orchestre des artistes“: Mal sind die Künstler die | |
Vögel selbst, wie das Ornithologische Institut der Cornell University sie | |
im Film vorstellt, wenn sie mit ihrer ganze Gefiederpracht dem | |
Geschlechtspartner zu imponieren suchen; oder es ist der Bär, der Fotos zu | |
machen scheint. | |
Tatsächlich ist er gerade dabei die Kamera aufzufressen, die der japanische | |
Fotograf Manabu Miyazaki aufgestellt hatte, damit sie, per Bewegungsmelder | |
ausgelöst, Bilder von all den Lebewesen schießt, die einen bestimmten Weg | |
im Wald kreuzen – als da sind: Wiesel, Füchse, Katzen, Bären, kleine Kinder | |
und die Hinterteile erwachsener Menschen. | |
Auch die Verwesung eines im Sommer von Bären geschlagenen Hirsches hat | |
Miyazakis Kamera über den Herbst und Winter hinweg aufgenommen. Diametral | |
zu diesem Memento mori steht die farbenfrohe, detailverliebte Genauigkeit, | |
mit der die Maler aus dem Kongo, JP Mika, Moke und Pierre Bodo „Les bruits | |
de la nature“, „L’orchestre dans la forêt“ und das „Concert de la sa… | |
die Leinwand bannen. | |
Sichtbar haben die Nachkommen einstiger Urwald- und Regenwaldbewohner noch | |
immer einen sehr klaren bildhaften Begriff vom Zusammenspiel aller Elemente | |
ihres Lebensraums. Aber auch wir lernen in dieser Hinsicht wieder dazu. Das | |
zeigt die anspruchsvoll wie zugleich populär angelegte Ausstellung, deren | |
Anlass wie Thema nicht zuletzt unsere weltweiten Umweltsünden und | |
-verbrechen sind, das Artensterben und der Klimawandel. | |
In den mehr als 40 Jahren jedenfalls, in denen Bernie Krause nun mit seinen | |
teuren Spezialmikrofonen unterwegs ist, hat er sehr deutlich erfahren − und | |
auch dokumentiert –, wie unsauber das Orchester der Fauna spielt, sobald | |
die „Stimme“ der Flora gestört ist. Mit der verletzten Vegetation fallen | |
die in ihrer kommunikativen und reproduktiven Funktion beeinträchtigten | |
Tierstimmen aus und deutlich hörbar verarmt ihr zuvor großes Orchester. Im | |
Hintergrund der bunt und vielfältig zwitschernden, heulenden, röhrenden | |
Soundscapes lauert mehr denn je das 1962 von der Biologin Rachel Carson | |
beschworene Menetekel des „Stummen Frühlings“. | |
6 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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