# taz.de -- Erschossene Polizisten in den USA: Auf der Suche nach dem Sinn | |
> Die Schüsse auf Polizisten in Dallas schockieren das Land. Unklar bleibt, | |
> ob jetzt eine Debatte beginnt oder sich alle in ihre Gräben zurückziehen. | |
Bild: Funktioniert die offene Gesellschaft? Gedenken in Dallas | |
Washington taz | Es war John Lewis, das lebende Denkmal der | |
Bürgerrechtsbewegung, der den Finger direkt in die Wunde legte. Manchmal | |
habe er das Gefühl, als ob man ihn wieder hinabrutsche, den Hang, den man | |
gerade zu erklimmen versuche, sagte der Abgeordnete aus Georgia, der einst | |
neben Martin Luther King marschierte. Die Narben des Rassismus seien noch | |
immer schmerzhaft zu spüren, „wir müssen uns ihrer annehmen“, mahnte der … | |
Jahre alte Politiker, als die Polizistenmorde in Dallas ihre Schockwirkung | |
entfalteten. | |
Der Horror von Dallas, darin ist sich das Land einig, bedeutet eine Zäsur, | |
er kann sogar einen Wendepunkt markieren. Nur bleibt unklar, in welche | |
Richtung es geht. Ob man offen über unangenehme Wahrheiten rede und dabei | |
zu einem sinnvollen Dialog finde oder aber sich in die Gewissheiten des | |
eigenen „Stammesdenkens“ zurückziehe, dies sei die Frage, sagt David | |
Brooks, einer der Starkolumnisten der New York Times. | |
Wobei er mit dem Stammesdenken weniger die Konstellation Schwarz gegen Weiß | |
meint, sondern vielmehr die Gräben, die immer tiefer zu werden scheinen. | |
Auf der einen Seite das aufgeklärte, optimistische Amerika, auf der anderen | |
Seite das verunsicherte, sich nostalgisch nach „guten alten Zeiten“ | |
sehnende, das sich in seinen Vorurteilen bestätigt sieht. | |
Nach Dallas ist eine Jahreszahl in aller Munde. 1968. Das Jahr, in dem | |
Martin Luther King und Robert Kennedy ermordet wurden, in dem in etlichen | |
Großstädten Unruhen ausbrachen, Geschäfte in Flammen aufgingen, ganze | |
Straßenzüge verwüstet wurden. | |
Droht 2016 zu einem zweiten 1968 zu werden? Präsident Barack Obama | |
beantwortet die Frage mit einem klaren Nein. Die Vereinigten Staaten seien | |
bei Weitem nicht so gespalten, wie manche es jetzt suggerierten, betonte er | |
am Rande des Nato-Gipfels in Warschau. Was die Nation eine, sei der Zorn | |
auf einen kranken Attentäter, der das schwarze Amerika ebenso wenig | |
repräsentiere wie der Todesschütze von Charleston das weiße Amerika | |
repräsentiert habe – jener Dylann Roof, der in einer afroamerikanischen | |
Kirche in South Carolina ein Blutbad anrichtete. | |
## Soziale Probleme der Polizei aufgebürdet | |
Vieles von dem, was 1968 die Emotionen aufwühlte, gebe es 2016 | |
glücklicherweise nicht, argumentieren die Optimisten. Keinen Vietnamkrieg, | |
keine Welle politischer Hinrichtungen, keinen urbanen Kollaps. Folglich sei | |
es an den Haaren herbeigezogen, wenn man versuche, Vergleiche zu ziehen. | |
Allein schon der Marsch, mit dem die Aktivisten von „Black Lives Matter“ in | |
Dallas gegen die vorangegangenen Exzesse von Baton Rouge und St. Paul | |
protestierten: War er nicht der beste Beweis für die Funktionsfähigkeit | |
einer offenen Gesellschaft? Friedliche Demonstranten versammelten sich, um | |
ihren Unmut über das Vorgehen von Polizisten kundzutun, und das unter dem | |
Schutz von Polizisten, die am Ende ihr Leben riskierten. | |
Dann wieder ist es ausgerechnet ein Ordnungshüter, der die kritischsten | |
Worte findet zum Status quo. Edward Flynn, der Polizeichef der Stadt | |
Milwaukee, sagt ohne Umschweife: „Wir sind das am schwersten bewaffnete, am | |
ehesten zur Gewalt neigende Land der industrialisierten Welt, und es sind | |
Afroamerikaner, die am meisten darunter leiden.“ | |
Die höchste Kriminalitätsrate, die schlimmste Armut, die schlechtesten | |
Bildungschancen, das alles komme zusammen in Vierteln, in denen überwiegend | |
Menschen mit dunkler Haut leben. „Und was tun wir? Wir bürden der Polizei | |
unsere sozialen Probleme auf.“ | |
## Wie Öl ins Feuer | |
Auch nach Dallas fehlt es nicht an Wortmeldungen, die wie Öl ins Feuer | |
wirken. Den rhetorischen Tiefpunkt hat Joe Walsh erreicht, ein Republikaner | |
aus Illinois, der zwei Jahre im Repräsentantenhaus saß und via Twitter | |
Zeilen voller Hass in die Welt setzte, bevor er den Eintrag löschte. „Das | |
ist jetzt Krieg. Pass auf, Obama. Passt auf, ihr Armleuchter von Black | |
Lives Matter. Das wahre Amerika ist euch auf den Fersen.“ | |
William Johnson, Direktor einer Berufsorganisation von Polizisten, | |
vergleicht den Präsidenten der USA mit dem britischen Premier Neville | |
Chamberlain, dem Appeasement-Politiker der späten 1930er Jahre. „Was wir | |
erleben, ist ein Krieg gegen die Cops, und Obama ist der Neville | |
Chamberlain dieses Krieges.“ | |
Zu beobachten ist aber auch der Versuch der politischen Klasse, die Gemüter | |
zu beruhigen, die sonst so giftige Wahlkampfrhetorik zumindest für ein paar | |
Tage zurückzufahren. Newt Gingrich etwa, in den neunziger Jahren der | |
parlamentarische Gegenspieler Bill Clintons, spricht nachdenklich davon, | |
dass man in Amerika gefährlicher lebe, wenn man schwarze Haut habe: „Als | |
Schwarzer kommst du sehr viel wahrscheinlicher in eine Lage, in der dich | |
die Polizei nicht respektiert“. | |
10 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Frank Herrmann | |
## TAGS | |
Black Lives Matter | |
Schwerpunkt Rassismus | |
USA | |
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus | |
Dallas | |
Amerika | |
Baton Rouge | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Black Lives Matter | |
Black Lives Matter | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Black Lives Matter | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Killerroboter | |
Black Lives Matter | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ausschreitungen in US-Stadt Milwaukee: Polizei erschießt Verdächtigen | |
Folgenreicher Polizeieinsatz: Nach dem Tod eines bewaffneten Mannes | |
herrscht in der US-Großstadt der Ausnahmezustand. Es kommt zu Demos und | |
Krawallen. | |
Angriff auf Polizisten in Baton Rouge: Schütze ist ein Ex-Marine | |
Der Mann, der in Louisiana drei Polizisten erschossen hat, ist ein | |
29-jähriger Irak-Veteran. Präsident Obama nennt die Tat feige. | |
Obama und Bush in Dallas: Reden zu einem aufgewühlten Land | |
In Dallas beschwören Obama und sein Vorgänger die Einigkeit des Landes. | |
Aber Kritiker fragen: Was werden immer neue Appelle ändern? | |
Kolumne American Pie: Starke Statements | |
Die Bewegung „Black Lives Matter“ erfährt dieser Tage offene Solidarität | |
von schwarzen US-Sportlern. Nur weiße Athleten tun sich schwer. | |
Erschossene Polizisten in Dallas: Polizei rechtfertigt Robotereinsatz | |
Der Robotereinsatz zur Tötung des Attentäters? „Kein ethisches Dilemma“, | |
sagt der Polizeichef von Dallas. Er korrigiert die Zahl der verletzten | |
Polizisten auf neun. | |
Kommentar Angriffe auf Polizei in Dallas: Heißt das Problem Rassismus? | |
Ist die Chancen- und Ressourcen-Verteilung nicht die größere | |
Herausforderung in den USA? Dallas wird jedenfalls einen Wendepunkt | |
darstellen. | |
Nach den Ereignissen von Dallas: Sorge vor Eskalation wächst | |
Neue Erkenntnisse über den Dallas-Schützen zeigen: Er hatte noch mehr | |
geplant. In Houston erschoss die Polizei am Samstag erneut einen Schwarzen. | |
Erneute Angriffe auf US-Polizisten: Mindestens fünf Beamte verletzt | |
Wieder sind Polizisten angegriffen worden – diesmal in Minnesota. Fünf | |
wurden leicht verletzt. Auch in Louisiana gingen Proteste wegen Gewalt | |
gegen Schwarze weiter. | |
Fragwürde Polizeitechnik in den USA: Die Robo-Bombe von Dallas | |
Die Polizei hat den Attentäter von Dallas mit einem Roboter getötet – | |
anders ging es nicht, sagt sie. Experten haben nicht nur moralische | |
Bedenken. | |
Erschossene Polizisten in Dallas: „Man kann das nicht trainieren“ | |
Die Streifenwagen sind mit Blumen geschmückt: Nach dem Tod von fünf | |
Polizisten schwankt Dallas zwischen Wut, Trauer und Verzweiflung. | |
Gewalt in den USA: Tödlich getroffen | |
Die Vorfälle in Dallas, Baton Rouge und St. Paul haben in den USA Tage des | |
Zorns ausgelöst. Ob das Land zur Ruhe kommen kann, ist ungewiss. |