# taz.de -- Zweifelhaftes Nachhaltigkeits-Zertifikat: Gütesiegel für überfis… | |
> Forscher kritisieren das MSC-Nachhaltigkeits-Siegel, weil zertifizierte | |
> Fischbestände doch ausgebeutet werden. Auf das Siegel verzichten wollen | |
> sie aber nicht. | |
Bild: Kein dicker Fisch darunter: Geomar-Forscher begutachten einen Fang. | |
KIEL taz | Forscher des Kieler Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“ haben | |
das MSC-Siegel für nachhaltig gefangenen Fisch [1][kritisiert]. Der „Marine | |
Stewardship Council“ vergebe sein Siegel auch für Fische, deren Bestand | |
gefährdet sei oder die zu stark befischt werden. Das Versprechen, durch die | |
Zertifizierung erholten sich schwache Bestände, habe sich nicht erfüllt. | |
Der [2][MSC] warf den Kieler Forschern vor, sie ignorierten „den | |
internationalen wissenschaftlichen Konsens in Sachen nachhaltiger | |
Fischerei“. | |
Das blaue Label des MSC mit dem stilisierten Fisch ist auf vielen Produkten | |
im Handel zu finden. Es verspricht den Verbrauchern, sie könnten guten | |
Gewissens zugreifen, weil der Fisch aus einem Bestand kommt, der nicht | |
gefährdet ist und der wirkungsvoll bewirtschaftet wird ohne der | |
Meeresumwelt über Gebühr zu schaden. | |
Das Siegel ist allgemein anerkannt, auch von den Umweltverbänden. | |
Allerdings gibt es immer wieder Kritik, die Vorgaben des MSC reichten nicht | |
weit genug oder seien nicht wirkungsvoll genug. | |
In ihrer aktuellen [3][Studie] haben Forscher des Geomar-Helmholtz-Zentrums | |
für Ozeanforschung und der Christian-Albrechts-Universität in Kiel 31 | |
Fischbestände im Nordostatlantik betrachtet, die vom MSC zertifiziert | |
wurden. Ziel war es, die Verlässlichkeit des Siegels zu testen. „Mehr als | |
zehn Bestände wurden stärker befischt als ökonomisch sinnvoll und | |
ökologisch vertretbar wäre“, stellen die Forscher fest. | |
Die Studie bezieht sich auf die Einschätzungen des Internationalen Rats für | |
Meeresforschung (Ices). Demnach wurde im ersten Jahr der MSC-Zertifizierung | |
in elf Beständen auf eine Weise gefischt, die künftige Fänge gefährdet. | |
Vier der Bestände waren so schwach, dass ihre Reproduktionsfähigkeit in | |
Frage gestellt ist. | |
Der MSC habe die Fischerei in diesen Beständen mit dem Hinweis zugelassen, | |
durch die Zertifizierung und die damit verbundenen Auflagen werden sich die | |
Bestände erholen. Das sei aber nicht der Fall, behaupten die Kieler. Im | |
jüngsten Zertifizierungsjahr seien immer noch sieben der Bestände | |
überfischt und fünf bedroht gewesen. | |
Die Autoren der Studie empfehlen, die Richtlinien des MSC so zu ändern, | |
dass die Zertifizierung aufgehoben werden muss, sobald ein Bestand | |
überfischt wird oder gefährdet ist. „Die sollen sich einfach daran halten, | |
was in den Vorgaben der Gemeinsamen Fischereipolitik der EU steht“, fordert | |
Co-Autorin Silvia Optiz. | |
Der MSC findet, dass die Forscher die Vorgaben des Ices zu eng auslegen. | |
Die Größe eines Fischbestandes und wie intensiv er befischt werde, dürften | |
nicht isoliert voneinander betrachtet werden. „Um beurteilen zu können, wie | |
gefährdet ein Bestand ist, muss man immer beide Faktoren beobachten“, sagt | |
MSC-Sprecherin Andrea Harmsen. Ein stabiler Bestand könne auch mehr | |
Fischerei vertragen. | |
Darüberhinaus berücksichtigt der MSC bei der Vergabe seines Siegels, ob | |
sich ein Bestand eher gut oder schlecht entwickelt, wie stark er | |
natürlicherweise schwankt und wie professionell er gemanagt wird. Aus dem | |
Kontext gerissene Betrachtungen wie in der Kieler Studie erlaubten keine | |
tragfähigen Aussagen. | |
Auch die Behauptung, dass eine MSC-Zertifizierung nicht zu einer | |
Verbesserung der Fischerei beitrage, sei falsch. „Es gibt solide Belege | |
dafür, dass MSC-zertifizierte Fischereien den Zustand der Fischbestände in | |
unseren Ozeanen nachhaltig verbessern“, sagt David Agnew, der für | |
Wissenschaft und Standards beim MSC zuständig ist. | |
Eine Anfang Juni erscheinende Studie zeige, dass sich die Bestände der | |
MSC-zertifizierten Fischereien zwischen 2000 und 2014 deutlich besser | |
entwickelt hätten als die der nicht zertifizierten. Zu einem ähnlichen | |
Ergebnis kam eine vom MSC in Auftrag gegebene [4][Studie] bereits 2012. | |
Greenpeace wiederum kritisiert ebenso wie die Kieler Forscher, dass | |
„erschöpfte Bestände unter bestimmten Umständen weiter befischt werden“ | |
können. | |
„Mit Siegel ist besser als ohne“, sagt die Forscherin Opitz. Um sich das | |
Vertrauen der Verbraucher zu erhalten, müsse man aber an seiner | |
Glaubwürdigkeit arbeiten. | |
25 May 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.uni-kiel.de/pressemeldungen/index.php?pmid=2016-170-ueberfischun… | |
[2] https://msc.org/ | |
[3] http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0308597X16300082 | |
[4] http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371%2Fjournal.pone.0043765 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
## TAGS | |
Überfischung | |
Nachhaltigkeit | |
Konsum | |
Konsum | |
Karpfen | |
Ostsee | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nachhaltiger Fischkonsum: Im Dschungel der Ratgeber | |
Welchen Fisch kann man kaufen? Orientierung geben verschiedene Ratgeber und | |
Zertifikate, die sich teilweise widersprechen. | |
Ernährung und Weltmeere: Fisch ist ab jetzt aus | |
Am 2. Mai ist Fish Dependence Day: Rein rechnerisch hat Deutschland seit | |
diesem Tag seine Fischbestände für 2016 aufgebraucht. | |
Neue Studie zur Überfischung: Meere noch leerer als gedacht | |
Fischer haben die Meere weitaus stärker ausgebeutet, als es die | |
UN-Ernährungsorganisation angenommen hat. Greenpeace sagt: nur Karpfen | |
gehen klar. | |
Neue Fischfangquoten für die Ostsee: Esst weniger Dorsch! | |
Die EU erlaubt 63 Prozent mehr Dorschfang, als Wissenschaftler empfehlen, | |
kritisiert der WWF. Die Reform der Fischereipolitik stockt. |