| # taz.de -- Der Schokoladen wird 25: „Das letzte schmutzige Haus der Straße�… | |
| > Immer wieder war die Institution Berliner Subkultur von der Aufwertung | |
| > des Kiezes gefährdet. Am Ende darf der Schokoladen bleiben – 99 Jahre | |
| > lang. | |
| Bild: Herzlichen Glückwunsch! Der Schokoladen wird 25. | |
| taz: Anja Gerlich, Chris Keller, Glückwunsch zu 25 Jahren Schokoladen! | |
| Fühlt man sich in Mitte heute wie ein Hinterbliebener, dessen Freunde | |
| früher gestorben sind? | |
| Chris Keller: Es sind ja nicht alle gestorben! Man darf nicht vergessen: Es | |
| gibt zum Beispiel mit der Brunnenstraße und der Linienstraße noch weitere | |
| Hausprojekte. Und es gibt auch noch das Haus Schwarzenberg am Hackeschen | |
| Markt. | |
| Der Schokoladen wirkt in der direkten Umgebung dennoch ein bisschen wie der | |
| Schmutzfleck des Kiezes. | |
| Keller: Es macht auch Spaß, das letzte schmutzige Haus in der Straße zu | |
| sein. Vor allem, wenn man weiß, dass das nun eine langfristige Perspektive | |
| hat. Wir sind in einer privilegierten Position, nachdem wir uns 2012 | |
| gerettet haben und einen Erbpachtvertrag über 99 Jahre abgeschlossen haben. | |
| Nicht nur wir müssen uns mit der Gentrifizierung arrangieren – die Nachbarn | |
| müssen sich auch dauerhaft mit uns arrangieren. | |
| Wieso war denn der Schokoladen bis 2012 ständig in seiner Existenz bedroht? | |
| Keller: Seit das Haus 1993 gekauft wurde, hat der Eigentümer immer wieder | |
| versucht, uns rauszukriegen. Nur dank unseres Widerstandsgeists, unserer | |
| Anwälte und unserer tollen Supporter haben wir es geschafft, hier zu | |
| bleiben. | |
| Wie kam es damals zur Rettung? | |
| Keller: Der Räumungstermin stand schon unmittelbar bevor. Da hat der | |
| Liegenschaftsfonds dem Eigentümer im Tausch ein anderes Grundstück in der | |
| Straße vermacht. Und wir wurden durch die Edith-Maryon-Stiftung finanziell | |
| unterstützt. Die Stiftung hat Grund und Boden gekauft, wir haben den | |
| Erbpachtvertrag für das Haus geschlossen. | |
| Wie kam es denn 1990 überhaupt zur Besetzung dieses Hauses? | |
| Anja Gerlich: Das Haus stand fast leer. Damals haben nur zwei Leute im Haus | |
| gewohnt, von denen der eine immer noch hier lebt, während der zweite | |
| verstorben ist. Der Hof war zwar bis zum ersten Stock voll mit Schutt, aber | |
| man hat trotzdem das Potenzial gesehen und ist explizit in dieses Haus | |
| gegangen – in der Gegend standen ja damals viele Häuser leer. | |
| Keller: Es war zunächst ein eher konservatives Besetzerprojekt, die haben | |
| Vereinsregeln aufgestellt und so. Ein bisschen was davon ist geblieben, | |
| während die Radaubrüder und -schwestern, die später kamen, schnell wieder | |
| weg waren. | |
| Gerlich: In 25 Jahren macht man viele verschiedene Phasen durch. Zeitweilig | |
| ist man unpolitisch, dann introvertiert, dann gibt es Zeiten, in denen man | |
| wieder politisiert wird, nicht aufgrund der eigenen Situation, sondern | |
| aufgrund der generellen Lage. | |
| Was hat der Schokoladen heute, was andere Veranstaltungsorte nicht haben? | |
| Keller: Wir haben eine selten gewordene Kombination aus Kultur und Wohnen – | |
| hier wohnen etwa 20 Leute. Wir sind einer der letzten Orte in Mitte, wo | |
| kleine Bands Punkrock, Rock oder experimentelle Sachen spielen können. Bei | |
| uns ist der Club der polnischen Versager beheimatet, der eher auf der | |
| Kunstschiene unterwegs ist. Wir haben das Theater, da ist kürzlich erst | |
| eine jüngere Crew dazugekommen, die bringen frischen Wind. Und dann sind da | |
| noch die Ateliers, die Produktionsstudios und Proberäume – auch selten | |
| geworden, dass man in Mitte für ‚nen schmalen Taler Übungsräume bekommt. | |
| Die Konzerte dürfen inzwischen nur noch bis 22 Uhr gehen. Ist das überhaupt | |
| noch Punkrock? | |
| Keller: Unser Publikum hat das erstaunlich gut angenommen, die Leute kommen | |
| mittlerweile früh zu den Konzerten. Für Berlin ist es ja ungewöhnlich, dass | |
| ein Konzert um 19 Uhr beginnt und um 22 Uhr zu Ende ist. | |
| Sie werden metaphorisch oft als „Insel inmitten der Gentrifizierung“ | |
| beschrieben… | |
| Keller: …diese Insel-Metapher, die hat der Bezirksbürgermeister einmal | |
| benutzt. Ich finde sie scheußlich. „Insel“ bedeutet Isoliertsein. Dann | |
| möchte ich das ganze Meer drum herum austrocknen. | |
| Gerlich: Das ist auch nur eine oberflächliche Betrachtung. Es gibt noch | |
| eine darunter liegende Realität: einen Kiez, in dem zwar vieles | |
| weggebrochen ist, aber vieles ist auch noch da, nur nicht so sichtbar. | |
| Wird das Arbeiten in Hausprojekten auch manchmal romantisiert? Es gibt ja | |
| auch oft Konflikte, die ständigen Plenen... | |
| Keller: Grabenkämpfe gab es bei uns immer erstaunlich wenig, da habe ich | |
| ganz andere Projekte erlebt. Und dass Kultur Arbeit ist, das weiß man ja… | |
| Gerlich: … das ist Reibung an sich! Wir lassen uns sonst aber auch unsere | |
| Freiräume. Wenn man zu lange aufeinandersitzt, dann geht man sich danach | |
| vielleicht mal eine Weile aus dem Weg. | |
| Nach der Rettung sprachen Sie davon, dass „das Soziale etwas ins | |
| Hintertreffen geraten“ sei und Sie es wieder nach vorn bringen wollen. Hat | |
| das geklappt? | |
| Gerlich: Einiges ist passiert: Wir haben zum Beispiel eine unentgeltliche | |
| Hartz IV-Beratung installiert. Der Club der polnischen Versager macht viele | |
| soziale Projekte, jetzt etwa eines zum Thema Zusammenleben und | |
| Nachbarschaft. Wir wollen Angebote für Flüchtlinge schaffen, wir haben | |
| Spenden gesammelt. Bislang ist es noch nicht der große Wurf, aber der | |
| Anfang ist gemacht. | |
| Wie sieht der Schokoladen in 25 Jahren aus? | |
| Gerlich: Hoffentlich nicht genauso wie jetzt, sondern anders und neu. | |
| Vielleicht sollte man die Frage eher jemand jüngerem stellen – ich hoffe, | |
| dass ich dann einen Treppenlift hier habe (lacht). Im Ernst: bunt und | |
| gleichzeitig dreckig soll es bleiben, variabel und lebendig. Und unbequem. | |
| 17 Jul 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
| ## TAGS | |
| Berlin-Mitte | |
| Hausprojekt | |
| Berlin | |
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