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# taz.de -- Linke Hausprojekte in Berlin: Das Verschwinden der letzten Freiräu…
> Beim Intersquat-Festival wollen Aktivisten aus ganz Europa über Freiräume
> diskutieren. Davon gibt es nicht mehr viele in der Stadt. Einst besetzte
> Häuser sind geräumt, andere stehen kurz davor. Drei Beispiele
Bild: Auch bedroht: Wie lange kann das Hausprojekt in der Kastanienallee 86 noc…
"Schade ist das da drüben", sagt der Imbisswirt. Von seiner gelben
Wurstbude blickt er direkt in die offenen Fensterhöhlen des traurigen
Vierstöckers gegenüber - Nummer 183, auf der anderen Seite der
Brunnenstraße. Nur Touristen kämen noch vorbei und machten Fotos, sagt der
Mann. Sonst passiere da nichts. "Dafür sind jetzt ein paar Leute
obdachlos."
600 Polizisten hatten die Brunnenstraße 183 in Mitte im November 2009
geräumt. Und den stadtbekannten Umsonstladen im Erdgeschoss gleich mit.
Zuvor waren alle Verhandlungen zwischen Senat, Bewohnern und dem Eigentümer
gescheitert. Bauarbeiter rissen die Fenster aus den Rahmen, Securities
verrammelten die Eingänge.
Seitdem pfeift der Wind durch die kahlen Räume. An der Fassade prangt noch
immer das gemalerte "Wir bleiben alle". Am früheren Eingang zum
Umsonstladen kleben grellgelbe Plakate, die für einen Nachtflohmarkt
werben. Darüber weht ein zerfetzter schwarz-roter Wimpel. Bauarbeiter, sagt
der Imbissmann, habe er seit der Räumung nicht gesehen.
Die Brunnenstraße, sagt Eric, stehe symptomatisch für einen Prozess, der
demnächst wieder ins Rollen kommen könnte. Der linke Aktivist gehört zu den
Mitorganisatoren des Intersquat-Festivals, das ab Freitag neun Tage lang
über Freiräume in der Stadt diskutieren will (siehe Kasten). Die Zeiten für
selbstbestimmtes Wohnen seien nicht rosig, sagt Eric. Die Liebigstraße 14,
die Rigaer 94, die Bödi 9, der Linienhof, die Reiche 63, das Tacheles -
alle räumungsbedroht. "Überall steigen die Mieten, das setzt Hausprojekte
zunehmend unter Druck." Sanierungen lohnen wieder, ehemalige Hausbesetzer
dagegen nicht. Deren - zumeist Anfang der 90er Jahre verhandelte - Mieten
liegen oft weit unter dem Mietspiegel.
In der Brunnenstraße hat der Räumungsverursacher ein freundliches Gesicht
mit Brille und ergrautem Bart. 2006 erwarb Manfred Kronawitter das seit
1990 besetzte "Brunnen 183"-Haus. Er ist ein Passauer Allgemeinmediziner,
dessen Sohn seit Jahren in der Berliner Antifa-Szene aktiv ist. Ein
Mehrgenerationenhaus wolle er errichten, sagt Kronawitter.
Energieeffizient, nachhaltig. "Was Vernünftiges." Leider würden sich die
Genehmigungen und das architektonische Planen immer noch hinziehen. "Wir
wollen aber noch vor Jahresende anfangen."
Moritz Heusinger schüttelt den Kopf. "Absoluter Wahnsinn" sei das, was da
gerade in der Brunnenstraße passiere. Oder gerade nicht passiere. Der
Rechtsanwalt hatte die gut 30 Bewohner der Brunnenstraße bis zum Schluss
betreut. "Erst lässt Kronawitter mitten im Winter räumen und dann lässt er
das Haus einfach verfallen", schimpft Heusinger. Den früheren Bewohnern
versetze dies einen zweiten Stich. Dabei hätte die Räumung gar nicht
vollzogen werden dürfen, so der Rechtsanwalt. Nur drei Räumungstitel hätte
Kronawitter vorweisen können, die Polizei aber habe das ganze Haus geräumt.
"Weil den Bewohnern das Geld fehlt, konnten wir da juristisch aber nichts
machen."
Der Vorwurf macht Kronawitter fuchsig. Eine "Lüge, freche Lüge" sei das.
Zum Zeitpunkt der Räumung habe es keinen einzigen legalen Mieter mehr im
Haus gegeben. Er hätte sich das auch alles anders gewünscht, sagt der Arzt.
Bis zum Schluss sei er kompromissbereit gewesen, auch ein zentral gelegenes
Ersatzgrundstück zu akzeptieren.
Die Ex-Brunnen-183-Bewohner haben sich derweil auf andere Hausprojekte in
der Stadt verteilt, manche haben normale Mietwohnungen bezogen. Auch der
Umsonstladen fand Unterschlupf - im Keller der Kastanienallee 86, dort wo
einst die Galerie Walden war. Die Obhut währte nicht lange. Vor anderthalb
Wochen wurde der Laden auch dort vom Eigentümer geräumt. Er will im
Souterrain ein Ladengeschäft eröffnen.
Es sind genau diese Szenarien, vor denen sich die Bewohner der
Friedrichshainer Liebigstraße 14 fürchten. Im November 2009 wurden auch der
letzte Mietvertrag des Hauses vor Gericht als ungültig erklärt. 1990 wurde
das Haus erst besetzt, später legalisiert. "Extrem anstrengend" lebe es
sich gerade im Haus, sagt Hanna Fischer*, Bewohnerin der Liebig 14. "Jeden
Tag kann der Räumungsbescheid kommen. Du kannst nichts mehr richtig
planen."
Seit Jahresbeginn saßen die Bewohner an Runden Tischen mit dem Bezirk. Am
Montag findet das nächste und wohl letzte Treffen statt. Wer stets fehlte,
waren die Eigentümer - ein Ingenieur und ein Familientherapeut, denen auch
andere alternative Hausprojekte im Kiez gehören. Es gebe keine
Kommunikation, keine Kompromisse von deren Seite, bedauert
Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne). Alle Ideen - eine Stiftung, ein
Rückkauf durch das Land, ein Umzug in ein Alternativhaus - seien
ergebnislos durchdekliniert. "Wir sind an einem sehr schwierigen Punkt
angekommen", so Schulz. Es sehe leider nicht gut aus für die Liebig 14.
Die 25 Bewohner des Hauses wollen sich nicht einfach ihrem Schicksal fügen.
"Wir müssen jetzt anderweitig politisch aktiv werden", sagt Hanna Fischer.
Am Montag wird es eine Demo für das Haus geben. "Wir brauchen mehr
Öffentlichkeit, für die Situation unseres Hauses, aber auch für eine
Stadtentwicklung, die immer mehr Leute ohne dicken Geldbeutel aus der
Innenstadt vertreibt." Es wäre "bitter", wenn noch ein Hausprojekt verloren
ginge, murmelt Fischer. "So viele gibt es ja nicht mehr."
Es war im Juni 2005, als das Hinterhaus der Yorckstraße 59 in Kreuzberg
geräumt wurde. 16 Jahre lang hatten dort rund 60 Linke gewohnt, hatten die
"Antirassistische Initiative Berlin" beherbergt. Drei Jahre nach der
Räumung attestierte das Berliner Kammergericht, dass der Polizeieinsatz
ohne ausreichende Rechtsgrundlage stattfand. Da wohnten die Ex-Yorcker
längst im Bethanien. Nach ihrer Räumung hatten sie zwei Etagen des
Seitenflügels besetzt - ihr "NewYorck". Dort leben die meisten von ihnen
bis heute, inzwischen mit Mietverträgen.
Ihr früheres Alternativdomizil in der Yorckstraße 59 ist längst
grundsaniert. Eine sauber verputzte Backsteinfassade erhebt sich im grau
gepflasterten Innenhof. Dunkle, metallene Garagentore im Parterre, darüber
große, spiegelnde Fensterfronten der ehemaligen Fabriketagen. "13
Lofteinheiten, bis zu 280 Quadratmeter groß, hochwertige Ausstattung",
beschreibt der Hausverwalter, die Bau Partner GmbH, den Status quo. Binnen
sechs Monaten seien alle Lofts verkauft gewesen. Eins ging an den
Schauspieler Til Schweiger.
An die einstigen Besetzer erinnern nur noch einige letzte rote Farbspritzer
auf den Pflastersteinen vorm Vorderhaus. Zwei, drei Jahre sei es her, dass
der letzte Farbbeutel flog, erinnert sich Irina Schertz*, Mieterin im
schlichter ausgestatteten Seitenhaus. Seitdem habe der Protest
nachgelassen. Sie habe die Besetzer gemocht, sagt Schertz. Leute mit guten
Ideen waren das, und die Kinder konnten auf dem Innenhof spielen. "Heute
fahren die da ständig mit ihren Autos drüber." Die aus den Lofts.
Mit dem Eigentümer, einem Hamburger Unternehmensberater, hätten hier viele
zu kämpfen, erzählt Schertz. Erst vor kurzem habe er eine "saftige
Mieterhöhung" gefordert. Ohne plausiblen Grund. Da hätten sich die Bewohner
zusammengetan und dagegen geklagt - mit Erfolg.
* Namen geändert
8 Sep 2010
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Hausprojekt
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