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# taz.de -- Israel unlustig: Clown hinter Gittern
> Mohammed Abu Sakha ist einer von derzeit 660 „Verwaltungshäftlingen“. Als
> Zirkustrainer arbeitete er mit jungen Behinderten.
Bild: Der Clown und Akrobat Abu Sakha bei einem seiner Auftritte.
Bir Zeit taz | Der Palästinenser Mohammed Abu Sakha war auf dem Weg zur
Arbeit, als ihn israelische Soldaten an einem Kontrollpunkt in der Nähe von
Nablus im Westjordanland aus dem Bus holten und mit vorgehaltener Waffe
festnahmen. Der 24-jährige Clown, Akrobat und Zirkustrainer sitzt seit
sechs Wochen hinter Gittern und wird dort voraussichtlich bis mindestens
Mitte Juni bleiben.
Was genau ihm vorgeworfen wird, weiß er selbst nicht, denn eine Anklage
gegen ihn gibt es nicht. Abu Sakha stelle eine „ernsthafte Gefahr“ dar,
begründete der Richter der Armee die sogenannte Verwaltungshaft. Außerdem
mache es die allgemeine Sicherheitslage in der Region erforderlich, ihn
vorläufig unter Verschluss zu halten.
Für die Kinder und Jugendlichen vom „Star Mountain Rehabilitation Center“
unweit von Ramallah ist die Verhaftung ihres Zirkustrainers eine kleine
Katastrophe. Seit eineinhalb Jahren arbeitete Abu Sakha regelmäßig zwei
Stunden pro Woche mit den jungen Behinderten, die beim Balancieren und bei
Übungen auf dem Trampolin die Grenzen ihrer Möglichkeiten ständig erweitern
konnten. Im Juni sollte der Zirkustrainer für vier Wochen nach Berlin
reisen – zur Fortbildung beim Circus Sonnenstich, wo Artisten mit
Downsyndrom die Publikumsstars sind.
„Es war seine eigene Initiative, mit Kindern zu arbeiten, die geistig oder
körperlich eingeschränkt sind“, berichtet Jessika Davlieghere. Die
gebürtige Belgierin ist Mitbegründerin der Zirkusschule, die heute in
modernen Räumen und einem Zirkuszelt auf dem Gelände der katholischen
Kirche in Bir Zeit wöchentlich 150 Schüler ausbildet. Fast ein Jahr lang
habe Abu Sakha im Rehabilitationszentrum bei der Arbeit der Betreuer nur
zugesehen, erinnert sie sich, bevor er anfing, mit den jungen Behinderten
künstlerisch zu arbeiten. „Er empfindet den Zirkus als Privileg und wollte
andere, Schwächere teilhaben lassen.“
## „Er ist noch nicht einmal verhört worden“
Der beliebte Zirkustrainer ist einer von derzeit 660 Verwaltungshäftlingen.
Das sind doppelt so viele wie noch im vergangenen September. Die Zahl
steigt rapide, denn Israel setzt beim Kampf gegen den aktuellen Terror auch
auf die umstrittene Maßnahme der Freiheitsberaubung ohne Tatverdacht. Dazu
kommt, dass Abu Sakha, solange ein Rechtsverfahren aussteht, weder Besucher
haben noch mit seiner Familie telefonieren darf.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief wiederholt dazu auf, die Häftlinge
entweder vor ein Gericht zu stellen oder freizulassen. Viele Palästinenser,
die zum Teil Jahre ohne Verfahren hinter Gittern verbringen, versuchen, mit
Hungerstreiks auf die ungerechte Behandlung aufmerksam zu machen. In
mehreren Fällen gab die Besatzungsmacht Häftlingen nach, die sich mit
Langzeithungerstreiks ihre Freiheit erzwangen.
„Die Administrativhaft ist die letztmögliche präventive Maßnahme“, heiß…
in einer angefragten Stellungnahme des Armeesprechers. Sie komme nur zur
Anwendung, wenn „der Häftling eine reale und akute Sicherheitsbedrohung
darstellt, und wenn gleichzeitig „aufgrund der Umstände des Falls, der auf
vertrauliche Informationen beruht, die Häftlinge nicht vor Gericht gestellt
werden können“. Abu Sakha sei „an Aktivitäten der Terrororganisation
Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP)“ beteiligt gewesen. Laut
Auskunft des Armeesprechers sei der damals 19-jährige Clown vor sieben
Jahren schon einmal verurteilt worden und musste, weil er an einer
„illegalen Zusammenkunft“ teilgenommen hatte, für vier Wochen ins
Gefängnis.
Abu Sakhas Freunden zufolge weist die Stellungnahme der Armee einige
Ungenauigkeiten auf. Der Clown wird erst Ende des Jahres 25, er habe
bereits mit 17 Jahren im Gefängnis gesessen und nicht erst mit 19, und zwar
unter der Anklage, Steine auf Soldaten geworfen zu haben. „Er ist noch
nicht einmal verhört worden“, schüttelt Zirkusgründerin Davlieghere den
Kopf über den Vorwurf, ihr junger Kollege stelle ein Sicherheitsrisiko dar.
„Der Zirkus war seine ganze Welt“, erinnert sie sich an den pubertierenden
Gymnasiasten, der zu ihren ersten Schülern gehörte und „sofort mit dem
Zirkusvirus infiziert war“.
4 Feb 2016
## AUTOREN
Susanne Knaul
## TAGS
Palästinenser
Israel
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