# taz.de -- Kommentar Erdoğan/Böhmermann: Im Zweifel für die Staatsräson | |
> Merkel hat eine unpopuläre Entscheidung getroffen: Der Fall | |
> Böhmermann/Erdoğan geht vor Gericht. Wird jetzt alles wieder gut? | |
Bild: Die geneigte Kanzlerin beliebt, die Entscheidung den Gerichten zu überla… | |
Also doch. Sehr lange hat die Bundesregierung damit gerungen, wie sie mit | |
dem heiklen Fall Böhmermann umgehen soll. Nun macht sie den Weg frei für | |
ein Strafverfahren gegen den TV-Moderator nach Paragraf 103, der die | |
Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter unter Strafe stellt – ganz so, | |
wie es die Türkei verlangt hat. | |
Dass die Kanzlerin höchstpersönlich der Presse die schlechte Nachricht | |
verkündet hat, nötigt Respekt ab. Scharf war sie in den vergangenen Wochen | |
vielfach dafür kritisiert worden, dass sie angeblich vor dem türkischen | |
Präsidenten Erdoğan kusche und damit die Meinungsfreiheit in Deutschland | |
infrage stelle. Ausführlich begründete sie deshalb ihre unpopuläre | |
Entscheidung, die ihr wenige Freunde machen wird. | |
Dabei hat sich Merkel in der schwierigen Abwägung zwischen dem rechtlich | |
und diplomatisch Gebotenen und dem Gewünschten für einen salomonischen | |
Mittelweg entschieden. Ja, der anachronistische Paragraf 103 gehöre | |
abgeschafft, und dafür werde sie sich einsetzen. Aber solange er in Kraft | |
sei, könne sich der türkische Präsident nun mal auf ihn berufen – und sie | |
könne nicht anders, als dessen Ansinnen nachzugeben. Das war die Botschaft | |
der Kanzlerin: im Zweifel für die Staatsräson. | |
Dass die Türkei weiterhin auf dieses Verfahren gedrängt hat und Merkel es | |
ihm nicht verwehren konnte, lässt tief blicken. Denn erst Anfang der Woche | |
hatte Erdoğan als Privatperson einen „Strafantrag“ gestellt, was ihm | |
ohnehin jederzeit freistand. | |
## Erdoğans Rachsucht | |
Doch das reichte ihm offenbar nicht, zumal das Strafmaß für die | |
Quasimajestätsbeleidigung höher liegt. Das sagt viel aus über Erdoğans | |
Rachsucht, die legendär ist. Unzählige Karikaturisten in der Türkei hat er | |
schon persönlich verklagt, weil er sich von ihnen verspottet fühlte – als | |
hätte ein Staatschef nichts Wichtigeres zu tun, als sich über Satiriker | |
aufzuregen. | |
Es ist gut, dass Angela Merkel die Einschränkung der Presse- und | |
Meinungsfreiheit in der Türkei nun in klaren Worten kritisiert hat. Denn | |
Erdoğan hat die Medien in der Türkei in den letzten Jahren mit ruppigen | |
Methoden immer stärker auf seine Linie gebracht. | |
## Neuer Jesus | |
Doch das Verfahren in Deutschland hat auch seine guten Seiten. Aus der | |
hitzigen Arena der Talkshows und des Meinungskampfs wird der Fall nun in | |
die kühle Welt der Paragrafen und der juristischen Beweisführung überführt. | |
Das könnte zur Versachlichung der Debatte beitragen. | |
Zuletzt konnte man den Eindruck gewinnen, als stünde die Satire hierzulande | |
über dem Grundgesetz und das Urteil des Feuilletons über dem Rechtsstaat. | |
Erstaunlich, wie viele Satire-Experten es in deutschen Redaktionen gibt, | |
die sich bereitfanden, Böhmermann für seine doch recht platten Sottisen als | |
eine Art neuen Jesus zu feiern – als wäre Satire eine neue Form der | |
Kunstreligion, die sich allen irdischen Maßstäben entzieht, und jede | |
Albernheit mit möglichst vielen F-Wörtern und offenkundig rassistischen | |
Anspielungen schon die hohe Kunst. | |
Verständlich, dass manche Satiriker das so sehen möchten. Politiker, | |
Juristen und andere Normalsterbliche müssen diese Sichtweise nicht teilen. | |
Und Kurt Tucholsky würde sich vermutlich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, | |
wozu sein Name heute alles missbraucht wird. | |
Rätselhaft bleibt auch, was Böhmermann meinte, als er auf Facebook schrieb, | |
er fühle sich „erschüttert in allem, an das ich je geglaubt habe“. In | |
seiner inkriminierten Sendung stellte er mehrfach klar, dass er die Grenze | |
zur Schmähkritik nun bewusst überschreite, also etwas Verbotenes tue. Und | |
am Ende seines Vortrags forderte er den türkischen Präsidenten fast schon | |
dazu auf, er könne ja dagegen klagen. Erdoğan hat diese Steilvorlage | |
angenommen. Den Rest müssen nun die Gerichte klären. | |
15 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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