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# taz.de -- Rücktritt gefordert: Senator unter Beschuss
> Nach der unfreiwilligen Freilassung eines Sexualstraftäters hat die
> Opposition die Hatz auf Hamburgs Justizsenator eröffnet
Bild: Sitzt in der Zwickmühle: Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne)
HAMBURG taz | Die Anmoderation erinnert an eine Bild-Schlagzeile: „Chaos in
der Justiz – Skandal-Senator Steffen ist Sicherheitsrisiko für unsere
Stadt“, titelt die CDU ihren Beitrag für die heutige Sitzung der
Hamburgischen Bürgerschaft. Die Hatz auf Till Steffen, einen der drei
grünen Senatoren der Stadt ist damit in vollem Gange.
So richtig eröffnet wurde sie am Montag, als die Vizechefin der Hamburger
FDP-Fraktion, Anna von Treuenfels-Frowein, von Steffen forderte, er möge
wegen nachgewiesener Überforderung „seinen Hut nehmen“.
Der Anlass für die Rücktrittsforderung lässt Steffen in der Tat nicht gut
aussehen: Am 2. Mai wurde ein zu Sicherheitsverwahrung verurteilter
Sexualstraftäter auf Anordnung des Oberlandesgerichts (OLG) auf freien Fuß
gesetzt – die Justizvollzugsanstalt Hamburg-Fuhlsbüttel hatte es zuvor
nicht geschafft, dem 5o-Jährigen fristgerecht einen Therapieplatz zu
organisieren.
## Bleibt nur Schadensbegrenzung
Zwar wurde der wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern verurteilte Mann
bereits am 6. Mai wieder festgesetzt – der bereits losgebrochene Sturm der
Entrüstung entwickelte sich dennoch zum nicht mehr abflauenden Orkan.
Seitdem bemüht sich Steffen um Schadensbegrenzung, die Opposition um
Dauerbeschuss.
Das Prozedere wirkt rituell. Denn Justizsenatoren geraten in genau drei
Situationen automatisch ins Fadenkreuz: Wenn ein Straftäter aus dem Knast
flieht, wenn er nach seiner umstrittenen Entlassung neue Straftaten begeht,
oder wenn er auf freien Fuß gesetzt werden muss, weil er nicht fristgerecht
vor Gericht gestellt oder in eine angeordnete Therapie gesteckt wurde.
Handelt es sich bei den Freigekommenen wie in diesem Fall um einen
„Kinderschänder“, geht die Empörung stets durch die Decke.
„Ich bedaure sehr, dass es zu dieser Entlassung gekommen ist“, verteidigt
sich Steffen. „Ich bin selbst Vater, ich weiß, welche Ängste das berührt.�…
Der Grüne rechtfertigt sich damit, dass er erst am 1. März von dem
aktuellen Fall erfahren habe und die Entlassung nicht mehr verhindern
konnte.
## Entschlossen – aber zu spät
„Justizsenator Steffen hat ab dem Moment, als er von dem Vorgang Kenntnis
bekam, entschlossen gehandelt“, springt ihm die justizpolitische Sprecherin
der Grünen, Carola Timm, bei. Sie registriert dabei nicht, wie die Worte
„ab dem Moment“ ihr Senatorenlob pulverisieren.
Steffen sitzt damit in der Zwickmühle, die schon viele Politiker den Job
gekostet hat: Hat er schon früh von einem sich anbahnenden Problem
erfahren, dann hat er zu spät gehandelt. Wurde er aber erst spät
unterrichtet, dann hat er seine Behörde nicht im Griff. „Sollte Steffen
nicht informiert gewesen sein, muss er sich dieses Nichtwissen zurechnen
lassen“, ätzt Treuenfels-Frowein.
Strafverschärfend kommt hinzu, dass der aktuelle Fall nicht der erste auf
Steffens Mängelliste ist. Im Mai 2015 mussten zwei Totschläger wegen
überlanger Verfahrensdauer aus der Haft entlassen werden. Im Oktober
ordnete dann das OLG wegen eines zu späten Prozesstermins die Entlassung
eines mutmaßlichen Messerstechers aus der U-Haft an.
## Rechtfertigung als Bausatz
Die Reaktionen auf solche Vorfälle stammen, auch bei Steffen, aus einem
begrenzten Verteidigungsrepertoire. Die Entlassung der Totschläger wurde
als das Ergebnis einer „Verkettung unglücklicher Umstände“ und „Einzelf…
bagatellisiert.
Nun kombiniert Steffen die Bausteine „Behördenschelte“ („Ich hätte
erwartet, früher informiert zu werden“), „Sofortmaßnahmen“ und „bruta…
mögliche Aufklärung“ der Vorfälle – alles Reaktionen, die so unoriginell
wie alternativlos sind.
Auch wenn FDP und CDU am heutigen Mittwoch in der Bürgerschaft noch einmal
so richtig auf Steffen eindreschen, so wissen sie doch, dass sie seinen
Kopf nicht kriegen werden. Es geht nur darum, den Senator zu beschädigen
und geduldig auf den nächsten Straftäter oder Angeklagten zu warten, der
auf freien Fuß kommt, obwohl er es nicht sollte. Dann könnte Steffen fällig
sein.
10 May 2016
## AUTOREN
Marco Carini
## TAGS
Justiz
Sicherungsverwahrung
Hamburger Senat
Hamburg
Islamismus-Kritik
Grüne
Justiz
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