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# taz.de -- Schöneberger Kiez nach dem Fall Beck: Von der Wahrheit weit entfer…
> Der Grünenpolitiker wurde im Schwulenkiez mit einer „drogenähnlicher
> Substanz“ erwischt. Erschüttert das die schwule Gemeinde? Eine
> Spurensuche.
Bild: Das Motto im Schöneberger Kiez.
Keine Frage: Es rumort im schwulen Kiez rund um den Nollendorfplatz! Am Für
und Wider der Debatte sind schon Freundschaften zerbrochen. Geschäftsleute
berichten von Umsatzeinbußen, nebenan in der Motzstraße mit ihren schwulen
Bars und den Fetischboutiquen, vor allem aber in der Maaßenstraße, wo es
passiert ist. Es ist der große Aufreger dieser Tage: die missratene
„Begegnungszone“ mit ihren hässlichen Betonpollern, den leeren Parkbänken
und dem täglichen Verkehrschaos.
Aber was ist mit dem anderen Skandal, dem Fall Volker Beck? Bernd, ein
freundlich dreinblickender Herr mit grauem Dreitagebart, stochert in seinem
Käsekuchen und zuckt mit den Schultern. Mit zwei schwulen Freunden sitzt er
an diesem grauen Samstagnachmittag im Café Berio in der Maaßenstraße, einer
schwulen Institution. Quer gegenüber, kolportieren Anwohner, soll sich die
Dealer-Wohnung befunden haben, bei deren Verlassen Deutschlands wichtigster
schwuler Politiker mit 0,6 Gramm einer „betäubungsmittelsuspekten Substanz“
in eine Polizeikontrolle geriet.
„So viel redet man da nicht drüber“, sagt Bernd. Und auch wenn Ralf, sein
Gast aus München, findet, in Bayern sei es eher ein Thema gewesen, sind
sich doch alle am Tisch einig: Eine Riesenaffäre ist die Sache nicht
gewesen. „Was ja vielleicht auch daran lag, dass Beck immer für die
Legalisierung war!“ Wobei Bernd nicht ausschließen will, dass es jemand
gezielt auf den schwulen Politiker abgesehen hatte: „Mir hat mal eine
Freundin aus der Verwaltung erzählt, den Wowereit nannten sie dort intern
nur ,unseren Arschficker‘ … die Ressentiments gibt’s schon noch.“ Willi,
der dritte Mann am Tisch, findet, Beck war auch leichtsinnig: „Da muss er
sich nicht wundern, wenn er so im Kiez rumspaziert, wo er doch so bekannt
ist.“
Erfahrungen mit Crystal Meth haben die Herren am Tisch alle nicht gemacht,
sagen sie, und sie finden nicht, dass der Nollendorfkiez ein
ausgesprochenes Problem damit habe. „Aber wenn du in die Bars gehst, dann
siehst du doch eine Menge verstrahlter Leute“, sagt Bernd. Das sei
vielleicht die Einsamkeit oder der Stress. Vielleicht seien Schwule einfach
grundsätzlich offener. Auf jeden Fall aber habe Beck eine zweite Chance
verdient.“
## Aufregung in Maßen
Auch in der benachbarten Motzstraße hält sich die Aufregung in Grenzen. Der
Kiez und seine schwulen Bewohner sind ein bisschen in die Jahre gekommen.
Neben den Sexkinos, Bars und Fetischboutiquen, die längst einen großen Teil
ihres Umsatzes mit Touristen machen, eröffnen immer mehr Apotheken; Angebot
und Nachfrage. „Volker Beck? Kein Thema!“, findet ein Barbetreiber, der
nicht mit Namen genannt werden will: „Nicht weil der Mann uninteressant
ist, sondern weil so viele das machen, da spielt doch einer mehr oder
weniger keine Rolle mehr. Da redet einfach keiner drüber, nur die
Journalisten, die jetzt ständig auftauchen.“
Der schwule Buchladen Prinz Eisenherz ist vor ein paar Jahren in die
Motzstraße gezogen. Mitgeschäftsführer Roland Müller-Flashar war regelrecht
verwundert, wie schnell das Thema bei seinen Kunden wieder passé war: „Nach
zwei, drei Tagen sprach da kaum noch einer drüber.“ Robert, der gerade
einen Roman namens „Blutsbrüder“ an der Kasse zahlt und zwei Straßen weit…
wohnt, mischt sich ein: „Ich finde es schade, dass die Leute dann immer
gleich weg vom Fenster sind, der hatte doch schließlich eine Menge
Verdienste.“ Haben die beiden Angst davor, der Fall könne irgendwelche
Konsequenzen für Homosexuelle insgesamt haben? „Nein, da ist doch ein Stück
Normalität eingetreten, vielleicht wäre das aber vor zehn Jahren noch
anders gewesen.“
Hendryk Ekdahl und Uli Simontowitz vom benachbarten Hafen wollen das mit
der Normalität nicht so stehen lassen. Der Hafen ist eine Institution im
Kiez, vor 25 Jahren war er die erste Bar ohne verdunkelte Fensterscheiben
in der Motzstraße, mit ihm zog eine neue Generation von schwulen Männern
ins Traditionsviertel, selbstbewusster und gewillt, die Gesellschaft zu
verändern. Heute stellt Simontowitz sich die Frage: Wer hat hier wen
verändert?
Der Fall mache doch deutlich, dass es einen enormen Diskussionsbedarf gebe
über die Diskrepanz zwischen einer postulierten Normalität, in der Schwule
ein bürgerliches Leben führen könnten, und einer Realität, die nun mal
weiterhin oft eine ganz andere sei. „Und wenn so einer wie Beck, der ja
direkt in der schwulen Welt gelebt hat, der aufgetaucht ist, der mutig war,
der sich auch angreifbar gemacht hat, in so ein Spannungsfeld gerät, dann
ist doch eine interessante Frage: Warum?
Eine Frage, findet Simontowitz, über die Schwule nicht nur im Kiez viel zu
wenig reden. „Wir haben nun mal auch weiterhin spezifische Bedürfnisse und
gehen eben nicht einfach so in der Heterogesellschaft auf“, ergänzt Ekdahl.
Und Simontowitz sagt: „Beck hat doch mit dem, was er da gemacht hat, ein
Phantombild durchbrochen, das da lautet: Wir Schwulen sind jetzt alle ganz
normal, wir verdienen alle viel Geld, wir haben tolle Wohnungen, tolle
Partnerschaften, die halten 30 Jahre und Kinder haben wir auch. Und dann
passiert so was und alle fragen sich: Wieso? Dahinter lauert die
Vorstellung, wenn du das alles darfst, dann musst du solche Sachen doch
nicht mehr machen! Aber das ist natürlich verlogen. Und weil da niemand
drüber reden will, wird geschwiegen. Dabei wäre es furchtbar notwendig,
genau diese Fragen endlich zu debattieren: Wie sind wir aufgewachsen, wie
haben wir gelernt, mit unserer Sexualität umzugehen oder auch nicht, und
wie kommen wir mit unseren Sehnsüchten zurecht, wie schaffen wir das alles,
den Stress, den normativen Druck?“
Stattdessen, befürchtet er, werde nun das Gegenbild vom Drogenkiez
gezeichnet, das mit der Wahrheit genau so wenig zu tun habe wie die schöne
schwule Welt: „Im Gegenteil, in Schöneberg ist es vergleichsweise schwer,
an Drogen heranzukommen. Uns in diese Ecke drängen zu wollen, das ist nun
wirklich absurd.“
24 Mar 2016
## AUTOREN
Dirk Ludigs
## TAGS
Berlin-Schöneberg
Schwul-Lesbisch
Drogen
Schwerpunkt Volker Beck
Crystal Meth
Schwerpunkt Volker Beck
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