# taz.de -- Übergriffe beim Berliner Karneval: „Die Frauen waren wehrlos“ | |
> Nicht selten werden Frauen im Gedränge sexuell belästigt. Dass sie aber | |
> von Männern auch eingekesselt werden, hat die Polizei erstmals | |
> registriert, so die Polizei. | |
Bild: Karneval der Kulturen | |
taz: Herr Neuendorf, sind sexuelle Übergriffe bei Massenveranstaltungen wie | |
dem Karneval der Kulturen in Berlin ein neues Phänomen? | |
Thomas Neuendorf: So etwas hat es immer gegeben. Aber acht Anzeigen über | |
ein verlängertes Wochenende? Das ist viel. 2015 ist bei Karneval der | |
Kulturen ein Vorfall angezeigt worden. | |
In sieben der acht Fälle sind Frauen umzingelt worden, heißt es. Was | |
geschah dann? | |
Nach den Schilderungen der Frauen sind sie von größeren Männergruppen – | |
zehn bis zwölf Personen – umringt worden. Die Frauen haben angezeigt, dass | |
ihnen einzelne Täter an die Brust, den Po oder in den Schritt gegriffen | |
haben. Die gleiche Vorgehensweise also, wie sie aus der Silvesternacht in | |
Köln bekannt ist: das Festhalten im Männerkreis und das Begrapschtwerden. | |
Wurden die Frauen auch bestohlen? | |
In einem Fall wurde ein Handy entwendet; die restlichen sieben Taten waren | |
ohne Diebstahl. | |
Halten Sie es für denkbar, dass ähnliche Dinge auch schon in den Vorjahren | |
geschehen sind, aber nicht angezeigt wurden? | |
Das ist schwer einzuschätzen. Vorstellbar ist, dass Frauen, die in der | |
Menge begrapscht wurden, früher nicht unbedingt zur Polizei gegangen sind, | |
und dass es nach Köln bei den Geschädigten eine höhere Bereitschaft gibt, | |
solche Delikte anzuzeigen. Aus unserer Sicht ist das absolut zu | |
befürworten. Nur wenn wir um die Vorgänge wissen, können wir gezielt gegen | |
diese Täter vorgehen. | |
Einige der betroffenen Frauen sollen bei der Polizei vollkommen verstört | |
gewesen sein und geweint haben. Ist Ihnen aus den Vorjahren vom Karneval | |
Ähnliches bekannt? | |
Nein. Das gab die Anzahl der Fälle gar nicht her. In diesem Jahr war es so, | |
dass die Frauen wirklich massiv bedrängt wurden, sie fühlten sich nicht nur | |
wehrlos in dieser Männerrunde, sie waren es auch. Und wenn dann noch solche | |
Aussprüche kommen wie: „Ihr Schlampen wollt das doch“, dann ist das | |
zutiefst verstörend. | |
Vier Tatverdächtige wurden festgenommen. Was wissen Sie über diese | |
Personen? | |
Der 14-Jährige hat die deutsche Staatsangehörigkeit, die anderen drei die | |
türkische Staatsangehörigkeit. | |
Normalerweise gibt die Polizei die Nationalität nur auf Nachfrage preis. | |
Warum verfahren Sie diesmal anders? | |
Mit Blick auf Köln finden wir das wichtig. Die Ereignisse in Köln sind ja | |
immer mit Flüchtlingen in Verbindung gebracht worden, die frisch aus den | |
Maghreb-Staaten nach Deutschland gekommen sind. Wir sagen das, weil es sich | |
bei den Tatverdächtigen mitnichten um Flüchtlinge handelt, die neu nach | |
Berlin gekommen sind. Alle vier Männer haben in Berlin einen festen | |
Wohnsitz. Zum Teil sind sie sogar hier geboren. | |
Wie lautet der Vorwurf? | |
Der 40-jährige Tatverdächtige soll allein gehandelt haben. Die anderen drei | |
Personen – der 14-Jährige und zwei 17-Jährige – sollen zu dritt mit ander… | |
gehandelt haben. Das war auch eine Gruppe von zehn bis zwölf Personen. Im | |
Wortlaut heißt es in der Anzeige: Plötzlich wurden beide Geschädigten durch | |
die zehnköpfige Personengruppe eingeschlossen, angetanzt und dabei im | |
Intimbereich angefasst. | |
Was weiß man über die nicht ermittelten Tatverdächtigen? | |
Da haben wir letztendlich nur diese Personenbeschreibungen von zehn bis | |
zwölf Männern im jung erwachsenen Alter, also zwischen 16 und 20 Jahren. | |
Alle Frauen haben sie als dunkelhaarig, südländischer Phänotyp beschrieben. | |
Kann es sein, dass es sich mehrmals um ein und dieselbe Gruppe gehandelt | |
hat? | |
Das wird Gegenstand der Ermittlungen sein. Aber es ist nicht | |
auszuschließen, weil die Taten jeweils zu anderen Zeiten stattgefunden | |
haben. | |
Wie groß sind die Chancen, die Männer zu ermitteln? | |
Es ist umso erfolgversprechender, je schneller die Polizei informiert wird. | |
Gerade auf so einem Straßenfest entfernen sich die Täter nicht wirklich. | |
Meistens sind sie noch unterwegs und können von Opfern identifiziert | |
werden. Schwierig wird es für uns, wenn im Nachhinein über das Internet | |
eine Anzeige erstattet wird. Dann gibt es nur geringe Chancen, | |
Tatverdächtige zu bekommen. | |
Ganz neu ist das Phänomen des Angetanztwerdens mit krimineller Absicht in | |
Berlin nicht. | |
Das ging vor circa einem Jahr am RAW-Gelände in Friedrichshain los. Dort | |
hatten wir eine Häufung der Taten. Allerdings waren dort Taschendiebstahl | |
und sexuelle Belästigung stark vermischt. Es war nicht immer klar, ob das | |
geschah, um das Opfer vom Diebstahl abzulenken, oder ob es sozusagen | |
gewollte Mitnahme war, da mal anzugrapschen. Oder aber, ob der Täter | |
eigentlich angrapschen wollte und die Gelegenheit genutzt hat, etwas zu | |
entwenden. Deshalb gibt es seit April auch die Ermittlungsgruppe | |
„Antänzer“, die alle derartigen Taten bearbeitet. | |
Auf welche Schwierigkeiten stößt die Polizei bei den Ermittlungen? | |
Rein strafrechtlich handelt es sich oft um einen einfachen Diebstahl oder | |
um eine Beleidigung. | |
Sie meinen das Angrapschen? | |
Das kommt drauf an. Kurzes Anfassen kann strafrechtlich eine Beleidigung | |
auf sexueller Grundlage sein. Wenn mehr passiert – das Opfer zum Beispiel | |
auch festgehalten wird –, kann es auch eine sexuelle Nötigung sein. Dem | |
Strafgesetzbuch zufolge führt das aber nicht automatisch zu einem | |
Haftbefehl. Die Beamten der Ermittlungsgruppe „Antänzer“ sammeln | |
Erkenntnisse, um den Nachweis zu erbringen, dass diese Tätergruppen | |
organisiert vorgehen und den Diebstahl gewerbsmäßig betreiben. Mit diesen | |
gesammelten Informationen kann auch ein Haftbefehl erlangt werden. | |
Was haben die beim Karneval eingesetzten Zivilfahnder bewirkt? | |
Mit ihrer Hilfe ist es gelungen, sieben Tatverdächtige festzunehmen, gegen | |
die dann auch Haftbefehl erlassen worden ist. Es handelt sich aber | |
ausschließlich um Antänzer, die keine sexuellen Belästigungen begangen | |
haben. Sie haben Antanztaten ausschließlich mit dem Ziel des Diebstahls | |
gemacht – ohne weitere körperliche Berührungen. | |
Wie lautet Ihre Schlussfolgerung für die Arbeit der Polizei bei künftigen | |
Massenveranstaltungen? | |
Seit Köln achten die eingesetzten Polizeikräfte verstärkt auf dieses | |
Phänomen. Wir müssen das offensichtlich noch weiter ausbauen, um die Frauen | |
zu schützen. | |
19 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
## TAGS | |
Karneval der Kulturen | |
Karneval | |
Haus der Kulturen der Welt | |
Hannelore Kraft | |
Köln | |
Karneval der Kulturen | |
Karneval der Kulturen | |
Schwerpunkt Flucht | |
Silvester | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ausschuss zu den Silvester-Übergriffen: Kraft entschuldigt sich bei den Opfern | |
Hannelore Kraft räumt im Untersuchungsausschuss persönliche Fehler ein. | |
Ihre Regierung habe aber nichts vertuscht. Die Opposition sieht das anders. | |
Ausschuss zur Kölner Silvesternacht: Ex-Polizeichef bittet um Verzeihung | |
Der ehemalige Kölner Polizeichef erscheint vor dem Untersuchungsausschuss | |
im NRW-Parlament. Er sagt, die Polizei habe die betroffenen Frauen nicht | |
genug geschützt. | |
Übergriffe beim Karneval der Kulturen: Warum regt sich keiner auf? | |
Die Übergriffe auf Frauen beim Karneval sind am Montag Thema im | |
Innenausschuss. Für die Grünen sind sie eine neue Form der Gewalt gegen | |
Frauen. | |
Karneval der Kulturen in Berlin: Erinnerungen an Köln werden wach | |
Beim Kreuzberger Karneval am Wochenende wurden zahlreiche Frauen sexuell | |
genötigt. Mehrere Tatverdächtige wurden festgenommen. | |
Aufklärungskurse für neu Angekommene: Dem Kulturschock offensiv begegnen | |
Frauen sind gleichberechtigt und Sex muss nicht „haram“ sein. Damit das | |
alle verstehen, müssen Aufklärungskurse her. | |
Sexuelle Übergriffe an Silvester in Köln: Freiwild zwischen Dom und Bahnhof | |
Nach den Angriffen will die Stadt Köln neuralgische Punkte stärker | |
überwachen. Die Polizeispitze muss sich Vorwürfe gefallen lassen. |