| # taz.de -- Myfest am 1. Mai in Berlin: Straßenkampf statt Straßenfest | |
| > Die Zukunft des Myfests ist dieses Jahr völlig offen – keiner will | |
| > Verantwortung übernehmen. Linksautonome sehen darin eine Chance. | |
| Bild: Platzt der Ballon in diesem Jahr? | |
| Berlin taz | Wer in diesen Zeiten an der Revolution festhalten will, | |
| braucht Selbstbewusstsein. Den OrganisatorInnen der traditionellen | |
| 18-Uhr-Demonstration, die jedes Jahr am 1. Mai durch Berlin zieht, mangelt | |
| es daran offensichtlich nicht: Die Demonstration werde in diesem Jahr durch | |
| genau den Teil von Berlin-Kreuzberg führen, in dem seit 13 Jahren das | |
| Myfest stattfindet, verkündete das Demobündnis am Montag – denn dieses | |
| Straßenfest, das im letzten Jahr rund 45.000 BesucherInnen angezogen hatte, | |
| werde es dieses Jahr nicht geben. | |
| Ein bisschen weit aus dem Fenster gelehnt, die Revoluzzer? Nicht unbedingt. | |
| Denn tatsächlich ist völlig unklar, ob das Myfest in diesem Jahr | |
| stattfinden wird – obwohl es nicht nur ein Publikumsmagnet ist, sondern | |
| auch als überaus erfolgreiche Befriedungsstrategie gilt. „Alle sagen, wir | |
| brauchen das Myfest unbedingt, aber niemand will die Verantwortung | |
| übernehmen“, klagt Soner Ipekcioglu vom Netzwerk Myfest, der Initiative | |
| hinter dem Fest. | |
| Hintergrund ist ein Streit zwischen dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und | |
| der Polizei mit einer absurd anmutenden Vorgeschichte: Ein Anwohner hatte | |
| im letzten Jahr Klage gegen das Myfest eingelegt, Begründung: Das Fest sei | |
| schon lange keine durch das Versammlungsrecht gedeckte politische | |
| Veranstaltung mehr. Daraufhin gab die Polizei bekannt, beim Myfest handele | |
| es sich in der Tat schon seit zehn Jahren nicht mehr um eine Versammlung, | |
| sondern um ein Straßenfest – sehr zur Überraschung des Bezirks, der nach | |
| eigener Aussage jahrelang davon ausgegangen war, das Myfest falle unter das | |
| Versammlungsrecht. | |
| Der Unterschied ist wichtig: Handelt es sich nicht um eine politische | |
| Versammlung, ist nicht die Polizei, sondern der Veranstalter für die | |
| Sicherheit verantwortlich – eine heikle Aufgabe. Immer wieder müssen in den | |
| letzten Jahren die Zugänge zum Myfest wegen Überfüllung geschlossen werden, | |
| in den Besuchermassen, die sich durch die engen Straßen schieben, sieht | |
| auch der Bezirk ein Sicherheitsrisiko. Bezirksbürgermeisterin Monika | |
| Herrmann (Grüne) hatte schon im letzten Jahr angekündigt, das Konzept des | |
| Fests aus Sicherheitsgründen zu überdenken. | |
| ## Den Kiez zurückerobern | |
| Die Ankündigung des Demonstrationsbündnisses, in diesem Jahr durch das | |
| Gebiet des Myfests zu ziehen, gibt dem Streit jetzt eine besondere Brisanz. | |
| Schließlich war das Myfest 2003 auch deswegen eingeführt worden, um den | |
| Bezirk an diesem Tag zu befrieden. Eine Strategie, die aufging: Während | |
| sich das Myfest zum Massenereignis gemausert hat, gibt es am 1. Mai in | |
| Berlin immer weniger Ausschreitungen. Immer wieder betonen Polizei und | |
| Senat, wie wichtig das Straßenfest, das weite Teile Kreuzbergs in Beschlag | |
| nimmt, für einen friedlichen Verlauf des Tages ist. | |
| Nur: Seit klar ist, dass der Veranstalter des Myfests für die Sicherheit | |
| der BesucherInnen haftet, will niemand mehr die Verantwortung übernehmen. | |
| „Das Bezirksamt wird kein privates Straßenfest veranstalten“, sagt Jörg | |
| Flähmig, Büroleiter der Bezirksbürgermeisterin. Zwar gebe es bereits ein | |
| aktualisiertes Konzept, das Bezirk, Polizei, Feuerwehr und die | |
| Anwohnerinitiative hinter dem Fest gemeinsam erarbeitet hätten – ein | |
| Veranstalter sei aber nicht in Sicht. | |
| Denn auch das Netzwerk Myfest fühlt sich dieser Aufgabe nicht gewachsen: | |
| „Die Dimension dieser Veranstaltung ist viel zu groß für uns“, sagt | |
| Ipekcioglu. Er sieht den Senat in der Pflicht, schließlich habe das Myfest | |
| längst landesweite, wenn nicht bundesweite Relevanz. Von dort aber gibt es | |
| bisher keinerlei entsprechende Signale – und die Zeit ist knapp: Bis Mitte | |
| Februar brauche man Klarheit über die Veranstaltungsfrage, heißt es seit | |
| Monaten vom Ordnungsamt. Die Route durch das Festgebiet ist hingegen schon | |
| seit letztem Juli angemeldet, bestätigt die Berliner Polizei. | |
| „Wir haben kaum noch Hoffnung, dass es dieses Jahr ein Myfest geben wird“, | |
| sagt Ipekcioglu. Eine gute Nachricht für diejenigen, die das Myfest in den | |
| letzten Jahren immer wieder für seinen unpolitischen Charakter kritisiert | |
| hatten. „Ohne diese Massenveranstaltung können sich die Menschen ihren Kiez | |
| zurückerobern“, sagt Marko Lorenz vom linksradikalen 18-Uhr-Bündnis – und | |
| lässt offen, was genau er damit meint. | |
| 15 Feb 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Malene Gürgen | |
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