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# taz.de -- Kolumne Herbstzeitlos: Friede, Freude, Eierschecke
> Können Menschen, die so gut backen, wirklich schlecht sein? Zu Besuch in
> der fremden Heimat Dresden, zwischen Pegida und Restbarock.
Bild: August der Starke und die Frauenkirche: das einstige „Elb-Florenz“
Wahrnehmungsverschiebungen bekommt man auch ohne Drogen ganz gut hin. Man
muss nur mal kurz die Perspektive wechseln – oder, so wie ich, versuchen,
seinem slowenischen Lebensgefährten Deutschland zu erklären. In letzter
Zeit komme ich verstärkt in Erklärungsnöte, aber im Großen und Ganzen hilft
es ja nichts: In unserem Zweiergespann bin ich nun mal der Experte für
hiesige Gepflogenheiten.
Gestern nun waren wir zum ersten Mal zusammen in der sächsischen
Landeshauptstadt Dresden. Von Berlin aus betrachtet, fährt man mit dem Auto
zwei Stunden durch den Wald, rollt dann einen Berg runter und findet in
einem Flusstal eine ziemlich große Stadt mit Restbarock in der Mitte.
Ungefähr doppelt so viele Einwohner wie Ljubljana hat Dresden, aber
kriegsbedingt mittlerweile weniger Barock als die slowenische Hauptstadt.
„Sogar der Fluss hat gebrannt, wegen der Phosporbomben“, erzähle ich, und
wir können es beide kaum glauben, als wir von den Elbterrassen aus in
Richtung Dresden-Neustadt schauen. Einen richtigen König gab es hier
einmal, im „Florenz an der Elbe“, und es gibt auch ein imposantes
Opernhaus.
## Flamboyantes Backwerk und der Islam als Ganzes
Besser zusammengefasst wird die lokale Geschichte nur in einer Broschüre
des traditionellen Dresdner Cafés, in dem wir „Eierschecke“ und noch ein
anderes, besonders flamboyantes Backwerk mit Marzipandekoration bestellen.
Man sieht ein Bild von August dem Starken, dann eine ausgebrannte Ruine mit
der Jahreszahl 1945 und schließlich die Frauenkirche, „wiedererrichtet von
allen Deutschen nach der Wiedervereinigung“, erkläre ich. Geht man hinein
und blickt nach oben, kann man auch glauben, in eine luxuriös gestaltete
Mall geraten zu sein.
Und dann ist da noch ein zeitgenössisches Phänomen namens Pegida. Wie soll
man das nun erklären? Leute, die irgendwie gegen alles sind, mit dem
Schwerpunkt auf dem Fremden, dem Neuen und insbesondere dem Islam als
Ganzem? Und das in dieser so kultivierten, geschichtsträchtigen Stadt?
Mein Freund fühlte sich in Dresden eher wie in Prag, die Kaffeehauskultur
erinnerte ihn an Wien. Und als wir uns schließlich mit dem Auto in den
Dresdner Feierabendverkehr fädelten, um aus der Stadt zu gelangen, wurden
wir sehr freundlich behandelt. Man ließ uns zuvorkommend die Spur wechseln,
gab uns den Vortritt an Ampeln. Kein Hupen nirgends, und das trotz unseres
ausländischen slowenischen Kennzeichens.
Also doch europäisches Abendland at its best mit Weltoffenheit und
sagenhaft guten Torten statt Tal der Ahnungslosen forever? Man kann ja eine
ganze Stadt nicht über einen Kamm scheren, bloß weil hier an Montagen
irgendwelche Spinner spazieren gehen. Und überhaupt: die Oper!
Nur als uns schließlich ein besonders stiernackiger Herr wohlwollend durch
die Seitenfenster betrachtete, kam mir der bedrückende Gedanke, dass man
uns als „Slowenen“ gerade besonders sympathisch finden könnte, weil „wir…
ja schließlich als Erste die Balkanroute geschlossen haben.
Fremd im eigenen Land – so also fühlt sich das an.
17 Mar 2016
## AUTOREN
Martin Reichert
## TAGS
Schwerpunkt Pegida
Dresden
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Aleppo
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