# taz.de -- EMtaz: Die Spielweise Frankreichs: Effizienzmaschine mit kleinem Ma… | |
> Welch Ironie der Geschichte: Frankreich spielt derzeit so wie Deutschland | |
> früher. Die Tristesse des Post-Zidane-Jahrzehnts ist vorbei. | |
Bild: „Es ist eine große Geschichte, die Spieler haben Geschichte geschriebe… | |
Paris taz | Die größte Plage der Fußballrezeption ist der ständige Abgleich | |
mit der Geschichte. Ja, 1982 hat Frankreich mal in Sevilla ein | |
WM-Halbfinale gegen Deutschland verloren. Daraus wurde ein romantischer | |
Mythos. Nun hat man in Marseille [1][ein EM-Halbfinale 2:0 gewonnen]. Durch | |
harte Arbeit. | |
Es ist klar, dass man damit die Bedeutung von Fußball dramatisieren will. | |
Aber wo ist der Zusammenhang? Das ist doch keine Erbschuld. Frankreichs | |
Spieler von heute waren damals noch nicht mal geboren. | |
Frankreichs Sélectionneur Didier Deschamps hat den Geschichtsfetischismus | |
sehr schön unterlaufen, indem er gesagt hat, die Geschichte könne keiner | |
ändern, aber es gebe leere Blätter, und die könnten seine Jungs | |
beschriften. Aber es ist klar, dass man dem Revanche-Tenor nicht entkommen | |
kann. | |
„Es ist lange her, dass wir Deutschland geschlagen haben“, sagte er nach | |
dem Sieg. Aber den Versuch, das in einen gesellschaftspolitischen | |
Zusammenhang zu überhöhen, blockte er ab. „Es ist eine große Geschichte, | |
die Spieler haben Geschichte geschrieben, aber wir können nicht alle | |
Probleme der französischen Menschen lösen“, sagte er. „Aber die Leute sind | |
sicher glücklich heute Nacht.“ [2][Zumindest für Marseille traf das | |
eindeutig zu.] | |
## Die große Ernsthaftigkeit | |
Vielleicht ist das Neue an Frankreichs Fußballteam wirklich die große | |
Ernsthaftigkeit, die auch Liberation lobt. Mit der geht es zu Werke und ist | |
ein Ebenbild seines Trainers. So richtig locker wirkt Deschamps ja nie, | |
auch wenn man ihn in der Nacht von Marseille hat lächeln sehen. Aber er ist | |
eben auch alles andere als ein Hallodri. | |
Entsprechend hat er seine Spieler ausgewählt, nach langem Zögern auch | |
Payet. Andere hat er weggelassen, vor allem den Real-Spieler Benzema. Und | |
er hat eine Truppe, die sein Denken und sein Sprechen zumindest in den | |
gemeinsamen Wochen in der Akademie von Clairefontaine offenbar komplett | |
verinnerlicht hat. | |
Teamspirit und „mentale Stärke“ werden auf Turnierdauer den Unterschied | |
machen, das ist die These. Dass Frankreich insgesamt ein holpriges Turnier | |
spielt, ist normal. Perfekte Teams gibt es nur in der Verklärung der | |
Erinnerung. Entscheidend ist die Entwicklung. | |
## Eine gemeinsame Qualität | |
Das Finale am Sonntag im Stade de France ist Deschamps’ drittes: Als | |
Spieler gewann er WM (an selber Stelle) und EM. Er war der unsichtbare | |
Spieler hinter Zidane. Der hatte den Ball, Deschamps das Spiel in der Hand. | |
Er hatte lange überlegt, wie er das deutsche Dominanzspiel schlagen kann, | |
und ob er auf die geniale Lösung gekommen ist, kann man so richtig gar | |
nicht sagen. | |
Wenn man doch den geschichtlichen Vergleich bemühen will, dann war es fast | |
ein bisschen wie früher – nur umgekehrt. Die Deutschen spielten, die | |
Franzosen erwiesen sich als gut organisierte Effizienzmaschine, die den | |
Ball nur selten wollte, aber dann eben reintrat. | |
Der am Anfang des Turniers irrlichternde Pogba agiert orientierter, | |
eingebundener und bereitete Griezmanns 2:0 mit einem spektakulären Tänzchen | |
an der Grundlinie vor (72.). Der rechts spielende Arbeiter Sissoko gibt der | |
Defensive Halt, Linksaußen Payet ist eine Konstante geworden, Keilstürmer | |
Giroud und der exzeptionelle Antoine Griezmann haben in der entscheidenden | |
Zone eine gemeinsame Qualität, wie sie die Deutschen nicht hatten. | |
## Der perfekte Konterspieler | |
Das ist auch ein Grund, warum Deschamps kontern wollte. Weil er mit dem | |
Atletico-Stürmer den perfekten Konterspieler hat. „Antoine ist ein | |
großartiger Spieler, und das hat er gegen Deutschland wieder bewiesen“, | |
sagte Deschamps. Aber dann war es auch schon gut. | |
Dennoch erscheint der weiße Lehrersohn Griezmann wie der lange gesuchte | |
Musterjunge des französischen Fußballs, der [3][die diversen Schatten der | |
letzten Jahre] mit seinem sonnigen Lächeln übertüncht oder gar vertreibt. | |
Zwei Tore in Marseille, sechs insgesamt, da bahnt sich ein Ruhmestriumvirat | |
mit Platini (dem Spieler, nicht dem Funktionär) und Zidane an. Jedenfalls, | |
wenn Portugal am Sonntag auch noch geschlagen werden sollte. | |
„Er ist an der richtigen Stelle zur richtigen Zeit, er ist der kleine Mann, | |
der uns das große Extra gibt“, sagt Kollege Giroud. Wenn das so ist, dann | |
ist er der große Mann, der ihnen das kleine Extra gibt. | |
## Die Stimmung steigt | |
Nach dem Viertelfinale war die Fußballstimmung in Frankreich angestiegen, | |
nach diesem Sieg und dem entsprechenden geschichtlichen Überhöhung wird sie | |
deutlich anschwellen. Es wird interessant sein, wie viele Pariser sich bei | |
einem EM-Sieg am Sonntagabend auf die Champs-Élysees begeben, um zu | |
bekunden, dass die Tristesse des Post-Zidane-Jahrzehnts vorbei ist. | |
Wer aber denkt, der Fußball werde endgültig eine große Nummer in Frankreich | |
sein – think twice. Diese Gesellschaft ist schwer zu bewegen. Nach der | |
Französischen Revolution dauerte es noch über 150 Jahre, bis das | |
Frauenwahlrecht eingeführt war. | |
10 Jul 2016 | |
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## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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