# taz.de -- Menschenschmuggler in Libyen: Am Todesstrand von Zuwara | |
> In einem libyschen Küstenort hat eine Bürgerwehr Menschenschmuggler | |
> verjagt. Der Lohn: Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft. | |
Bild: Alltägliches Grauen: Hilfskräfte bergen eine Leiche, die vom letzten Sc… | |
Bassem Dhan steht am Mittelmeerstrand und schaut finster nach Norden. | |
Eigentlich könnte der Abgeordnete des Gemeinderats von Zuwara zufrieden | |
sein. Seit über einem halben Jahr hat vom Strand der kleinen Berberstadt im | |
Westen Libyens kein Flüchtlingsboot mehr abgelegt. | |
Doch am Wochenende wurden über 130 Leichen von Ertrunkenen angeschwemmt – | |
wie schon im letzten Sommer. „Ein grauenhaftes Bild, das mich nicht mehr | |
loslässt“, erinnert sich Dhan. „Seit wir Fotos von den ertrunkenen | |
Migranten in der Stadt zeigen, lehnen die Bürger das Tun der | |
Menschenhändler ab.“ | |
Und schritten zur Tat. Eine maskierte Bürgerwehr aus Aktivisten hat die | |
größten Schmugglerbosse von Zuwara öffentlich angeprangert und hinter | |
Gitter gebracht. Nun haben sich die Abfahrplätze nach Europa einfach nach | |
Westen verschoben: nach Sabrata, 60 Kilometer entfernt. | |
In der für ihr römisches Amphitheater berühmten Küstenstadt bündelt sich | |
der libysche Konflikt wie im Brennglas. Rund ein Dutzend rivalisierende | |
Gruppen beäugen sich misstrauisch, an Kontrollpunkten stecken finster | |
dreinschauende Milizionäre ihre Reviere ab – auch am Strand. Und die | |
Schmuggler gehen bei allen Gruppen ein und aus. | |
## Menschenhändler im Knast | |
Bis zum Februar füllten ihre Schutzgeldzahlungen die Kassen des | |
„Islamischen Staats“ (IS), der in Sabrata präsent war. Doch nach | |
US-Luftangriffen verjagten lokale Milizen die Dschihadisten. Sabrata ist | |
nun offiziell wieder IS-frei. „Der IS – das waren alles Tunesier“, ist die | |
Sprachregelung in den Cafés. Jetzt ist man wieder unter sich und verdient | |
an den Flüchtlingen viel Geld. | |
Zuwara aber hat sich seiner Flüchtlingsschmuggler entledigt, so wie es sich | |
die EU wünscht. Rund 20 „große Fische“, wie die Bürgerwehr von Zuwara sa… | |
sitzen in einem Gefängnis nahe der Polizeiwache in der Innenstadt und in | |
einem Camp westlich der Stadt. Manche waren in dem 40.000 Einwohner | |
zählenden Ort schon zu Gaddafi-Zeiten aktiv. | |
Gemeinderat Bassem Dhan in Zuwara ist aber nun schwer enttäuscht: Statt | |
internationale Hilfe bekam er eine Anzeige des Staatsanwalts aus Libyens | |
Hauptstadt Tripolis. Mit der Inhaftierung der Schmugglerbosse habe Zuwaras | |
Bürgerwehr, eine vom libyschen Innenministerium anerkannte Ordnungskraft, | |
ihre Kompetenzen überschritten. | |
„Die Mafia hat gute Kontakte“, sagt Dhan dazu. „Das ist ein Netzwerk bis … | |
hohe Regierungsstellen in Tripolis, Tunesien und Malta.“ | |
## Politik der kleinen Schritte | |
Mohamed Senussi*, zu Besuch in Zuwara, studiert das Schreiben sorgfältig. | |
Er kommt aus der Schmugglerhochburg Sabrata. Dort warten derzeit | |
schätzungsweise 6.000 Menschen auf die Abfahrt, berichtet er: Nigerianer | |
vor allem, auch Migranten aus Ghana, der Elfenbeinküste und Kongo. Sie | |
bauen ihre Schiffe selbst. | |
Senussi hört sich aufmerksam an, wie Zuwaras Aktivisten ihre Kampagne gegen | |
den Menschenhandel aufzogen. Gemeinderat Dhan berichtet über | |
Identitätskarten für Migranten, mit denen sie eine Gesundheitsprüfung und | |
offizielle Arbeitsmöglichkeiten erhalten. „Mit kleinen Schritten versuchen | |
wir, den Einheimischen die Angst zu nehmen und den Migranten einen Status | |
zu geben.“ | |
## Die Schmugglermafia | |
In Sabrata, sagt Senussi, wäre das nicht möglich. Wer sich dort den | |
Schmugglern in den Weg stellt, erklärt der junge Mann, riskiert sein Leben. | |
„Seit die Banktresore leer sind und die Ölförderung stillsteht, geht es in | |
Libyen hauptsächlich um den Zugang zu Geld – und an Migranten kann man | |
schnell und unkompliziert verdienen.“ | |
Europa, darüber sind sich die beiden jungen Aktivisten einig, muss den | |
libyschen Gemeinden beim Aufbau von gut bezahlten Sicherheitsstrukturen | |
helfen – und zwar im Süden des Landes, in der Wüste. An der Küste sei es | |
schon zu spät. Da könne man niemanden mehr aufhalten. | |
Außer man gebe den Schmugglern eine alternative Einkommensquelle. In | |
Zuwara, sagt Bassam Dhan, haben einige einen neuen Geschäftszweig entdeckt: | |
Benzinexport über das Mittelmeer nach Malta. Bei einem Einkaufspreis von 8 | |
Cent ist dabei viel mehr Geld zu machen als mit Menschen. Zumal die | |
Nato-Flotte die Benzinschmuggler passieren lässt. | |
* Name geändert | |
8 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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