# taz.de -- Mutter mit Kind beim Jobcenter: Immer fehlt was | |
> Es ist besser, an einen Stromzaun zu pinkeln, als zum Jobcenter zu gehen, | |
> wenn man Hilfe braucht. Ein Beitrag zum Weltkindertag. | |
Bild: Mit einem quengelnden Kind an der Hand ist es eine Tortur | |
2014. Erst ging es mir persönlich schlecht, dann beruflich. Ich konnte | |
meinen Roman nicht zum Abgabetermin beenden. Kein Buch, kein Geld. | |
Ich war frisch alleinerziehend, musste mir Geld leihen. | |
Eine gute Idee ist es, gegen einen Stromzaun zu pullern. Keine gute Idee | |
ist es, zum Jobcenter zu gehen, wenn man Hilfe braucht. | |
Vor mir in der Schlange stand eine Mutter. Ein Kind im Wagen, eins lief | |
schon schwankend, aber schnell. Jocelyn. Die Mutter rief sie oft zurück. | |
Das andere Kind spuckte den Schnuller aus. „Na, spielst du Arbeitsamt, | |
Jasmin?“ | |
Sie hob den Schnuller auf. Jasmin lachte, spuckte den Schnuller aus. Die | |
Mutter begann zu drohen: „Ich kürz dir den Schnuller, dann heulste wieder!“ | |
Die Kindsnamen waren auf ihre Fußknöchel tätowiert. | |
Schwangere Frauen dürfen übrigens an der Seite der Schlange vorbei. Frauen | |
mit Kindern nicht. | |
Jasmin weinte, wollte keinen achten Keks. Jocelyn turnte hinter der | |
Absperrung herum. Ich schwitzte solidarisch mit der Mutter mit. Wenn mein | |
Kind krank geworden wäre, wäre ich auch Mutter mit Kind beim Amt gewesen. | |
Als sie endlich dran war, wurde am Empfangstresen ihr Rücken erst hart, | |
dann rund. Zusammengeknüllt wie Müll ging sie, rief nach Jocelyn, als wär’s | |
ein böser Hund. In ihren Unterlagen fehlte sicher etwas. Noch nie sah | |
jemand mehr nach „Wieder kein Geld“ aus. | |
Erst da sah ich, wie jung sie war. Ich wollte ihr einen Keks geben, den | |
Schnuller reinstecken, und wenn sie ihn ausspuckte, würde ich mit ihr | |
Arbeitsamt spielen. | |
Bei der Sachbearbeiterin war das Fenster offen, die ganze Zeit bellten zwei | |
Hunde im Hof. | |
Die Frau fragte und fragte. Ich hatte auch Fragen: ob jeden Tag Hunde unten | |
bellten. | |
Sie seufzte. | |
Alle taten mir leid. Die Hunde, die Frau. | |
„Könnte man dort nicht Trinknäpfe hinstellen?“ | |
Das würde sie mal vorschlagen, die armen Tiere. | |
Und könnte man nicht unten eine Spielecke für Kinder einrichten, fragte ich | |
weiter. Ich erzählte von der jungen Mutter. | |
Da war es vorbei mit „die armen Tiere“. Schon bei „junge Mutter“ wusste… | |
alles. „Ich will ja nicht alle über eine Klinge springen lassen, aber …“ | |
Die bringen die Kinder mit, weil sie hoffen, dass sie dann vorgelassen | |
werden. | |
War ich froh, dass ich keine Vorurteile gegen Jobcenterangestellte hatte, | |
sonst wären sie jetzt bestätigt worden. | |
Sie gab mir alle Anträge, Anlage A, Faltanleitung für einen Papiersarg. Bis | |
ich das Geld bekommen habe, sind Monate vergangen. Immer fehlte etwas. | |
Ohne meine Mutter wäre ich verhungert. | |
1 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Kirsten Fuchs | |
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