# taz.de -- Türkischer Nachrichtensender IMC TV: Plötzlich war alles schwarz | |
> Dank alternativer Berichterstattung genoss der türkische | |
> Nachrichtensender IMC TV höchste Einschaltquoten. Nun wurde er vom | |
> Satelliten gekickt. | |
Bild: Einschusslöcher in der Fassade eines Wohnhauses in Diyarbakır. IMC TV z… | |
Berlin taz | Es war kurz vor halb vier am vergangenen Freitag. Der | |
türkische Nachrichtensender IMC TV übertrug ein Live-Interview mit den | |
gerade aus der Untersuchungshaft entlassenen Journalisten Can Dündar und | |
Erdem Gül – und plötzlich war der Bildschirm schwarz. Technischer Fehler? | |
Ein, zwei, drei Minuten, immer noch nichts. Alle Versuche, den Sender neu | |
zu suchen, schlugen fehl. Wenig später war klar, warum: Der öffentliche | |
Satelliten- und Kabelnetzbetreiber Türksat hatte den Sender kurzerhand vom | |
Satelliten gekickt – auf „Empfehlung“ der Staatsanwaltschaft Ankara. | |
„Wir wurden nicht vorgewarnt“, sagt IMC-Fernsehdirektor und Mitbegründer | |
Eyüp Burçam Telefon. „Der schwarze Bildschirm überraschte uns genauso wie | |
unsere Zuschauer, und wir haben bis heute kein Schreiben erhalten. Von den | |
Hintergründen erfuhren wir aus der regierungsnahen Presse.“ | |
In einer offiziellen Erklärung schrieb der Monopolist Türksat, der Vertrag | |
mit IMC TV sei aufgelöst worden, da aus einem Gutachten der | |
Staatsanwaltschaft hervorgehe, dass IMC TV „Propaganda für die bewaffnete | |
Terrororganisation PKK/KCK“ verbreite und damit „die nationale Sicherheit“ | |
gefährde. Ein Argument, das dieser Tage überstrapaziert wird. | |
Am selben Freitag wurde eine Kunststudentin aus ihrem Seminarraum in Bursa | |
von Polizisten abgeführt, aufgrund von Solidaritätserklärungen mit der | |
kurdischen Bevölkerung in Tweets. Der Vorwurf: Terrorpropaganda. Und auch | |
Cumhuriyet-Chefredakteur Dündar und dessen Kollege Gül, die 93 Tage in | |
Untersuchungshaft saßen, müssen nach wie vor mit einer lebenslangen | |
Freiheitsstrafe rechnen. Der Vorwurf: Terrorpropaganda. | |
Dass nun IMC TV dran ist, wundert kaum. Seit seiner Gründung im Jahr 2011 | |
konzentriert sich der TV-Sender mit Hauptstandort in Istanbul und drei | |
Außenstellen in Ankara, Diyarbakırund London vor allem auf Umweltthemen, | |
Minderheiten- und Frauenrechte. Doch schon lange sind es nicht nur | |
kurdische und alevitische Zuschauer, die ihre Nachrichten über IMC TV | |
verfolgen. | |
Seit dem Scheitern des Friedensprozesses zwischen Regierung und der | |
kurdischen Arbeiterpartei PKK im vergangenen Sommer, verzeichnet IMC TV | |
regelmäßig die höchsten Einschaltquoten unter türkischen | |
Nachrichtenkanälen. Als einziger Sender berichtet er aus dem Südosten des | |
Landes, inmitten der Gefechte, von Toten unter der Zivilbevölkerung. | |
## Absolute Willkür | |
„Auch für den Stimmenverlust der AKP bei den Parlamentswahlen im Juni 2015 | |
wurden wir mitverantwortlich gemacht. Dabei begreifen wir uns als | |
parteilos“, sagt Burç.So stehe der Sender seither unter Beobachtung von | |
Rtük, der Regulierungsbehörde für den privaten Rundfunk in der Türkei. Rtük | |
ist eigentlich das einzige Organ, das in Übertragungsrechte und | |
Lizenzierungen eingreifen darf. Allerdings sind Sperrungen langwierige | |
Prozesse und müssen einen Monat im Voraus angekündigt werden. | |
Die Auflösung des Vertrags durch den Satellitenbetreiber Türksat ging | |
wesentlich schneller – ist aber nicht rechtens. „Auch die | |
Staatsanwaltschaft hat nicht das Recht, die Sperrung eines TV-Senders | |
anzuordnen“, fügt Eyüp Burçhinzu. „Das ist absolute Willkür.“ | |
Seit Montag wird IMC TV über einen Hotbird-Satelliten übertragen, der | |
Empfang bedarf einer zweiten Antenne. Aus den digitalen TV-Programmen ist | |
der Sender ganz verschwunden. Der Zuschauerverlust liegt etwa bei 50 | |
Prozent, da der Livestream über das Internet noch läuft – doch weiß man | |
nicht, wie lange. „Die Türkei ist beispiellos im Sperren von kritischen | |
Webseiten. Wir rechnen jederzeit damit“, so der IMC-Direktor. | |
Ob es wohl Zufall war, dass ausgerechnet während des Interviews mit den | |
Journalisten Dündar und Gül der Stecker gezogen wurde? Deren Freilassung | |
hatte Präsident Erdogan zuvor offen kritisiert. „An Zufälle glaubt hier | |
keiner mehr“, sagt Burç. „Schließlich wurden wir aus demselben Grund | |
gesperrt, aus dem die Kollegen angeklagt wurden: weil wir Nachrichten | |
verbreiten. Das heißt: Weil wir unseren Job machen.“ | |
1 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Fatma Aydemir | |
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