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# taz.de -- Debatte Arabiens Autokraten: Europas falsche Prioritäten
> Auch im Namen der Stabilität sind arabische Autokraten nicht die Lösung.
> Sie sind das Problem, das zeigt sich vor allem in Ägypten.
Bild: Auch in Ägypten finden einige Sisi „beeindruckend“: ein Unterstütze…
Was sagt man, wenn man beim diensthabenden Diktator Abdel Fattah al-Sisi zu
Besuch ist, fragte Oliver Welke in der „heute-show“ am vergangenen Freitag.
Dann kommt ein real aufgenommener Einspieler Sigmar Gabriels bei dessen
Ägypten-Visite letzte Woche. „Ich finde, Sie haben einen beeindruckenden
Präsidenten“, sagt da der deutsche Vizekanzler auf einer Pressekonferenz.
Das Publikum lacht. Welke muss das Ganze nur noch garnieren mit dem Hinweis
auf Tausende Oppositioneller in ägyptischen Gefängnissen und Hunderte von
Todesurteilen, fertig ist die Realsatire.
Der von Gabriel besuchte al-Sisi steht einem Land vor, in dem heute
Verhältnisse wie einst in Argentinien herrschen. Ägyptische
Menschenrechtsgruppen haben 533 Menschen aufgelistet, die seit August 2015
verschleppt worden sein sollen. 396 gelten danach immer noch als vermisst.
Der prominenteste Fall ist der des verschleppten und später zu Tode
gefolterten italienischen Cambridge-Doktoranden Giulio Regeni, über den in
Ägypten und Italien spekuliert wird, dass einer der ägyptischen
Sicherheitsapparate dafür verantwortlich ist. Was von ägyptischer
Regierungsseite kategorisch abgestritten wird, ohne dass die ägyptischen
Behörden den Fall aber bisher aufgeklärt haben.
Nach neuesten Berichten sollen gleich sechs anonyme Quellen aus dem
ägyptischen Sicherheitsapparat bestätigt haben, dass Regeni festgenommen
worden war. Selbstredend werden auch diese Berichte vom Innenministerium
angefochten.
## Insel der Stabilität?
Trotzdem geben sich EU-Politiker im Moment in Kairo die Klinke in die Hand.
Neben Gabriel war vergangene Woche auch der französische
PräsidentFrançoisHollande bei al-Sisi zu Gast. Der Tenor der europäischen
Politik ist dabei stets: Ja, Menschenrechte in Ägypten seien suboptimal,
aber Ägypten sei eben eine Insel der Stabilität in einem arabischen Meer
der Instabilität, von Syrien über den Irak bis nach Libyen.
Und: Al-Sisi habe sich dem Antiterrorkampf verschrieben und man brauche
schließlich auch die Hilfe der Ägypter, um die Flüchtlingswelle über das
Mittelmeer zu stoppen. Außerdem geht es um Geschäfte. Frankreichs
Rüstungsindustrie macht Milliardendeals mit den ägyptischen Militärs,
verkauft ihnen Marineschiffe und Kampfflugzeuge. Gabriels Siemens-Land
dagegen baut vor allem Kraftwerke in Ägypten.
So weit, so pragmatisch. Menschenrechte werden bei jedem Treffen zwischen
der EU und Ägypten erwähnt. Das wird dann gerne verbunden mit einem „Wir
müssen alle Kanäle offen halten, um Einfluss auf die Menschenrechtslage zu
nehmen“. Aber eigentlich sind sie störendes Beiwerk, die Rechte und damit
die Würde der Menschen, wenn es um strategische und Geschäftsinteressen
geht. Das ist nichts Neues.
Jahrzehntelang hat Europa mit arabischen Autokraten im Namen der Stabilität
zusammengearbeitet, ob Mubarak, Gaddafi oder Ben Ali. Da waren die
arabischen Aufstände gegen dieselben Diktatoren nur ein kleines Intermezzo.
Bei der Kooperation mit anderen arabischen Autokraten am Golf gab es
dagegen überhaupt keine Brüche. Saudi-Arabien, das frauenfeindlichste Land
der Welt und autokratisch mit einer Mischung aus saudischem Königshaus und
erzkonservativen wahhabitischen Scheichs regiert, war und bleibt einer der
wichtigsten Verbündeten Europas, das Gabriel auch gerne besucht.
## Antiterrorkampf als Marketing
Und irgendwie hat sich auch bei den anderen arabischen Partnern recht wenig
geändert. Mubarak hatte sich auch schon immer gerne als Hort der Stabilität
verkauft und als Antiterrorkämpfer. Als Bollwerk gegen die Islamisten nach
dem Motto, nehmt vorlieb mit mir, denn die Alternative sind die Islamisten.
Das war seit jeher das wichtigste Marketingargument arabischer Autokraten
und es wurde immer gern von europäischer Seite geschluckt.
Die Frage ist, ob diese europäische Politik tatsächlich die gewünschten
Ergebnisse zeitigt? Ist Ägypten tatsächlich ein Hort der Stabilität? Sind
die Autokraten die besten Antiterrorkämpfer oder sind gerade sie es, die
ein Klima schaffen, das Menschen dazu treibt, in islamistischer Militanz
ihr Heil zu suchen? Sind nicht sie es, die die arabische Welt über Dekaden
in eine Lage gebracht haben, der viele Menschen Richtung Europa entfliehen
wollen? In anderen Worten: Produzieren arabische Autokraten nicht schneller
Terrorismus, als sie ihn dann bekämpfen können? Sind die Autokraten nicht
die andere Seite der Medaille der islamistischen Militanz? Bedürfen nicht
gerade diese beiden Seiten sich gegenseitig, um ihre jeweilige Existenz zu
rechtfertigen?
Letzteres bedeutet, dass Europa wie schon zu Zeiten Mubaraks auch heute
wieder im Namen der Stabilität aufs falsche autokratische Pferd setzt. Die
arabischen Despoten sind nicht die Lösung, sie sind das Problem.
Ägypten ist nichts anderes als eine Zeitbombe, die Europa früher oder
später um die Ohren fliegen wird. Das gilt, solange offene Konflikte in der
arabischen Welt, wie der zwischen Alt und Neu oder der über die Rolle der
Religion im Staat, von den arabischen Gesellschaften nicht vorzugsweise
friedlich, schlimmstenfalls turbulent ausgehandelt werden können. Das
Ergebnis der bisherigen autokratischen „Deckel-drauf-Politik“ erleben wir
mit IS-Anschlägen und Flüchtlingen auch heute in Europa.
## Ehrlich werden
Es gibt keinen schnellen Schwarz-Weiß-Fix für die arabische Welt. Es gibt
Argumente, auch punktuell mit Autokraten zusammenzuarbeiten. Europa braucht
einen al-Sisi, um das Nachbarland Libyen endlich zu stabilisieren. Es gibt
aber auch starke Argumente, den Autokraten im Namen des Antiterrorkampfs
nicht einfach einen Freifahrtschein zu geben.
Auf jeden Fall sollte Europa endlich ehrlich mit sich selbst sein, wenn es
um die so oft postulierte Förderung von Demokratie und Menschenrechte geht.
Oder wie es der arabische satirische Twitterer @KarlRemarks zusammenfasst:
„Die Europäische Union wird sich immer groß für die Werte von freier Rede
und Menschenrechte einsetzen, solange sie damit nicht einen nützlichen
autokratischen Bündnispartner vergrault.“
25 Apr 2016
## AUTOREN
Karim El-Gawhary
## TAGS
Arabien
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Abdel Fattah al-Sisi
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Schwerpunkt Syrien
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