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# taz.de -- Weltpremiere von Max Richters „Sleep“: Durch den Applaus geweckt
> Beim Festival MaerzMusik in Berlin wurde Max Richters „Sleep“ die ganze
> Nacht über gespielt. Das Publikum schlief dazu auf Pritschen.
Bild: Fast wie im Schlaraffenland: Richters Sound lullt im Heizkraftwerk Mitte …
Manche reisen an wie zu einem Campingurlaub. Andere haben die Bitte, einen
Schlafsack mitzubringen, lässig ignoriert: Man wird sie doch nicht im
Kalten liegen lassen?! Sie sollen recht behalten: Die Veranstalter des
Berliner MaerzMusik-Festivals haben sich Mühe gegeben, das ehemalige
Heizkraftwerk Mitte, sonst eher Kulisse für kühle,
elektronisch-industrielle Klangwelten, für die Weltpremiere von Max
Richters achtstündigem Stück „Sleep“ gemütlich zu machen: Ein
Streetfood-Wägelchen im Erdgeschoss verkauft Ratatouille. Im Konzertraum
strahlt ein Kronleuchter von der Decke. 420 Feldbetten stehen im Raum
verteilt. Und ein paar Decken kann man eben doch leihen.
Vor einem halben Jahr veröffentlichte der Post-Klassik-Komponist sein
Manifest zur Nacht als Download – eine eingedampfte Fassung gibt es in Form
des Albums „from Sleep“. Mit dem Stück will Richter daran erinnern, wofür
die Nacht da sein sollte: für den Schlaf. Seine Ambient-artige Komposition
bezeichnet Richter im Interview als Einladung, abzuschalten: „Neue
Technologien sind toll, doch sie stimulieren endlos unsere Neugierde
Die Kehrseite ist, dass man sich für Auszeiten bewusst entscheiden muss.“
Kommunikationsmöglichkeiten rund um die Uhr sorgen dafür, dass eben nicht
nur unsere elektronischen Endgeräte, sondern wir selbst in einem
Always-on-Modus sind.
Von dem Anspruch, immerzu vernetzt zu sein, kommen auch die Veranstalter
nicht weg: Bei der Einführung erklären sie, dass es heute an diesem Ort
ausnahmsweise WLAN gibt und man unter [1][#OneWorldSleep] seine Eindrücke
teilen kann. Das allerdings scheint kaum jemanden zu interessieren. Die
Leute machen, was man eben macht vor dem Einschlafen: Zähne putzen, der
Freundin den Rücken kratzen. Das Publikum ist gemischt, der
Altersdurchschnitt niedriger als sonst bei Klassikkonzerten. Viele sind
allein da, manche mit Freundes- oder Familienverband. Feldbetten werden
zusammengerückt. Fremde lächeln einander an, die Stimmung ist freundlich.
Anfangs stehen ein paar Versprengte vor der Bühne und gucken Richter und
seinem Streicherensemble beim Musizieren zu. Doch bald folgen alle dem Sog
des Bettes, bei einem kleinen Rundgang um 1.30 Uhr überall verrenkte
Gliedmaßen und wunderbar entspannte Gesichtszüge. Morgens um halb sieben
ein ähnliches Bild. Viele lassen sich vom erst spärlichen – schließlich
dösen die meisten noch –, dann anschwellenden Applaus um acht Uhr wecken.
Im Zuge seiner Arbeit hat Richter sich mit dem Neurowissenschaftler David
Eagleman über die Wirkung von Klängen auf den Schlaf ausgetauscht – und
dabei erfahren, dass repetitive Sounds und niedrige Frequenzen dem
Tiefschlaf zuträglich sind. Doch auch wenn „Sleep“ so lang ist wie eine
ideale Nachtruhe: Eine Schlafhilfe will das Stück nicht sein – „eher ein
kreatives Experiment, wo sich Musik und der schlafende Geist treffen“, so
Richter.
Dazu kann man bei dieser Performance tatsächlich Beobachtungen anstellen.
Bemerkenswert erscheint etwa, dass viele Köpfe sich doch noch mal kurz aus
dem Schlafsack recken, als die Sopranistin zu wortlosem Gesang ansetzt.
Offenbar sind wir doch programmiert, bei der menschliche Stimme genauer
hinzuhören. Freunde berichteten, dass ihr Zeitgefühl ihnen ein ziemliches
Schnippchen geschlagen hat: Gefühlt hingen sie ewig in der hypnagogen
Halbschlafphase fest, doch die Zeit ist trotzdem viel zu schnell vergangen.
Nach Kommunikation steht morgens den Wenigsten der Sinn. Das
Frühstücksangebot vor Ort wird weitgehend ignoriert, die Menschen stolpern
in den sonnigen Morgen hinaus. Später in der U-Bahn kämpft ein junger Mann
mit zufallenden Lidern. So verschwörerisch, wie er grinst, als sein Blick
auf meinen Schlafsack fällt, war er wohl auch dort.
17 Mar 2016
## LINKS
[1] https://twitter.com/search?q=%23OneWorldSleep&src=tyah
## AUTOREN
Stephanie Grimm
## TAGS
Schlaf
Brooklyn
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Pianist
Hamburg
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