| # taz.de -- Annexion der Krim vor zwei Jahren: Armut, Bürokratie und viel Vert… | |
| > Zwei Jahre nach der Annexion der Krim steht es nicht gut um die | |
| > Halbinsel. Trotzdem halten die Bewohner zu Russland. | |
| Bild: Ein orthodoxer Priester bei der Feier zum zweiten Jahrestag des Krim-Ansc… | |
| „Lasst uns unsere Krim glücklich machen!“, schmetterte Sergej Aksjonow den | |
| Konferenzteilnehmern entgegen. Sie hatten sich in Simferopol versammelt, um | |
| mit dem Regierungschef der Krim gemeinsam Bilanz zu ziehen: Die Ergebnisse | |
| des „Frühlings der Krim“ standen zur Debatte. Hinter „wesna“, dem | |
| „Frühling“, verbirgt sich in diesem Fall die russische Annexion der | |
| Halbinsel vor zwei Jahren. | |
| Aksjonow versteht es, das Volk bei Laune zu halten und Optimismus zu | |
| verbreiten. Die Aufgabe des Aufbaus käme dem Versuch gleich, mit Gewehr und | |
| nur einer Patrone gerüstet einen strategischen Bomber vom Himmel zu holen. | |
| „Ich bin überzeugt, ich schaffe es dennoch“, gab sich der 43-Jährige | |
| siegessicher. | |
| So viel Selbstbewusstsein und Optimismus sind ansteckend. Auch nach zwei | |
| Jahren hat sich die Begeisterung in der Bevölkerung für den Anschluss an | |
| Russland noch nicht gelegt. Die Euphorie ist ein wenig verflogen, doch der | |
| Glaube an eine bessere Zukunft mit Russland ist noch nicht erschüttert. | |
| „Ich hatte mir viel mehr erhofft, noch immer geht alles drunter und | |
| drüber“, schreibt eine Nutzerin in Vkontakte, dem russischen Pendant zu | |
| Facebook. „Dennoch würde ich mich auch nächstes Mal wieder für Russland | |
| entscheiden“, gesteht sie. Ihrem Geständnis stellte sie eine ausführliche | |
| Mängelliste der russischen Politik seit dem Anschluss zur Seite. | |
| ## Ein wilder Umverteilungskampf | |
| Vor zwei Jahren sprachen sich 95 Prozent für einen Wechsel unter Moskaus | |
| Dach aus. Zugegeben, in einer Abstimmung wie sie Russland nun mal so | |
| organisiert. | |
| Mehr erhofft hatte sich auch Zoobesitzer Oleg Subkow. Er war 2014 ein | |
| aktiver Unterstützer des „Krim-Frühlings“. Zwei Tiergärten besaß er – | |
| „Skaska“ (Märchen) und „Taigan“. Ende 2015 musste er beide schließen.… | |
| Bürokratie machte ihm das Leben zur Hölle. | |
| Er ist nicht das einzige Opfer. Ein wilder Umverteilungskampf ist auf der | |
| Halbinsel entbrannt. Auch Michail verlor die Existenzgrundlage. Das kleine | |
| Hotel der Familie wurde samt Grundstück konfisziert. Verträge und | |
| ukrainische Unterlagen entsprächen nicht den neuen Anforderungen, hieß es. | |
| Solche Fälle gibt es zuhauf. „Die lokalen Diebe werden gehasst, aber | |
| niemand kommt auf die Idee, dahinter ein System großen Stils zu vermuten“, | |
| meint Wladimir Garnatschuk von der Initiative „Sauberes Ufer. Krim“. | |
| ## Rekordverdächtiger Optimismus | |
| Wie groß der Heißhunger der Bürokratie noch werden könnte, lässt sich an | |
| der Entwicklung des Flottenstützpunkts Sewastopol sehen. 2014 arbeiteten | |
| 700 Angestellte in der Verwaltung, heute sind es 2.200. Allein der | |
| Gouverneur hat elf Stellvertreter. Ein Zehntel des Stadtbudgets verschlingt | |
| das Heer der Bürokraten. Die Bereitschaft privater Geschäftsleute zu | |
| investieren, sei auch daher gering. Patriotismus hin oder her, so | |
| Garnatschuk. Bei Strafverfahren gegen Beamte liegt Sewastopol weit über dem | |
| russischen Durchschnitt. | |
| Wenn etwas rekordverdächtig ist, dann sind es Optimismus und | |
| Vertrauensvorschuss der Bevölkerung. Das hält die Politik jedoch nicht zum | |
| effektiven Arbeiten an. | |
| Nach Erhebungen der Agentur RIA-Rating steht die Krim beim Lebensstandard | |
| auf dem letzten Platz aller russischen Regionen. Die Krim verzeichnet die | |
| höchste Sterblichkeitsrate und wird von Moskau in gleichem Umfang | |
| unterstützt wie die ärmlichen Kaukasusrepubliken Inguschetien und | |
| Tschetschenien. | |
| 2015 betrug die Inflation mehr als 26 Prozent, im russischen | |
| Landesdurchschnitt lag sie bei knapp 13 Prozent. Seit dem Anschluss 2014 | |
| erreichte sie 80 Prozent. Die Lebensmittelpreise stiegen im letzten Jahr | |
| unterdessen um 28 Prozent (2014: 43 Prozent). Das frisst die Anpassung der | |
| Gehälter und Renten an russisches Niveau fast wieder auf. | |
| Die Krim hängt in der Schwebe. Große russische Unternehmen wagen es nicht, | |
| sich auf der Halbinsel niederzulassen. Sie fürchten Konsequenzen wegen der | |
| westlichen Sanktionen. Die Sberbank, Russlands wichtigstes Kreditinstitut, | |
| fehlt ebenso wie die „Potschta Rossija“. Auch der größte Ölproduzent | |
| „Rosneft“ und die Tankstellen der Kette „Lukoil“ sind nicht vertreten. | |
| Moskaus Fluglinie „Aeroflot“ fliegt Simferopol auch nicht an. | |
| Moskau spricht zwar von gelungener Integration in den russischen | |
| Staatsverband, die beschränkt sich vor allem jedoch auf die Übernahme der | |
| Gesetzgebung. | |
| ## Verblasster Traum Russland | |
| Seit die Landverbindung zur Ukraine unterbrochen ist, kann die Krim nur mit | |
| Flugzeug oder Fähre erreicht werden. Die schlechten Verkehrsverbindungen | |
| symbolisieren den noch mangelhaften Anschluss. 2019 soll eine 19 Kilometer | |
| lange Brücke die Krim mit dem Festland verbinden. Wladimir Putins | |
| Judopartner Arkadij Rotenberg erhielt den Auftrag in Höhe von 228 | |
| Milliarden Rubel (3 Mrd. Euro). | |
| Auch bei der Energie- und Wasserversorgung hapert es. Früher lief beides | |
| über die Ukraine. Der Wassermangel führte dazu, dass kein Reis mehr | |
| angebaut werden konnte. Nun fürchten viele Einwohner, dass ihnen im Sommer | |
| der Strom gekürzt wird, um wenigstens die touristischen Einrichtungen zu | |
| versorgen. | |
| Dennoch, die Bevölkerung hält zu Russland. Auch wenn sie nicht mehr wie | |
| damals im Frühling von einem „traumhaften Russland“ auf der Krim träumt. | |
| Auch ohne die Kommunikationswege ist das wahre Russland schon da. | |
| Im russischen Mutterland ist laut dem Meinungsforschungsinstitut Lewada | |
| unterdessen ein vorsichtiger Stimmungswechsel erkennbar. Langsam dämmert es | |
| den Menschen, dass Moskaus wirtschaftliche Talfahrt auch etwas mit den | |
| Kosten für die Krim zu tun hat. | |
| 18 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus-Helge Donath | |
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