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# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Helden oder Terroristen
> Der Syrienkonflikt polarisiert. Im sunnitischen Maghreb haben Assad und
> die Hisbollah viele Unterstützer. Wie erklärt sich das?
Bild: Ein Laden in Damaskus, der Tassen von Putin, Assad und Hisbollah-Führer …
Am 2. März 2016 verabschiedeten die Innenminister der Mitgliedsländer der
Arabischen Liga in Tunis eine Erklärung, in der sie die „terroristischen
Taten“ der Hisbollah verurteilen und ihr vorwerfen, „gewisse arabische
Staaten“ destabilisieren zu wollen. Der Frontalangriff auf die „Partei
Gottes“ kam nicht von ungefähr. Am selben Tag hatte der Golfkooperationsrat
(GCC) bereits einen ähnlichen Text veröffentlicht, mit dem man die
Versammlung in Tunis unter Druck setzen wollte.
In den sozialen Netzwerken Tunesiens, Algeriens und Marokkos löste die
Tunis-Resolution sofort einen Sturm der Entrüstung aus. In dieser
sunnitisch dominierten Region der arabischen Welt genießt die schiitische
Hisbollah wegen ihres Einsatzes gegen die israelische Armee im
Libanonfeldzug vor sechs Jahren hohes Ansehen. „Jetzt sollen wir auch noch
vor den Goldhähnchen vom Golf kuschen. Wo ist der Stolz der Maghrebiner?
Sind wir etwa die Lakaien der Wahhabiten? Nur weil wir Sunniten sind,
müssen wir noch lange nicht nach ihrer Pfeife tanzen“, empörte sich ein
Nutzer. Und ein anderer schrieb: „Der IS sollte als terroristisch
bezeichnet werden, nicht die Hisbollah. Die Hisbollahkämpfer sind Helden!“
Neun Tage später stufte die Arabische Liga die Hisbollah offiziell als
Terrororganisation ein, was wiederum zu heftigen Protesten im Netz führte.
Zahlreiche bekannte tunesische Persönlichkeiten warfen ihrer Regierung vor,
die Resolution vorbehaltlos abgesegnet zu haben. Der Nationale
Anwaltsverein, linke Parteien und selbst Vertraute von Präsident Béji Caïd
Essebsi sprachen von einer Kapitulation zugunsten Saudi-Arabiens. Der
Gewerkschaftsverband (UGTT), der 2015 neben dem Anwaltsverein und zwei
weiteren Organisationen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden
war, machte gar ausländische Mächte verantwortlich, die angeblich das Ziel
verfolgten, „die arabische Nation zugunsten zionistischer und anderer
reaktionärer Kräfte zu spalten“.
Kurz darauf versuchte die tunesische Regierung zurückzurudern und
versicherte, die Resolution habe gar „keine bindende Wirkung“. Derweil
sickerte in der tunesischen Presse durch, dass man es sich nicht leisten
könne, die Golfpartner gegen sich aufzubringen, da man schließlich auf
deren finanzielle Hilfe angewiesen sei.
Und die algerische Regierung beeilte sich zu betonen, dass ihr Land sich
nicht an die Resolution gebunden sehe und man an der „Politik der strikten
Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Bruderstaats“
festhalte. Anders gesagt: Für Algier komme es nicht infrage, die Hisbollah
zu verurteilen und der libanesischen Regierung vorzuschreiben, wie sie mit
der Organisation umzugehen hat.
## Marokko hält sich bedeckt
In Marokko hält sich die Regierung bedeckt und versucht, den Sturm an sich
vorüberziehen zu lassen. Es ist nicht das erste Mal, dass Rabat einen
Spagat hinlegen muss. Einerseits ist das Königreich ein enger Verbündeter
Saudi-Arabiens: Es beteiligt sich an der seit [1][März 2015 unter
saudischer Führung laufenden Militäroperation gegen die Huthi-Milizen im
Jemen] und ist Mitglied der „islamischen Anti-Terror-Koalition“, die Riad
im Dezember 2015 gegründet hat. Andererseits muss Rabat auf eine
öffentliche Meinung Rücksicht nehmen, die gegenüber den Golfmonarchien
nicht gerade positiv eingestellt ist.
„Was die Hisbollah angeht, ist der Handlungsspielraum klein, aber er
existiert“, erklärt ein marokkanischer Diplomat, der anonym bleiben möchte.
„Man kann einräumen, dass es berechtigte Gründe gibt, die Partei zu
sanktionieren, weil sie sich in einen Konflikt einmischt, der nur die Syrer
etwas angeht. Gleichzeitig ist klar, dass es viel schwieriger wäre, die
Bevölkerung von der Legitimität eines Militärschlags gegen das Assad-Regime
zu überzeugen.“
Durch die Ächtung der Hisbollah wollen Saudi-Arabien und seine Verbündeten
das syrische Regime noch weiter in die Isolation treiben. Mehrere arabische
Länder weigern sich jedoch mitzumachen. Neben Algerien äußerten auch der
Libanon und der Irak Vorbehalte gegenüber der Entscheidung der Arabischen
Liga, die libanesische Organisation als „terroristisch“ einzustufen. Und
der ägyptische Präsident Abdel Fatah al-Sisi weigert sich, militärisch
gegen ein Regime vorzugehen, das die Muslimbrüder bekämpft, die er selbst
als seinen Hauptfeind betrachtet.
In Algerien und Tunesien hat das Assad-Regime zwar nach wie vor viele
Unterstützer. Aber es gibt eben auch dschihadistische Netzwerke, die junge
Männer anwerben und nach Syrien schicken, [2][um gegen Assad zu kämpfen
beziehungsweise sich dem IS anzuschließen].
„Es kommt selten vor, dass weite Teile der öffentlichen Meinung in Algerien
mit der Position unserer Regierung übereinstimmen“, sagt ein ehemaliger
hoher Funktionär aus Algier. „Aber bei der Ablehnung einer
Militärintervention in Libyen und der Weigerung, gegen Assad und seine
Verbündeten Stellung zu beziehen, herrscht Konsens.“ Tatsächlich zieht jede
noch so zurückhaltende Position gegen Assad – was noch etwas ganz anderes
ist als eine Unterstützung der ihn bekämpfenden dschihadistischen Gruppen –
schwere Vorwürfe nach sich, wenn nicht gar eine mediale Hetzjagd.
## Verrat an der arabischen Sache
Der syrische Oppositionelle Salam Kawakibi ist stellvertretender Direktor
der „Arab Reform Initiative“ und ein Nachfahre des großen aleppinischen
Reformtheologen Abd al-Rahman al-Kawakibi (1855–1902). Vor drei Jahren
hielt er bei einer Konferenz in Algier einen Vortrag. Beim anschließenden
Gespräch im kleinen Kreis wurde er aufgefordert, sich zu erklären. „Gegen
Assad zu sein“, erinnert sich Kawakibi, „bedeutete für sie gleich Verrat an
der arabischen Sache. So würde man sich gleichzeitig mit dem Imperialismus
und dem Islamismus gemeinmachen. Und das ist kein Einzelfall. Jedes Mal,
wenn ich öffentlich spreche, gibt es Angriffe und Anschuldigungen – ich sei
ein Agent oder ein Verräter im Dienst imperialer Mächte. Bestenfalls werde
ich als Naivling bezeichnet.“ In letzter Zeit erlebt Kawakibi auch in
Tunesien diese Art von Zensur.
Zahlreiche tunesische Intellektuelle verhehlen nicht, dass ihnen Assad an
der Spitze des syrischen Staats lieber ist als eine islamistisch dominierte
Regierung. Diese Meinung vertrat auch der Anwalt und Politiker Chokri
Belaïd, der am 6. Februar 2013 in Tunis ermordet wurde. Heute wird sie von
der radikalen Linken ebenso wie von der Großbourgeoisie in den
Küstenstädten geteilt.
Präsident Moncef Marzouki löste 2012 heftige Debatten aus, als er
beschloss, die diplomatischen Beziehungen zu Syrien abzubrechen. Vier Jahre
später lässt sein Nachfolger Essebsi keine Gelegenheit aus, sich für eine
Wiederaufnahme auszusprechen. Im September 2015 entsandte Tunesien wieder
einen Konsul nach Damaskus.
In Marokko ist die Debatte weniger scharf. Ein Teil der linken Kräfte,
darunter die Sozialistische Union der Volkskräfte (USFP), scheut sich
nicht, Assad zu verurteilen. Aus Respekt vor der staatlichen Souveränität
Syriens spricht sie sich aber gegen jede ausländische Militärintervention
aus. „Die einfachste Lösung wäre, Assad zu unterstützen, um damit Druck auf
den Palast auszuüben; und auf die Regierung unter Führung der
islamistischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD), die eher
dazu neigt, die von den Golfstaaten finanzierte Opposition in Syrien zu
stärken“, sagt ein USFP-Aktivist. „Aber das lehnen viele von uns ab, weil
sie finden, Baschar habe es einfach nicht verdient, dass man ihn
verteidigt.“ Insgesamt fehle es im Maghreb an einer ernsthaften Debatte
über den Syrienkonflikt.
## Woher kommt die Unterstützung für Assad?
Von den unvermeidlichen Reden über Antiimperialismus und Panarabismus
einmal abgesehen – wie ist es zu erklären, dass ein Regime, das mit seiner
Brutalität und seinen Verbrechen für die syrische Tragödie verantwortlich
ist, im Maghreb so große Unterstützung genießt?
Der Politologe Hasni Abidi vom Global Studies Institute in Genf führt zwei
Gründe an: „Zum einen ist die demokratische Opposition in Syrien weitgehend
unsichtbar und es fehlen ihr Führungspersönlichkeiten. Zum anderen ist der
Westen gegen Assad, was zu Recht Misstrauen hervorruft, wenn man bedenkt,
wie passiv sich die USA und Europa in der Region insgesamt verhalten.“
Andere Experten sehen einen Zusammenhang mit Verschwörungstheorien, die
hinter den arabischen Revolten von 2011 eine Intrige zur Schwächung der
Gegner Israels vermuten.
Die Politologin Louisa Dris-Ait Hamadouche von der Universität Algier
erklärt die Unterstützung vieler Algerier für Assad durch die traumatische
Gewalterfahrung, die sie in den 1990er Jahren gemacht haben. Die heutige
Situation in Syrien ist zwar mit dem damaligen Bürgerkrieg in Algerien
nicht vergleichbar. Doch die Bevölkerung Algeriens verspürt bis heute „eine
tiefe Abneigung gegen extreme Gewalt, deren Opfer die syrischen Zivilisten
sind, und gegen die nachweisliche Präsenz auswärtiger Mächte in diesem
Konflikt“. Das Regime versteht es, das Bürgerkriegstrauma immer wieder
wachzurufen, um so potenzielle Proteste gegen die Regierung im Keim zu
ersticken.
Allerdings gehen auch im Maghreb viele Islamisten – ob Salafisten oder
Muslimbrüder – mit dem syrischen Präsidenten hart ins Gericht. Sie wollen
den sunnitisch-schiitischen Gegensatz anheizen und in ihre eigene
Gesellschaft tragen. Sie verteufeln den Iran und die Hisbollah genauso wie
Assad. Die einzigen Stimmen in Tunesien, die sich für eine Einstufung der
Hisbollah als Terrororganisation aussprachen, kamen aus der islamistischen
Ennahda-Partei. Und die marokkanische PJD hält mit ihrer Abneigung gegen
Assad nicht hinterm Berg.
Die Anführer der islamistischen Parteien wissen, dass solche Positionen
unpopulär sind und sie damit Gefahr laufen, eigene Anhänger zu verprellen,
die weniger empfänglich sind für den angeblichen sunnitisch-schiitischen
Religionskonflikt als für panarabische Ideen. Das erlebte bereits die
Islamische Heilsfront (FIS) in Algerien Anfang der 1990er Jahre. Nach der
irakischen Invasion Kuwaits im August 1990 war die FIS-Führung noch gegen
Saddam Hussein. Wenig später änderte man unter dem Druck der Straße die
Position und schickte schließlich sogar Freiwillige, um den Irak gegen die
Truppen der internationalen Koalition zu verteidigen.
Aus dem Französischen von Jakob Farah
10 Apr 2016
## LINKS
[1] http://monde-diplomatique.de/artikel/!5275731
[2] http://monde-diplomatique.de/artikel/!5264210
## AUTOREN
Akram Belkaïd
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