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# taz.de -- Kolumne Macht: Tribunal, ein andermal
> Die erfreulichste Meldung aus Syrien, die derzeit vorstellbar wäre? Dass
> Baschar al-Assad mit russischer Unterstützung ins Exil geht.
Bild: Hauptsache weg: Baschar al-Assad aus Syrien
Die Fülle der „Kollateralschäden“ des Krieges in Syrien ist kaum noch
überschaubar. Tausende, ach was: Hunderttausende toter Zivilisten,
Millionen verzweifelt auf der Flucht, eine dramatische Verschlechterung
internationaler Beziehungen und das drohende Ende der Idee eines vereinten
Europa.
Kein Wunder, dass sich für langfristige Folgen der Ereignisse kaum jemand
interessiert, wenn sie keine sofortige Reaktion erzwingen. Dabei nimmt die
Menscheit gerade Abschied von einem schönen Traum. Der Vorstellung nämlich,
dass es möglich ist, Gerechtigkeit durch internationale Gerichte
herzustellen, dass politische Verbrecher also grundsätzlich zur
Rechenschaft gezogen werden können. Diese Vorstellung hat sich als Illusion
erwiesen.
Was wäre die erfreulichste Meldung, die derzeit im Zusammenhang mit Syrien
vorstellbar wäre? Dass Baschar al-Assad mit russischer Unterstützung ins
Exil geht. Das globale Aufatmen wäre ohrenbetäubend. Die Opfer und deren
Angehörige sähen das gewiss anders, aber dem Rest der Welt wäre es
vermutlich ziemlich egal, wenn Assad den Rest seines Lebens die Möglichkeit
hätte, sich von Kaviar zu ernähren und goldene Wasserhähne zu benutzen.
Hauptsache, er verschwindet von der Bildfläche.
Und es stimmt ja: Wenn es überhaupt eine Chance auf Frieden in Syrien geben
soll, dann muss erst einmal Assad weg sein. So lange er allerdings zu
befürchten hat, wegen seiner Verbrechen vor ein internationales Gericht
gestellt zu werden – so lange wird er unter gar keinen Umständen bereit
sein, auch nur ein Quäntchen der ihm verbliebenen Macht aufzugeben. Das
gilt nicht nur für ihn. Sondern für alle Diktatoren dieser Welt.
## Kaviar und goldene Wasserhähne für immer
Was für Vorwürfe hat sich die Regierung von Simbabwe dafür gefallenlassen
müssen, dass sie 1991 dem äthiopischen Diktator Mengistu Haile Mariam Asyl
gewährt hat? Noch heute lebt er unbehelligt dort. Aber was wäre denn die
Alternative gewesen? Hätte ihm Strafverfolgung gedroht – er hätte bis zum
letzten Blutstropfen gekämpft. Und zwar nicht nur bis zu seinem letzten
Blutstropfen, sondern auch bis zu dem sehr vieler anderer Menschen.
Die Frage, ob ein Kriegsverbrecher vor ein internationales Gericht gestellt
wird, hängt nicht vom Ausmaß seiner Untaten ab, sondern davon, ob er gerade
noch rechtzeitig eingesehen hat, wann der Zeitpunkt für einen wenigstens
halbwegs geordneten Rückzug gekommen ist. Politiker werden im Regelfall
erst dann vor internationale Gerichte gestellt, wenn sie diesen Zeitpunkt
verpasst und einen bewaffneten Konflikt endgültig verloren haben.
Die Führungsspitze der Nationalsozialisten wurde in den Nürnberger
Prozessen verurteilt. Nach einer viel zu lange hinausgezögerten deutschen
Kapitulation. Hätten die Attentäter des 20. Juli Erfolg gehabt, Hitler
getötet und das aushandeln können, was sie unter einem ehrenvollen Frieden
verstanden: Hätte Himmler, Göring und Goebbels ein Prozess gedroht?
Vermutlich nicht. Auch die Tribunale, die den Jugoslawienkrieg und den
Völkermord in Ruanda aufarbeiten, können das nur tun, weil feststeht, wer
Sieger und wer Besiegte sind.
So lange eine Niederlage nicht vollständig ist, so lange wird kein
Gewaltherrscher dieser Welt kapitulieren - wenn er befürchten muss, infolge
dessen vor Gericht zu landen. Das ist empörend. Aber subjektiv
verständlich.
Internationale Tribunale werden durch diese Einsicht nicht überflüssig.
Aber sie verändern ihren Charakter. Sie stehen nicht mehr für das
Versprechen globaler Gerechtigkeit, sondern für die Aufforderung an
Diktatoren in Bedrängnis, die letzte ihnen verbliebene Möglichkeit zu
nutzen. Das ist nicht die Erfüllung eines Traumes, aber doch besser als
nichts. Für alle Beteiligten. Wer erklärt das Assad?
17 Mar 2016
## AUTOREN
Bettina Gaus
## TAGS
Den Haag
Baschar al-Assad
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Syrien Bürgerkrieg
Russland
Schwerpunkt Syrien
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