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# taz.de -- Unterbringung von Geflüchteten: Protest gegen Notunterkünfte
> Im Weisekiez in Neukölln organisieren Autonome und Geflüchtete zusammen
> eine Demonstration gegen die Isolation in „Lagern“.
Bild: Kein schöner Ort zum Leben: Die Notunterkünfte für Geflüchtete in den…
Die ausgeblichenen Bierbänke vor der „Lunte“ sind bis auf den letzten Platz
besetzt, ein Dutzend Linksautonome und Geflüchtete ist schwer beschäftigt:
Plakate auf Farsi und Arabisch schreiben, Flugzettel verteilen, Leute
ansprechen. Es gibt viel zu tun vor der Demonstration am Sonntag auf dem
Tempelhofer Flugfeld. Said ist gerade los, schwarzen Tee zu kaufen. Die
Revolution braucht einen wachen Kopf.
Im Innenraum der „Lunte“ im Neuköllner Schillerkiez wird davon noch
geträumt. Hier hängen die Vorbilder sozialistischer Werte: revolutionäre
Arbeiter auf einem Lastwagen, ein leinwandgroßes Schwarzweißfoto von 1919.
„Autonome“ steht darauf in roten Lettern.
Die Autonomen von heute sitzen am Mittwochabend draußen. Sie kämpfen nicht
mehr gegen den faschistischen Klassenfeind, aber immer noch für soziale
Gerechtigkeit, für bezahlbaren Wohnraum, für die Gleichheit aller Menschen.
Und die sehen sie in der Unterbringung von Geflüchteten in Notunterkünften
wie in den Hangars des stillgelegten Flughafens Tempelhof verletzt.
Rassistische Separation
„Die Flüchtlinge werden in Lagern gehalten und daran verdienen andere
noch“, empört sich Alex von der „Weisekiez Initiative“. Zusammen mit rund
20 anderen hat er die Demonstration angemeldet, um gegen die „rassistische
Separation“ und die „Betreibermafia“ zu protestieren, die die
Notunterkünfte aus Sicht der Flüchtlinge und ihrer Unterstützer mit sich
bringen. „Es gibt genügend leerstehende Häuser. Der Senat soll die
Flüchtlinge wie alle anderen behandeln und überall wohnen lassen“, sagt
Alex. Schon mehrmals haben sie die Zustände in der Notunterkunft Tempelhof
angeprangert, zuletzt im Januar. Trotz Schneetreiben und Minusgraden seien
800 Demonstranten erschienen, erzählen sie.
Von untragbaren Zuständen in den Hangars berichtet auch Farhad. Seit acht
Monaten harrt der 27-Jährige dort aus. Er ist einer von 570 BewohnerInnen,
die schon seit vergangenem Jahr auf eine Verlegung aus der Notunterkunft
warten, räumt die Betreiberfirma Tamaja auf taz-Anfrage ein. Farhad leidet
neben der fehlenden Privatsphäre vor allem am Essen: 12 Kilo habe er
verloren, seitdem er hier wohnt. „Das Essen in den Hangars ist schlechter
als in einem Gefängnis in meiner Heimat.“
Der Iraner floh nach Deutschland, erzählt er, weil die Polizei ihn suchte.
Farhad ist zum Christentum konvertiert. Im Iran steht darauf die
Todesstrafe. Die Unterbringung mit lauter Muslimen ist ein weiterer Grund,
warum Farhad so schnell wie möglich ausziehen will. Öfters sei er
provoziert und beleidigt worden, sagt er.
## Ehrenamt fürs System?
Auch deshalb kommt der Iraner jeden Mittwoch in die Lunte. Vielleicht hat
jemand einen Tipp für ihn, wie er an eine Wohnung kommt. Ein, zwei Mal
konnten Mitglieder der Initiative nach eigenen Angaben zwischen
Flüchtlingen und Vermietern vermitteln.
„Eigentlich machen wir keine Einzelfallhilfe“, sagt Kim, die erst seit
Kurzem im Kiez wohnt. „Wir wollen keine paternalistische Helferstruktur
unterstützen.“ Sie findet, die Ehrenamtlichen, die sich in den Unterkünften
engagieren, hielten nur ein schlechtes System aufrecht. Stattdessen wollen
die Neuköllner Autonomen den Flüchtlingen ermöglichen, selbst aktiv zu
werden. Die Demonstration haben sie auf Wunsch ihrer Cafégäste aus Syrien,
Ägypten und Iran angemeldet. „Sie haben ja noch nicht mal Papier, um Flyer
zu drucken“, sagt Kim. „Geschweige denn, dass sie mit ihren Anliegen gehört
werden.“
Anlass zur Sorge – und zum Protest – haben die Geflüchteten genug. Diesen
Samstag etwa sollen die BewohnerInnen der Kreuzberger Notunterkunft in der
Turnhalle am Tempelhofer Ufer umgezogen werden. Von den 196 BewohnerInnen
kommen jedoch nur die Familien in eine richtige Unterkunft nach
Hohenschönhausen. Der Rest – die allein reisenden Männer – soll in die
Hangars am Flugfeld kommen. Die wollten das jedoch nicht hinnehmen,
berichtet Kim. „Ich weiß nicht, was am Samstag passiert.“
Freiziehung von Turnhallen
Dass der Senat wie angekündigt „möglichst bald“ alle 63 Turnhallen, in
denen Flüchtlinge untergebracht waren, wieder „freiziehen“ will, finden in
der Lunte alle gut. Dass ein Teil der Flüchtlinge von einer Notunterkunft
zur nächsten verfrachtet wird, hingegen nicht.
Dieses Los könnte auch Adnan bald ziehen. Der Ägypter wirkt an diesem Abend
aufgelöst. Alle BewohnerInnen der Jahn-Sporthalle am Columbiadamm sollen am
9. Juli in die Hangars des benachbarten Flughafengebäudes verlegt werden,
hat er gehört. Das Lageso bestätigte dies am Donnerstag der taz. Wie lange
sie dort bleiben sollen, sagt den Flüchtlingen niemand.
„Die genaue Verweildauer ist noch unklar“, sagt Maria Kipp, Sprecherin von
Tamaja. 1.300 Flüchtlinge sind in den Hangars untergebracht, 400 Betten
stehen leer. Aktuell werden zwei weitere Hangars ausgebaut – Platz für
weitere 900 Menschen.
24 Jun 2016
## AUTOREN
Ralf Pauli
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