# taz.de -- Verbrechensaufklärung: Folgenschwere Verzögerung | |
> Ein Kindergarten und das Jugendamt Bremen machen sich Sorgen um das Leben | |
> einer zweifachen Mutter. Ernst genommen werden sie von der Polizei viel | |
> zu spät. | |
Bild: Als die Polizei ihn suchte, war der Verdächtige längst ausgeflogen. | |
BREMEN taz | Das zögerliche Handeln der Polizei im Falle eines | |
Tötungsdelikts im März 2015 erscheint noch unerklärlicher als bisher | |
angenommen. Denn nicht nur – [1][wie bisher berichtet] – hatte das Bremer | |
Jugendamt die Polizei alarmiert, weil eine Mitarbeiterin um das Leben einer | |
zweifachen Mutter fürchtete, nachdem diese weder persönlich noch | |
telefonisch zu erreichen war. | |
Auch der Kindergarten ihres damals fünfjährigen Sohnes hatte sich an die | |
Polizei gewandt. Dass das Kind vom Vater wegen eines angeblichen Besuchs | |
beim Kinderarzt abgemeldet worden war, erschien den Erzieherinnen | |
merkwürdig, weil der autistische Junge bei der Mutter lebte und der Vater | |
mit dem Kindergarten nichts zu tun hatte. | |
Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft bestätigte jetzt einen Anruf des | |
Kindergartens beim Notruf am 19. März. Dass sich der Kindergarten bereits | |
am 17. März – einen Tag nach der Krankmeldung durch den Vater – an die | |
Polizei gewandt hatte, gehe aus den Akten nicht hervor, sagte der Sprecher. | |
Gewiss ist, dass die Leiterin des Kindergartens an diesem Tag dem Amt für | |
soziale Dienste ihre Befürchtung mitgeteilt hat, der Mutter könne etwas | |
passiert sein. Das bestätigt Bernd Schneider, Sprecher der Sozialbehörde. | |
Der Kindergarten selbst will sich nicht zu der Sache äußern, weil die | |
Betroffenheit bei Eltern, Kindern und Erzieherinnen dafür noch zu groß sei, | |
schreibt eine Mitarbeiterin in einer Mail. | |
Das Amt für soziale Dienste teilte die Sorge des Kindergartens. Auch das zu | |
Rate gezogene Familiengericht hielt es für angemessen, die Polizei zu | |
alarmieren. Die Familie war den Behörden bekannt. Unter anderem hatte sich | |
der Vater, bei dem die jüngere Schwester des Jungen lebte, seiner Ehefrau | |
und deren Wohnung Ende 2014 ein halbes Jahr nicht nähern dürfen, weil er | |
seine Frau geschlagen hatte. | |
Dennoch hatte die Polizei nach den Anrufen vom Sozialamt und dem | |
Kindergarten zunächst „keinerlei Hinweise auf ein Verbrechen“, wie sie auf | |
einer Pressekonferenz sagte. „Es ist ja denkbar, dass jemand einfach im | |
Urlaub ist, da kann man nicht jedes Mal die Tür aufbrechen, nur weil jemand | |
ein paar Tage nicht ans Telefon geht und der Briefkasten nicht geleert | |
wird“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Frank Passade. | |
Die Polizei habe dazu geraten, erst am 23. März nach dem Wochenende eine | |
Vermisstenanzeige zu stellen, erklärt dazu der Sprecher der Sozialbehörde. | |
Ausgerechnet an diesem Tag, so stellt es die Staatsanwaltschaft dar, sei | |
erst die Einschätzung vom Anwalt der Mutter und vom Kinderarzt bekannt | |
geworden. „Diese trauten dem Vater zu, die Mutter bis zum Tode zu | |
misshandeln.“ | |
Am 23. März wurde die Frau stranguliert in ihrer Wohnung aufgefunden. Der | |
dringend tatverdächtige Vater reiste am 16. März mit beiden Kindern in die | |
Türkei aus. Von ihm fehlt jede Spur, er wird im Irak vermutet. Selbst wenn | |
die Polizei früher reagiert hätte, hätte er nicht gefasst werden könne, | |
sagt Passade. „Für das Ermittlungsverfahren ist das vollkommen irrelevant.“ | |
Der Sprecher der Sozialbehörde will ebenfalls kein Versagen erkennen. Er | |
sagt, das Amt habe sich auf die „fachliche Einschätzung“ der Polizei | |
verlassen. Gleichzeitig sagt Schneider aber auch: „Rückblickend wäre es | |
wünschenswert gewesen, wenn unsere fachlichen Bedenken stärker ins Gewicht | |
gefallen wären.“ | |
24 May 2016 | |
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## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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