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# taz.de -- Doping im russischen Sport: Warten auf das Nachbeben
> Der McLaren-Report zieht Kreise. In Russland werden erste Verantwortliche
> gefeuert. Auch die Welt-Antidoping-Agentur selbst steht in der Kritik.
Bild: Der Zar thront über den Spielen: Präsident Wladimir Putin in Sotschi
Der erste Kopf ist schon gerollt: Juri Nagornich, stellvertretender
russischer Sportminister, wurde am Montagabend von Regierungschef Dmitri
Medwedjew von seinem Amt suspendiert. Der 44-Jährige werde von seinen
Aufgaben entbunden, bis die Vorwürfe der Welt-Antidoping-Agentur (Wada)
geklärt seien, sagte Regierungssprecherin Natalja Timakowa der Agentur
Interfax.
Nagornich ist der erste und vermutlich nicht der letzte Verantwortliche,
der nach der letzten Wendung im Doping-Skandal gefeuert werden wird. Auch
die Zukunft von Sportminister Witali Mutko ist fraglich; Kremlsprecher
Dmitri Peskow verneinte zwar zunächst Spekulationen, dass auch Mutko
entlassen werden solle, mit der Begründung, der Sportminister werde im
Wada-Bericht nicht als unmittelbar Beteiligter eingestuft. Die Verstrickung
des russischen Sportministeriums ins systematische Doping erscheint aber
nach dem jüngsten Wada-Bericht derart offensichtlich, dass es schwer sein
könnte, Mutko zu halten.
Das Beben, das der Wada-Reports ausgelöst hat, ist in Russland angekommen.
Am Montag hatte der Kanadier Richard McLaren im Auftrag der
Welt-Anti-Doping-Agentur seinen lange erwarteten Bericht zum staatlich
verordneten Doping in Russland vorgelegt. Darin brachte McLaren zahlreiche
Belege vor, nach denen systematisches Doping in noch größerem Umfang als
bisher vermutet stattgefunden hat. 643 positive Dopingproben seien zwischen
2012 und 2015 verschwunden und durch negative ausgetauscht worden;
mindestens 30 Sportarten seien betroffen. Die Olympia-Teilnahme Russlands
wackelt damit erstmals deutlich.
## Der gehasste Informant
Als Reaktion hatte Staatspräsident Wladimir Putin schon am Dienstag erste
Maßnahmen angekündigt. „Funktionäre, die in dem Bericht als direkt
Beteiligte genannt werden, sollen bis zum Ende der Untersuchungen
suspendiert werden.“ Zugleich kritisierte er jedoch die Glaubwürdigkeit des
Reports, der auf den Aussagen eines Mannes mit „skandalösem Ruf“ basiere.
Damit bezieht er sich auf Grigori Rodschenkow, den ehemaligen Leiter des
Moskauer Anti-Doping-Labors, der, nachdem er selbst wegen seiner unlauteren
Praktiken aufgeflogen war, umfassende Informationen an die Wada weitergab.
In den USA, wo man Russland gern komplett von den Spielen ausgeschlossen
sehen würde, wird Rodschenkow als Held inszeniert, in Russland als Verräter
und Lügner kritisiert.
Nach den Veröffentlichungen von Richard McLaren, der selbst keine
Empfehlung zu einem Ausschluss Russlands gab, ereifern sich beide Seiten in
politischer Inszenierung des Skandals. Putin bezeichnete den Bericht als
Rückfall in die 1980er Jahre, als der Westen die Spiele 1980 in Moskau und
die UdSSR die Spiele 1984 in Los Angeles boykottierten. Damals sei der
Sport als Geisel genommen worden. „Jetzt beobachten wir einen gefährlichen
Rückfall einer Einmischung der Politik in den Sport.“
## DOSB-Chef fordert drakonische Maßnahmen
Alfons Hörmann, Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), wollte
seinerseits im Wada-Report „eine riesige Chance für eine neue Ära im
Weltsport“ sehen. „Es kann eine Zeitenwende im Anti-Doping-Kampf werden“,
so Hörmann, der vom Olympischen Komitee (IOC) nun „drakonische Maßnahmen“
forderte. Deutschland gehört zu den Ländern, die die Forderung der
US-Amerikaner, Russland komplett von den Spielen auszuschließen, massiv
unterstützen. Das IOC kündigte nun am Dienstag an, in einer
Telefonkonferenz den Wada-Bericht zu besprechen und erste Maßnahmen zu
beschließen.
Nach dem Report von McLaren steht das IOC unter Druck. Präsident Thomas
Bach hatte sich bis zum Bericht gegen eine Kollektivstrafe ausgesprochen.
Nun kommentierte er: „Die Ergebnisse des Berichts zeigen einen
schockierenden und beispiellosen Angriff auf die Integrität des Sports und
die Olympischen Spiele. Daher wird das IOC nicht zögern, die härtest
möglichen Sanktionen gegen jede beteiligte Person oder Organisation zu
ergreifen.“ Wie diese härtest mögliche Sanktion aussehen wird, ließ Bach
allerdings offen.
Der komplette Ausschluss Russlands ist seit dem Report eine realistischer
werdende Option – auch, weil die oft kritisierte Wada den Fall ausnutzen
könnte, um in der Prestigegeschichte Handlungsfähigkeit unter Beweis zu
stellen. Bereits am Montag empfahl die Wada dem IOC einen kompletten
Ausschluss der russischen Athleten. Allerdings unterstützen längst nicht
alle Gruppierungen dieses radikale Vorgehen.
## Deutsche Athletenkommission gegen Komplettausschluss
Die Athletenkommission im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) etwa
wendete sich in einer Stellungnahme gegen Kollektivstrafen im Sport. Der
Ausschluss Russlands solle an Bedingungen geknüpft sein, heißt es.
„Nachweislich sauberen Athleten muss das Startrecht bei den Olympischen und
Paralympischen Spielen in Rio und kommenden Wettkämpfen eingeräumt werden“,
so das siebenköpfige Gremium unter Vorsitz des Ruderers Christian Schreiber
am Dienstag. Wie es allerdings möglich sein soll, so kurz vor den
Olympischen Spielen alle russischen Athleten auf Sauberkeit zu überprüfen,
bleibt fraglich.
In jedem Fall werden sich die Effekte der Enthüllungen nicht auf Russland
beschränken. Immer wieder wird Kritik an der Funktionalität des
Anti-Doping-Systems geäußert. Die Athletenkommission forderte am Dienstag,
„die Weichen für die Neuausrichtung im internationalen
Anti-Doping-Management“ zu stellen. Dazu gehörten „ein unabhängiges
Kontrollsystem sowie eine handlungsfähigere Wada“. Die Kommission fordert
unter anderem systematische Aufbewahrung und spätere Analysen von
Dopingproben sowie intelligente Pre-Tests vor Saisonhöhepunkten.
Unterdessen bleibt es dem IOC überlassen, zügig eine Entscheidung über
einen möglichen Ausschluss Russlands zu fällen. In zweieinhalb Wochen
beginnen in Rio die Olympischen Spiele; die Zeit wird knapp. Das
Internationale Olympische Komitee müsse nun ein „klares Zeichen geben“,
forderte DOSB-Chef Hörmann. „Es ist eine der ganz großen Entscheidungen der
Sportgeschichte.“ Und auch eine, die die Weichen für die Rolle der Politik
im Sport neu stellen könnte.
19 Jul 2016
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
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Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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