# taz.de -- Scouts gegen Bollerwagen: Ein sehr spezieller Job | |
> Seit Beginn der Grünkohlsaison patrouillieren „Kohl-Scouts“ am Bremer | |
> Werdersee – im Kampf gegen den grassierenden Sittenverfall der | |
> Bollerwagen-Gruppen. | |
Bild: „Moin Moin, wir sind die Kohl-Scouts“: Julia Webner und Oliver Schulz… | |
BREMEN taz | Nein, es ist keine Prozession – auch wenn es von Ferne so | |
aussieht: Ein Menschengruppe hinter der anderen, nur wenige Meter | |
voneinander entfernt, wandert gemächlich am Ufer des Werdersees entlang. | |
Die Gruppen kennen sich gegenseitig nicht, aber alle haben Bollerwagen | |
dabei, manche tragen lustige Kopfbedeckungen, die meisten ein Schnapsglas | |
wie einen Brustbeutel um den Hals. Einige haben Luftballons oder | |
Piratenflaggen an ihre Wagen geknotet, die gefüllt sind mit Flaschen in | |
allen Farben des Regenbogens, mit Thermoskannen und mit Bier, sehr viel | |
Bier. | |
Die Vorräte müssen geleert werden, vorher ist der Outdoor-Teil der | |
Kohltouren nicht zu Ende – die deswegen so heißen, weil es nach | |
stundenlangem Marsch, unterbrochen von diversen Trinkspielchen, in ein | |
Gasthaus geht, wo mit Grünkohl, Pinkel, Mettwurst und Kassler die Basis für | |
weiteren Alkohol geschaffen wird. Manchmal lernen sich die Gruppen dort | |
dann auch kennen. | |
2.000 dieser „Kohl-Fahrer“ sind an nur einem einzigem Samstag am Werdersee | |
unterwegs. Dieser abgetrennte Nebenarm der Weser ist mit einer Gesamtfläche | |
von 370.000 Quadratmetern der größte Bremer Badesee. Und weil er mitten in | |
der Stadt liegt, ist er vor allem im Sommer brechend voll – nicht immer zum | |
Vergnügen der AnwohnerInnen. | |
Von denen sind an diesem Wochenende ebenfalls ein paar auf Kohltour: „Vor | |
allem der Müll nervt im Sommer sehr“, sagt eine. Einweg-Grills, | |
Plastikgeschirr, Scherben und Dosen: „Dass die Leute ihren Dreck einfach | |
liegenlassen, das verstehe ich nicht!“ Und der Lärm, verursacht durch | |
Ghetto-Blaster mit Bässen wie bei der Love-Parade, der werde auch von Jahr | |
zu Jahr mehr: „Selbst bei den Kohltouren haben manche mittlerweile extra | |
einen Bollerwagen nur für ihre mobile Disco dabei.“ | |
Sie selbst und ihre Kohl-Truppe haben einen Müllsack im Wagen und kennen | |
sich hier aus, benötigen also die Hilfe von Julia Webner und Oliver Schulz | |
nicht, die mit einem fröhlichen „Moin Moin, wir sind die Kohl-Scouts“ | |
angeradelt kommen. Die beiden StudentInnen sollen für Anstand und Ordnung | |
sorgen im Auftrag von Gerhard Bomhoff, der dem Sittenverfall am Werdersee | |
den Kampf angesagt hat. | |
Vor Jahren schon gründete der 63-Jährige erst eine Bürgerinitiative und | |
dann den Verein „Dein Werdersee“, der, unterstützt von der Stadt Bremen, | |
StudentInnen als „Müll-“ und „Grill-Scouts“ beschäftigt: Locker und | |
kumpelig klären sie im Sommer über die Existenz von Toiletten und | |
Abfalleimern auf, verteilen Müllbeutel und versuchen, den | |
Werdersee-BesucherInnen die Vorzüge von Mehrweg-Grills, Recycling und | |
weniger basslastiger Musik schmackhaft zu machen. | |
Das funktioniert, findet Bomhoff: „Zumindest ist es nicht schlimmer | |
geworden.“ Aber nun lauert mit den Kohltouren ein neuer Feind am Werdersee: | |
„Die Touren werden von Jahr zu Jahr beliebter, und seit im Bürgerpark | |
Alkoholverbot herrscht, kommen die Leute, die sonst dort unterwegs waren, | |
nun auch noch hierher“, sagt er. Und die benähmen sich „wie die Schweine�… | |
sagt er – „die scheißen sogar in die Kleingärten!“ | |
Also hat Bomhoff sich wieder gekümmert, einen runden Tisch ins Leben | |
gerufen, gemeinsam mit Polizei, Kleingärtnern, Grünkohl-Gastronomen – und | |
Bollerwagen-Verleihern. Die haben sich bereit erklärt, Flyer mit | |
Verhaltensregeln und Toiletten-Standorten auszuhändigen, Müllsäcke | |
auszugeben und den Müll bei der Rückgabe der Wagen anzunehmen. Und | |
natürlich patrouillieren nun auch „Kohl-Scouts“ um den Werdersee – genau… | |
gesagt: Webner und Schulz. | |
Die beiden kennen sich aus im Universum des Kohl-Tour-Sports, waren sogar | |
mal ein „Kohl-Königs-Paar“. Sie treffen den richtigen Ton, wenn sie die | |
Gruppen ansprechen – und sie sind gelassener als Bomhoff. „Wenn es nach ihm | |
ginge, wäre Musik bei den Kohlfahrten komplett verboten“, sagt Schulz. Die | |
Scouts allerdings erheben nur dann freundlich den Zeigefinger, wenn’s arg | |
zu laut wird. „Oder wenn die Leute Hupen oder Sirenen benutzen – davon | |
fallen einem nämlich wirklich die Ohren ab“, sagt Webner. | |
Den beiden macht ihr Job großen Spaß – erstaunlicherweise. „Wir empfinden | |
es nicht so, dass wir die Leute stören oder ihnen reinreden. Wir helfen | |
ihnen, und die Menschen freuen sich darüber“, sagt Webner. Klar sei es auch | |
schon vorgekommen, dass allzu Betrunkene gepöbelt hätten, sagt Schulz. „Wir | |
bleiben dann freundlich und entfernen uns wieder.“ Oder dass die Menschen | |
mit einem distanzierten „Wir kaufen nichts – wir haben schon alles“ | |
reagierten, „aber die allermeisten sind sehr nett“. | |
In der Tat: Keine der unzählig vielen Gruppen, die von den Scouts an diesem | |
Samstag angesprochen werden, reagiert genervt, alle sind freundlich, alle | |
haben Spaß. Vielleicht werden die beiden Scouts, die erst Anfang 20 sind | |
und der Inbegriff entwaffnend-fröhlicher Jugendlichkeit, von den Älteren | |
instinktiv in eine Art Welpenschutz genommen und von den Jüngeren als | |
ihresgleichen akzeptiert. | |
Vielleicht liegt’s aber auch am Konzept, denn Webner und Schulz bieten den | |
Gruppen etwas an, nämlich Mülltüten und einen Flyer: „Da sind Toiletten | |
eingezeichnet“, erklären sie, was vor allem bei den Frauen für Begeisterung | |
sorgt. Dass auch Müllcontainer-Standorte, Abgabe- und Ausgabestellen von | |
Müllsäcken sowie „Flops“ und „Tops“ zu Lärmbelästigung und Müll ve… | |
sind, erwähnen sie nicht oder beiläufig. Tüten und Flyer werden dankbar | |
angenommen, die Stimmung bleibt gut. | |
Auch dann noch, als ein junger Mann aus den Büschen kommt und sich noch im | |
Gehen die Hose zumacht: „Da kommen wir wohl zu spät mit unserem Flyer“, | |
sagt Schulz und lacht – und der Wildpinkler lacht mit und bietet den Scouts | |
einen Schnaps an. Selbstverständlich wird der abgelehnt, aber ins Quatschen | |
kommen sie. Er habe, sagt der schon leicht angetrunkene junge Mann, bloß | |
getan, was die Tiere im Wald auch täten. Das sei doch natürlich und völlig | |
in Ordnung. Die Scouts lächeln und fragen, wo die Truppe denn später zum | |
Grünkohlessen einkehren wolle. | |
So souverän hätte Gerhard Bomhoff wohl nicht reagiert, und das weiß er | |
auch: „Nicht ohne Grund machen Studenten diesen Job. Die haben nicht so den | |
erhobenen Zeigefinger.“ Auch die Scouts sind froh, dass „der Gerhard“ nur | |
in Ausnahmefällen selbst mal die Weste anzieht: „Der ist viel zu schnell | |
genervt“, sagt Webner. Verstehen kann sie ihn: „Schließlich wohnt er direkt | |
am Werdersee.“ | |
Andere AnwohnerInnen sind da gelassener: „Ich finde es zwar gut, dass diese | |
Scouts hier unterwegs sind“, sagt ein Spaziergänger, der um die Ecke wohnt. | |
„Aber die Menschen, die an den Werdersee kommen, wollen sich erholen und | |
ihren Spaß haben und das sollte man ihnen auch nicht verbieten.“ Das | |
Problem seien fehlende Mülleimer und fehlende Toiletten: „Dafür sollten | |
nicht irgendwelche Scouts zuständig sein müssen, sondern die Stadt!“ Und | |
die Lautstärke sei eben so in einem Naherholungsgebiet, „so schlimm finde | |
ich das nicht“. | |
Bomhoff gibt ihm Recht – beim Thema Verantwortung: „Natürlich muss die | |
Stadt Bremen hier mehr tun – sie bewirbt den See ja auch fleißig als | |
tollstes Naherholungsgebiet weit und breit!“ Dennoch sieht er am Werdersee | |
überall Menschen, die sich nicht benehmen können: die ohne Rücksicht auf | |
Fußgänger am Ufer entlang radeln, ohne Rücksicht auf Natur und Umwelt die | |
Enten füttern, die zu laut grölen und feiern, die ihren Müll liegen lassen | |
und in die Hecken pinkeln – und all das nehme auch noch zu: „Zwei | |
Kohl-Scouts sind zu wenig“, sagt Bomhoff, „nächstes Jahr brauchen wir hier | |
mindestens vier.“ | |
Gut möglich, dass Webner und Schulz, deren Job mit dem Ende der Kohl-Saison | |
Anfang April beendet sein wird, dann auch wieder dabei sind. Die heutige | |
Schicht der beiden Scouts geht bis zum späten Nachmittag, bei Einbruch der | |
Dämmerung ist Feierabend: „Danach würde das nichts mehr bringen – dann si… | |
die Leute einfach zu besoffen.“ | |
22 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
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Alkohol | |
Weihnachten | |
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