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# taz.de -- Teilräumung von Berliner Hausprojekt: Morgens um halb acht in Mitte
> Polizei und Gerichtsvollzieher räumen einen Bewohner eines linken
> Hausprojekts. Schon kurz darauf wollen Interessenten sein Zimmer
> besichtigen.
Bild: Am Tag der Teilräumung: Hausprojekt in der Linienstraße
Berlin taz | Am Dienstagvormittag steht Simon* vor dem auffälligen Altbau
in der Linienstraße 206 und schaut dabei zu, wie Möbelpacker seine Sachen
in einen Umzugswagen räumen. Nacheinander tragen sie Schränke, einen
PC-Bildschirm und Umzugskisten aus dem Hauseingang, der von drei Polizisten
bewacht wird. Aus dem Haus schallen Songs von Ton Steine Scherben. Neben
dem ehemaligen Bewohner haben sich etwa 60 Menschen eingefunden, um gegen
die Räumung zu protestieren.
Neuneinhalb Jahre hat der fünfzigjährige Mann in dem linken Hausprojekt
gelebt, seit den Morgenstunden ist er „obdachlos“, wie er sagt. Völlig
unerwartet standen kurz nach halb 8 Uhr acht Polizisten vor seinem Bett, um
ihn zu räumen. Sie ließen ihm keine Zeit, seine Mitbewohner zu informieren.
Neben insgesamt 25 eingesetzten Beamten waren auch Mitarbeiter eines
privaten Sicherheitsdienstes, einer der Hausbesitzer und ein
Gerichtsvollzieher vor Ort. Sie vollstreckten den Räumungstitel für Simons
Wohnung. Betroffen war auch ein zweites Zimmer, das als Gemeinschaftsfläche
genutzt wird.
Das 1823 erbaute und unter Denkmalschutz stehende Eckhaus wurde im Mai 1990
besetzt; seitdem dient es wechselnden Bewohnern als alternatives
Wohnprojekt. Mitten in der schick sanierten Spandauer Vorstadt, unweit des
Rosenthaler Platzes und gegenüber dem Garnisonsfriedhof, wirkt es wie eine
Trutzburg aus der Vergangenheit. Aus den Fenstern hängen Transparente, von
der graubeigen Fassade blättert großflächig der Putz, Parolen gegen
Soldaten und Nazis und einst bunte Graffiti sind längst verblasst.
Obwohl die Besetzergeneration schon 1991 Mietverträge erhielt, ist die
Situation für die heutigen Bewohner unsicher. Seit der Rückübertragung des
Hauses an eine Erbengemeinschaft ist es mehrfach verkauft worden. Die
jetzigen Eigentümer, die Berliner Geschäftsleute Bernd-Ullrich Lippert und
Frank Wadler, kauften das Gebäude im Jahr 2010 für 600.000 Euro und kamen
den Bewohnern damit zuvor, die das Haus mithilfe des Mietshäusersyndikats
selbst erstehen wollten.
„Ich habe meine Miete immer gezahlt“, sagt Simon, während er kettenrauchend
und mit leerem Blick das Geschehen verfolgt. Dass der Hausverein
„Linientreu“ seine Miete stets zahlte, reichte den Besitzern nicht. Seit
Jahren überziehen Lippert und Wadler die Bewohner mit Prozessen. Zweimal
scheiterten sie mit ihren Abmahnungen und Kündigungen – die Mietverträge
von 1991 haben Bestand, urteilten die Gerichte. Doch die Besitzer klagten
weiter, weil diejenigen, mit denen damals die Verträge abgeschlossen
wurden, längst nicht mehr in dem Haus wohnen. In Simons Fall mit Erfolg.
Obwohl es keine richtigen Wohneinheiten gibt, erschienen keine zwei Stunden
nach Räumungsbeginn Interessenten für das Zimmer. Sie hatten ein Inserat im
Internet gelesen, so erzählen es Bewohner und Unterstützer des Hauses wie
Wenke Rottstock. Zur Besichtigung sei es allerdings nicht gekommen, sagt
die Frau mit dem grün-rot gefärbten Pferdeschwanz, die sich für das
Hausprojekt engagiert.
Noch während der Räumungsarbeiten hängen Bewohner Transparente aus den
Fenstern: „Kein Platz für Neuvermietung“ und „Wohnungen sind vermietet“
steht auf ihnen. Ihre Botschaft: Von außen eingesetzte Mieter, die mit dem
Projekt nichts zu tun haben – das kann nicht funktionieren.
Lippert, der sich vor Jahren einen Schlüssel zum Objekt gerichtlich
erstritt, war am Dienstag mit im Haus. Nach Ende der Räumung verließ er mit
Security-Mitarbeitern den Ort. Telefonisch war er für die taz nicht zu
erreichen. Die Bewohner kündigten ihm gegenüber derweil auf ihrem Blog an:
„Wir sehen uns vor Gericht wieder.“
*Name geändert
10 May 2016
## AUTOREN
Erik Peter
## TAGS
Hausprojekt
Räumung
Linke Szene
Räumung
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