# taz.de -- Experiment Facebook-Sexualitätstausch: Klick und schwul | |
> Was macht Facebooks Algorithmus, wenn sich die Vorlieben ändern? Wer | |
> hetero war, wird homo. Und umgekehrt. | |
Bild: Hosen runter? Angeblich kennen uns die Algorithmen besser, als wir uns se… | |
Nur weil man einmal einen Wischmopp bei Amazon gesucht hat – absurd genug | |
–, wird man fürderhin auf Facebook mit Putzmaterialien-Werbung gestalkt. | |
Ein ungewöhnlich augenscheinliches Beispiel für die Wirkmacht jener | |
Algorithmen, die uns permanent begrabbeln, ohne dass wir es mitbekommen. | |
Wenn es denn bei solch oberflächlichen Informationen bliebe, die wir | |
freiwillig preisgeben. | |
Doch angeblich kennen uns die Algorithmen längst besser, als wir uns selbst | |
kennen – über mich wissen sie jedenfalls, dass ich ein homosexueller Mann | |
um die vierzig bin (“Reisen für Singles“), der gerade mit dem Rauchen | |
aufgehört hat (“Teilnehmer für COPD-Studie gesucht“). Aber was, wenn ich | |
nun einfach mein Suchverhalten ändere? Es kann doch nicht so schwer sein, | |
die Dinger in die Irre zu führen. Und hetero zu werden. | |
Also erst einmal bei Facebook angeben, dass man jetzt auf Frauen steht – | |
und dann fleißig googeln. Gesucht habe ich regelmäßig nach: Vagina, | |
künstlicher Vagina (“Pussy to go“), Fußballschuhen, Römer-Kindersitz, Mi… | |
Martial Arts, Motoröl, Motorsäge, Fleisch grillen und nur einmal aus | |
Versehen „Mats Hummels nackt“ – aber vielleicht hat das schon gereicht, um | |
bei der Facebook-Zentrale Alarm auszulösen. In meinem Fall haben sich die | |
Algorithmen jedenfalls nicht verarschen lassen. Der Gay-Content trudelt | |
weiter über die Timeline, Inhalte von queer.de und Einladungen zur | |
„Warm“-Party. Werbung kommt allerdings gar keine mehr. | |
Außer für den unvermeidlichen Wischmopp von Amazon, der in der Timeline | |
aufpoppt. Vielleicht ist ja die eigentliche Erkenntnis dieses | |
Selbstversuchs, dass Algorithmen Humor haben. Martin Reichert | |
*** | |
Ich habe Facebook nie bewusst mitgeteilt, dass ich eine Hete mit Kindern | |
bin. Aber wer einmal Öko-Bodys in Größe 74/80 geshoppt hat, ist | |
durchschaut. Die Firma zeigt mir Werbung für Filzhausschuhe und | |
Familienhotels auf Usedom an. | |
Dabei halte ich mich gar nicht für so festgelegt-unschwul. Kann ich ein | |
anderer werden? Schritt 1: Ich kreuze an, dass ich auf Männer stehe. Sofort | |
sind die Prioritäten in meiner Timeline verschoben. Ganz oben stehen nun | |
Beiträge über Donald Trumps Homophobien, einen schwulen Popstar, einen | |
schwulen Manager und einer, demzufolge ein indonesischer Politiker glaubt, | |
Instant-Nudeln machten schwul. Die Werbung für eine | |
Geburtsvorbereitungsgruppe wirkt für fünf Minuten etwas fehlplatziert, dann | |
wird sie ersetzt durch die Ankündigung einer Gay-Party. Friss meine Shorts, | |
Facebook-Algorithmus! | |
Einen Tag später fresse ich dann jedoch seine: Meine Timeline sieht wieder | |
nach Reihenhaus aus. Oben steht viel Gähn und Schnarch: was die Kinder | |
meiner Freunde geschnattert haben; jemand fragt nach einer | |
Familienunterkunft am Gardasee. Ich bin wieder die langweilige Hete, die | |
Ökokleider shoppt. | |
Es beginnt Phase 2: Ich muss quantitativ schwuler werden. Ich google | |
„schwul sex accessoires“ und lege einen Prostatastimulator ins | |
Einkaufskörbchen, Gleitgel dazu. Ich mache Friends meiner schwulen Freunde | |
wahllos Anträge. Ich abonniere die Beiträge des Schwulen Museums, des CSD, | |
der Gaywiesn, des Magazins Schwulissimo. Und ja, mehr hilft mehr. Das Gay | |
Times Magazine wirbt mich mehrere Tage lang als Kunden. | |
Danach scheint der Algorithmus verwirrt. Er zieht meine jüngsten | |
Google-Suchen zurate und wirbt für eine Pädagogentagung. Auch eine | |
Erkenntnis: Wenn Typ „Filzhausschuh“ Gleitgel kauft, lädt Facebook ihn zum | |
Lehrerkongress ein. Klaus Raab | |
5 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
Klaus Raab | |
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