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# taz.de -- taz-Serie (4): Indiens umkämpfte Moderne: Beef mit den Hindus
> Verehren oder verzehren? Der Umgang mit Kühen ist eine Schlüsselfrage in
> einem riesigen Konflikt, der Indien spaltet.
Bild: Für Hindus sind Kühe heilige Tiere – trotzdem zählt Indien zu den gr…
DELHI taz | Es gibt Lösungen für die kleinen Widrigkeiten im Leben, bei
Anil Sethi im Tempel kosten sie umgerechnet 14 Euro. Es gibt auch Hilfe bei
großen Krisen – drohender Scheidung, Kinderlosigkeit, Bankrott – die ist
teurer. Aber eigentlich, und darum geht es hier, liegt in dem kleinen
Gebäude mit dem hübsch begrünten Innenhof, gleich um die Ecke der
Metrostation Ramash Nagar im Nordwesten Delhis, Anil Sethis Lösung für die
Probleme von ganz Indien. Und die ist umsonst.
Heute stehen Sonne und Mond nah beieinander, das ist ein guter Tag für
spirituelle Taten, und so stehen die Leute schon morgens Schlange vor dem
Tempel-Kuhstall des Yogi Ramnath Goushala Trust, der kleinen hinduistischen
Stiftung, für die Sethi arbeitet. Die Wände des Stalls sind mit
Blütengirlanden geschmückt, zwei Kühler blasen die nach Mist riechende Luft
durch den Stall, doch weil sie niemand mit Wasser zum verdunsten gefüllt
hat verbreiten sie keine Kühle, sondern nur Lärm.
Sethi, 53, trägt eine goldene Uhr, silberne Ringe, er steht an der Tür und
sein buschiges schwarzes Haar glänzt in der Sonne, als er seine Kühe
präsentiert. 28 Rindviecher stehen da, anderswo würde der Stall wegen
Überbelegung geschlossen, aber in Delhi ist alles beengt, und so drücken
sich die Kühe aneinander. Wahnsinnig fett sind sie, die Haut hängt ihnen in
Falten herunter wie Lappen, aber sie fressen klaglos weiter, alles was
ihnen hingehalten wird, wie Kinder, deren Lebendigkeit erdrückt wird von
der Fürsorge der Eltern.
Kühe seien „die verehrungswürdigsten Kreaturen der Erde“ verkündet die
Stiftung auf ihrer Webseite, Gefährten der Götter. „Die Liebe der Menschen
zur Kuh zu fördern“ – das ist ihr Ziel, denn dies heile die Menschen und
damit die Gesellschaft insgesamt.
## Eine Futterspende für „Frieden und Wohlstand“
Bei denen, die heute gekommen sind, gibt es da nicht mehr viel zu tun. Ein
Mann steht vor einer Kuh in der Mitte des Stalles, er verbeugt sich, faltet
die Hände direkt vor der Stirn, er trägt Mais in einer Tüte. „Das hier ist
ein heiliger Ort,“ sagt Sethi. „Die Leute bringen Futter, das ist gut für
ihr Karma.“
Eine Frau in einem roten Sari holt kleine Fladenbrote aus ihrer Tasche.
Weil der Durchgang zu den Kühen verstopft ist, wirft sie die Brote in eine
Tonne am Eingang des Stalls. „Ein Priester sagte mir, ich solle kommen.“
Die Futterspende bringe „Frieden im Haus und Wohlstand“, glaubt sie.
Hinter ihr steht eine Frau, vielleicht Mitte 30, sie trägt eine blaue
Sonnenbrille, Jeans, ist stark geschminkt, gerade hat sie Mittagspause. In
der einen Hand hält sie ein I-Phone, in der anderen eine Tüte voller
Salatköpfe und eine Schüssel mit Mais. Konkrete Wünsche habe sie nicht,
sagt sie und schüttet die Körner in einen Trog. „Das ist gut für mein
ganzes Leben.“
Sethis Dienstleistung sind astrologische Gutachten. Ein kleiner Tempelraum
neben dem Stall ist seine Praxis. Er nehme „keine Spende, sondern
Festpreis“, sagt er. „Ich bin ein Professioneller“. 1.100 Rupien,
umgerechnet 14 Euro, das ist der Tarif. Die Ratsuchenden bringen ihre
Geburtsurkunde mit, Sethi braucht Geburtszeit und -ort, dazu die genaue
Schilderung des Problems. „Die Leute kommen wegen allem: Weil die Kinder
schlecht in der Schule sind, sie kein Geld für eine Hochzeitsfeier haben
oder sie mit ihrer Frau streiten“, sagt er.
## Spirituelle Dienstleistungen vom Sterndeuter
Er befragt die Sternenkonstellation, danach bekommen die Kunden
maßgeschneiderte Hilfe: Bei kleinen Problemen empfiehlt Sethi eine
Futterspende für seine Kühe, bei mittleren eine Geldspende an seine
Stiftung, bei den wirklich großen rät er, eine ganze Kuh für seinen Stall
zu spenden.
Ihre Milch verschenkt Sethi an die Armen im Stadtteil. Das Geld, das seine
Stiftung einnimmt, fließt zur Hälfte in die Rettung in Not geratener Kühe
auf der Straße. Mit der anderen Hälfte werden Hochzeitsfeiern für arme
Menschen bezahlt. Seit 1998 macht Sethi das. Er stammt auf der Provinz
Punjab. Obwohl er spirituelle Dienstleistungen anbietet, ist der
strenggläubige Hindu kein Brahmane aus einer Priesterkaste. Früher war er
Autoverkäufer, dann habe ihn jemand betrogen, „um 7 Millionen Rupien“, das
wären 100.000 Euro.
Danach brauchte er selbst Rat bei einem Sternendeuter. Dessen Befund:
„Meine Berufung ist es, Astrologe zu sein,“ sagt Sethi. Er ging in die
Lehre, drei Monate lang, in der Provinz Rajasthan. Dann heuerte er bei der
Stiftung an.
Im Tempelraum liegen Bananen vor Götter-Figuren. Ein Mönch im gelben Rock
schüttet Zucker vor einem Vishnu-Schrein aus. Er verbeugt sich, dann geht
er nach nebenan, zu den Kühen. „Die Menschen sind sehr eigensüchtig“, sagt
Sethi. „So viele hassen Kühe und töten sie. Davor müssen wir sie schützen…
Wie, das sagt er nicht. „Strikte Aktionen“ seien nötig, sagt Sethis Chef.
Genauer wird auch er nicht.
## Einflussreiche Politiker im Beirat der Stiftung
Wenn Hindunationalisten heute vom „Schutz der Kühe“ sprechen, dann geht es
nicht um Maiskolben für Waisenkälber, sondern um den wohl fundamentalsten
Kulturkampf im modernen Indien. Die Stiftung ist Teil der immer stärker
werdenden hindunationalistischen Strömung im Land. Der Beirat des „Trusts“
besteht aus einflussreichen Politikern, zum Teil sind es Anwälte, die am
obersten Gerichtshof arbeiten.
Hindunationalisten haben mit der RSS-Miliz ein Millionenheer an
Paramilitärs aufgebaut, seit 2014 regiert ihre BJP-Partei das Land. Sie
kämpfen für einen rein hinduistischen Staat – und damit vor allem gegen die
muslimische Minderheit, die rund ein Siebtel der Bevölkerung ausmacht und
traditionell Rindfleisch verzehrt. Der Umgang mit den Kühen ist eine
Schlüsselfrage, der darunterliegende Konflikt so alt wie das Land selbst.
Bis heute verzeihen die Hindunationalisten den Muslimen nicht, dass sie
Pakistan und Bangladesch aus dem britischen Kolonialgebilde herausgebrochen
haben. Der Streit prägt die indische Politik bis in die kleinsten
Verästelungen: Nach Außen in der mit Atomrüstung ausgetragenen Feindschaft
zu Pakistan, nach Innen in der Auseinandersetzung mit den Muslimen, die
immer wieder Opfer von Pogromen werden.
Indien ist einer der größten Rindfleischexporteure, obwohl die meisten
Bundesstaaten, inklusive Delhi, den Verzehr von Rindfleisch verbieten. Den
Hardlinern reicht das nicht. Für sie ist der „Schutz der Kühe“ Gradmesser
ihres Erfolgs beim Kampf für einen monoreligiösen Staat. Das
Rindfleisch-Verbot hat für sie ähnlichen Stellenwert wie der Alkohol-Bann
für die Tugendwächter im schiitischen Iran.
## Ein Protestmarsch für das „Grundrecht“ auf Rindfleisch
Ashou Khan glaubt, dass Zustände wie dort nicht mehr weit sind. Der
dickliche Mittdreißiger, Spross rajasthanischen Landadels, trägt einen
blauen Kaftan mit Goldborten, mit weißen Ledersandalen tritt er das
Gaspedal seines Jeeps, und die Indien-Fahne auf dem Armaturenbrett wackelt,
als er durch die Gassen von Okhla, dem Muslim-Viertel von Delhi fährt, in
dem er so etwas wie der Gemeindevorsteher ist.
Okhla ist die erste Anlaufstelle für die Landflüchtlinge aus den
muslimischen Regionen Indiens. Die Gassen sind eng, voll mit jungen Männern
und eine Gruppe von ihnen versammelt sich überall dort, wo Khan auftaucht.
Bei den Wahlen im März werde der „mit einer hübschen Mehrheit gewinnen“,
flüstert einer der Männer aus der spontanen Entourage.
Im vergangenen Jahr hat Khan einen Protestmarsch gegen das
Rindfleischverbot durch Okhla veranstaltet. Für „das Grundrecht“, das
„kulturelle Recht auf Nahrung“ hat er auf die Transparente schreiben
lassen. „Rind ist die traditionelle Wirtschaftsgrundlage vieler
muslimischen Communities“ sagt er. Die seien arm, und Rindfleisch ist
billig.
Er führt zu einem Restaurant. Der Wirt heißt Methab, er sitzt im
Schneidersitz auf einer Art Tresen neben einem riesigen Kessel voller
Beulen, der in eine Steinplatte eingelassen ist. Darunter kokeln die Reste
eines Feuers, um ihn herum wischen junge Männer die Theke oder stehen da
und betrachten den Besuch.
## Der beste Rindfleisch-Eintopf von Delhi
Es gibt bei Methab nur ein Gericht, es heißt Nihari, ein Eintopf aus
Rindfleisch und Ghee, Butterschmalz. „Es ist das beste in der Stadt“, sagt
Khan. 70 Rupien kostet die halbe Portion, 95 die ganze, aber von den 100
Kilo Fleisch, die Methab seit dem Morgen im Kessel gekocht hat, ist nur
noch eine trübe Brühe am Boden übrig. Es ist 22 Uhr und er hat alles
verkauft. „Hier wird das offen gemacht, hier sind Muslime kulturell
dominierend,“ sagt Khan. „Woanders geht das nicht.“
Er winkt zwei junge Männer heran. Sie stammen aus der Nähe des Dorfes
Bishara im Staat Uttar Pradesh. Vor einigen Monaten wurde dort der Muslim
Mohammed Akhlaq von einem Mob in seinem Haus erschlagen. „Das ganze Dorf
hat mitgemacht“, sagt einer der beiden Männer. „Die Leute haben gesagt, er
hätte Rindfleisch im Kühlschrank gehabt.“
Seit der BJP-Premierminister Narendra Modi an der Regierung ist, „nehmen
solche Gewalttaten stark zu“, sagt Khan. Er mache in Okhla seit 19 Jahren
„Sozialarbeit“, doch die Lage sei schlechter geworden, die Schulen,
Müllabfuhr, Wasser- und Stromversorgung. Er ist überzeugt, dass die
Regierung den muslimischen Stadtteil vernachlässigt. Das habe Folgen:
„Einkommen, Arbeitslosigkeit, Lebenserwartung, bei all diesen Dingen stehen
wir schlechter da. Die BJP kümmert sich nicht um uns“, sagt er. „Die
Muslime sind für sie nicht wichtig.“
21 Jul 2016
## AUTOREN
Christian Jakob
## TAGS
Indien
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