# taz.de -- Thriller „Die Mauer“ von Max Annas: Moses in der Falle | |
> Ein schwarzer Student huscht in eine Gated Community in Südafrika. Das | |
> Tor geht zu. Er kommt nicht mehr weg – und merkt, dass er verfolgt wird. | |
Bild: Kein Durchkommen | |
Was macht schwarze Männer verdächtig? Und wie kommt es, dass sie diesem | |
Verdacht viel zu häufig zum Opfer fallen? Max Annas spielt das in seinem | |
cleveren Krimi „Die Mauer“ mal von A bis Z durch, und zwar in Südafrika. | |
Dort soll eigentlich jetzt alles besser sein. Ist es aber nicht. Und das | |
liegt an der Trägheit des Rassenhabitus, unter anderem. Aber von Anfang an. | |
Da ereignet sich nämlich zunächst nur eine Autopanne, in einer auch heute | |
noch vorwiegend von Weißen bewohnten Gegend von East London, einer kleinen | |
Dienstleistungs- und Hafenstadt mit großem Mercedes-Benz-Werk am Indischen | |
Ozean. Auto kaputt, Telefon leer, flirrende Hitze: So fangen Horrorfilme | |
an. Der schwarze Student Moses, verschwitzt und verdreckt vom Umzug seines | |
Profs, dem er – nicht ohne was abzustauben – beim Bücherschleppen geholfen | |
hat, ahnt natürlich nichts. | |
Ihm fällt nur ein, dass hier ein Kommilitone wohnt, ein Bure, Japie oder | |
Janie, das weiß er nicht mehr genau, ein Unsympath, doch auch ein | |
potenzieller Helfer. Nicht ohne eine gewisse Vorsicht huscht Moses durch | |
das Gittertor der Gated Community vor seiner Nase. | |
## Hatz auf den mutmaßlichen Tsotsi | |
Das Gelände, gedacht als Schutzzone, versehen mit zahlreichen | |
Überwachungskameras, entpuppt sich für den jungen Mann schnell zu einer | |
bösen Falle. Denn drinnen hat das private Wachpersonal womöglich nur auf | |
jemanden gewartet, der sich derart gut als Freiwild eignet. Zumal das | |
Gerücht von Einbrechern die Runde macht. Zwei sind tatsächlich in der | |
Siedlung, ein Pärchen, Thembinkosi und Nozipho. Bis vor Kurzem, als | |
Thembinkosi arbeitslos wurde, waren die mehrfachen Eltern unbescholtene | |
Leute. | |
Schwarze, das merkt der Eindringling schnell, kommen hier ansonsten, auch | |
22 Jahre nach dem Ende der Apartheid, nur als domestic workers vor. Das | |
Eingangstor ist da längst wieder fest verrammelt, die zweieinhalb Meter | |
hohe eingrenzende Mauer mit ihren krönenden Elektrodrähten ein | |
unüberwindbares Hindernis. Die Hatz auf den mutmaßlichen Tsotsi, wie | |
Junggangster in Südafrika heißen, wird etwas mehr als zwei Stunden dauern. | |
Und wir sind live dabei, denn Annas erzählt in knappen, atemlosen Sätzen | |
und rasanten Perspektivwechseln in Echtzeit, auf 220 knackigen Seiten. Und | |
das geht nicht auf Kosten von Details oder einer plastischen Schilderung | |
von Szenerie und Konstellation, im Gegenteil. Für die Beschreibung der so | |
vieles entscheidenden Szene, in der sich Moses überlegt wegzurennen, weil | |
ein Weißer mit Shorts und Socken und Sandalen von der Statur eines | |
Rugby-Referees und dann noch zwei Männer mit Schlagstock und Taser auf ihn | |
zukommen, nimmt sich Annas drei Seiten lang Zeit. | |
Und was die Leser dabei in Moses’ Kopf zu sehen bekommen, sind eingedampfte | |
mindestens 100 Jahre Erfahrung mit Weißen in diesem Land plus eine | |
Unterstellung und fehlender Mut. Wie wäre es gewesen mit „Entschuldigen | |
Sie, mein Auto steht vor dem Tor, der Vergaser hat versagt …“? Moses kommt | |
es kurz darauf schon vor, als sei seine Flucht rein ins Straßen- und | |
Gärtengewirr des eingehegten Areals ein tragischer Fehler gewesen, auch | |
wenn es sich nicht anfühlt, als habe er eine Wahl gehabt. | |
So etwas schreibt man nicht nach einer Internetrecherche. Max Annas, zuvor | |
als Journalist unter anderem für Spex, Sachbuchautor und Filmkurator tätig, | |
hat eine Zeitlang am Ostkap gelebt und gearbeitet. Und er muss sehr genau | |
hingeschaut und zugehört haben. Schon sein furioser Krimi-Erstling „Die | |
Farm“, der die acht Stunden eines blutigen Überfalls auf eine abgelegene | |
Farm weißer Siedler und deren Verteidigung schildert, ist in dieser Gegend | |
angesiedelt. Und wie in die „Die Mauer“ ließ er auch da den Verhältnissen | |
des heutigen Südafrika einen Hyperrealismus angedeihen, der ihre Komik und | |
ihre Tragik, der das Absurde und Groteske daran sehr scharfstellt. | |
## Grauen der Vorzeit | |
Diesmal noch stärker als beim vorigen Mal hat Annas sich lustvoll bei den | |
großen Stilisten des Kinos bedient. Das Labyrinthmotiv und das vom | |
„falschen Mann“: bei Hitchcock geliehen. Ein zufälliger Doppelgänger, | |
harmlose Gauner (das Einbrecherpärchen), die in etwas viel Schlimmeres | |
hineingeraten, bei dem eine Kühltruhe eine Rolle spielt, ein verlorener | |
Geldkoffer, gefunden von einem extrem bedürftigen Unbeteiligten, und ein | |
finales Todesballett, dargeboten quasi in Zeitlupe: Da winken Sam | |
Peckinpah, Quentin Tarantino und die Coen-Brüder sehr deutlich aus den | |
Kulissen. | |
Wie das Verhältnis von Schwarz und Weiß hier geschildert wird, ist großes | |
Kino. Annas guckt literarisch unter die Haut. Was er da sieht, sind Reflex | |
gewordene Reaktionen auf Erfahrungen aus grauer Vorzeit, auf beiden Seiten. | |
Eigentlich müsste man sagen: Es waren mal gedankliche Verarbeitungen | |
sozialer Situationen, jetzt sind sie den Körpern gründlich eingeschrieben. | |
Das geht nicht so schnell wieder weg, braucht mehr, als einen weißen gegen | |
einen schwarzen Präsidenten auszutauschen. | |
Man tut Max Annas’ Thriller keine Gewalt an, wenn man nun plötzlich in | |
Dallas, Baton Rouge und St. Paul dieselben Einschreibungen am Werk sieht. | |
15 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Christiane Müller-Lobeck | |
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