# taz.de -- Zähes altes Lichtspielhaus: Geschichtsträchtiges Kiezkino | |
> Das „Apollo“ in Hannover-Linden ist das älteste noch aktive Kino in | |
> Norddeutschland. Es hat schon allerlei Branchenkrisen überlebt, und wurde | |
> kürzlich renoviert | |
Bild: Unangetasteter Saal: Das „Apollo“ nach der Aufhübschung | |
HANNOVER taz | Vergangenen Sonntag sind in Deutschland die meisten Kinosäle | |
leer geblieben: Es war einer der wenigen Sonnentage im bisher verregneten | |
Sommer. Und doch: In einem Kino in Hannover war die Abendvorstellung | |
ausverkauft. Dabei lief im „Apollo“ nur eine 45 Minuten lange Dokumentation | |
über die Gänge und Kanäle im Untergrund der Stadt – Titel: „Unter den | |
Straßen von Hannover“. | |
Viele Gäste wollten wohl eher sehen, wie ihr Kino nach der Renovierung | |
aussieht: Das Dach ist ausgebessert worden, Putz und Boden sind neu, die | |
Stühle auch, aber baulich wurde ansonsten nichts verändert. Dabei ist der | |
Raum als Kinosaal nicht ideal, es gibt ein Seitenschiff mit den Toiletten | |
darin – von einigen Plätzen aus kann oder muss man so sehen, wer gerade | |
aufs Klo geht und mit dem Öffnen der Tür für unerwünschten Lichteinfall | |
sorgt. | |
Ein Umbau des „Apollo“ wäre aber ein Frevel gewesen, schon weil der | |
Grundriss erkennen lässt, dass dies einst ein Tanzsaal war. Der wurde 1908 | |
zum Lichtspieltheater umgebaut – damit ist das Kino in Hannover-Linden das | |
älteste noch bespielte in Norddeutschland. | |
## Gleich zweifach bedroht | |
Dass Betreiber Torben Scheller in eine Renovierung investiert hat, ist ein | |
Zeichen dafür, dass es sich heute noch rechnet. Dies ist erstaunlich, denn | |
das „Apollo“ gehört gleich zwei bedrohten Arten der Kinolandschaft an. Zum | |
einen ist es ein Stadtteilkino, von denen die meisten längst in den | |
verschiedenen Strukturkrisen der Branche eingegangen sind. Und das „Apollo“ | |
ist ein sogenanntes „Nachspielkino“: Es zeigt Filme erst ein paar Wochen – | |
oder auch Monate – nach ihrem Starttermin. Dass die Verwertungszeit von | |
Filmen im Kino immer kürzer wird und die Studios sie meist schon bald als | |
DVDs oder Blue-Rays vermarkten wollen, gräbt gerade solchen Kinos seit | |
einigen Jahren immer mehr das Wasser ab. So musste etwa 2011 das lange für | |
seine niedrigen Eintrittspreise bekannte „City“ in Bremen schließen; in | |
seinen Sälen zeigt inzwischen das örtliche Kommunalkino sein Programm. | |
Im „Apollo“ in Hannover funktioniert das Konzept offenbar noch, das | |
beweisen auch die 44.455 zahlenden Besucher im vergangenen Jahr. Dies liegt | |
sicher auch daran, dass das Kino in Linden liegt, einem sehr lebendigen | |
Stadtviertel, das mit der Limmerstraße gar einen kleinen Boulevard mit | |
Kiosken, Kneipen und Läden hat. In Hannover „limmert man“, lungert also auf | |
der „Limmer“ herum, und so könnte es sicher schlechtere Adressen für das | |
„Apollo“ geben. Und anders als bei den Erstaufführungskinos, bei denen die | |
Verleiher auf möglichst viele und feste Abspielterminen bestehen, kann | |
Scheller auch vielseitiger das Programm gestalten, sodass im „Apollo“ jede | |
Woche viele verschiedene Filme im Angebot stehen. | |
Über die Jahrzehnte haben sich Hannovers Kinogänger in daran gewöhnt, dass | |
sie hier die letzte Chance haben, einen Film auf einer großen Leinwand zu | |
sehen. Scheller berichtet gar von Stammgästen, die eigens aus Hildesheim | |
oder Bad Pyrmont anreisen. Wie in allen guten Kinos haben sich über die | |
Jahre Rituale herausgebildet, etwa eine Vorstellung von „Harold and Maude“ | |
jeweils am Jahresende. Und am letzten Montag des Monats gibt es im „DESiMo | |
spezial Club“ Kleinkunst. | |
Übernommen hat Torben Scheller das „Apollo“ im Jahr 2002, bis dahin war es | |
stets im Familienbesitz: Über die Kaufmanns/ter Horsts, die das Kino fast | |
100 Jahre lang betrieben haben, ließe sich ein hannoversches | |
Buddenbrooks-Pendant schreiben. Von der Gründerin, Wilhelmine Kaufmann, ist | |
vor allem bekannt, dass sie selbst sich gar keine Filme angesehen hat. Für | |
das Kino begeisterten sich dann die angeheirateten ter Horsts, | |
Niederländer, die das Kino durch die Kriegszeiten brachten und durch das | |
erste Kinosterben Ende der 50er. | |
## Die Rettung: ein schüchterner Student | |
1973 stand es dann doch kurz vor der Pleite, denn auf dem Programm standen | |
vor allem „Schulmädchen-Report“ und andere Sex-Filme – und die spielten | |
auch alle anderen Kinos. Die Rettung brachte ein Student namens Achim | |
Flebbe, der schüchtern bei Besitzer Henk ter Horst nachfragte, ob er nicht | |
ein Programm mit den Filmen zusammenstellen dürfe, die seiner Meinung nach | |
zu selten gezeigt wurden. Der ältere Herr sah dies als seine letzte Chance: | |
Er ließ Flebbe machen, und das Apollo wurde – neben Gerd Settjes „Cinema“ | |
in Bremen und Werner Grassmanns „Abaton“ in Hamburg – eines der ersten | |
Programmkinos. Als erstes lief Stanley Kubricks „2001“, noch im gleichen | |
Monat folgten „Psycho“, „M.A.S.H“ und „Stille Tage in Clichy“. | |
Nach einigen Jahren eröffnete Flebbe selbst ein Kino in Hannover und wurde | |
später mit dem Cinemaxx-Konzern eine Zeit lang der mächtigste | |
Kinounternehmer Deutschlands. Das „Apollo“ war auch ohne ihn erfolgreich | |
und überstand 1981 sogar ein Feuer, bei dem der Kinosaal ausbrannte. Henk | |
ter Horst ließ es wieder aufbauen und dabei den historischen Stuck | |
freilegen, den lange eine Zwischendecke verdeckt hatte. Später wurden | |
moderne Kinosessel eingebaut, die Zahl der Plätze sank von 300 auf 200. Bei | |
der jüngsten Renovierung wurde an Stil und Atmosphäre des Saals nicht | |
gerührt, und so bleibt das „Apollo“ ein gemütliches Kiezkino, bei dem auf | |
dem Vorplatz ein Schild hängt: „Liebespaare bitte hier küssen“. | |
21 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
## TAGS | |
Programmkino | |
Sachsen-Anhalt | |
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