# taz.de -- Machtkampf in Venezuela: Und gleich eine Kampfansage | |
> Aus der Opposition zur Mehrheit im venezolanischen Parlament: Die neue | |
> Nationalversammlung hat erstmals getagt. | |
Bild: Geht es nach Rechts? Parlamentspräsident Henry Ramos Allup | |
CARACAS taz | Mit einer klaren Kampfansage an Venezuelas Präsident Nicolás | |
Maduro begann am Dienstag die erste Sitzung der neuen Nationalversammlung: | |
„Innerhalb von sechs Monaten werden wir eine Methode vorschlagen, um die | |
Regierung auf dem Verfassungsweg auszutauschen“, sagte Parlamentspräsident | |
Henry Ramos Allup in seiner Antrittsrede. | |
Erstmals nach 16 Jahren stellt die Opposition im Parlament wieder die | |
Mehrheit. Die chavistische Regierungspartei ist in der ungewohnten Rolle | |
der Minderheit. Nichtsdestotrotz nahm der chavistische Fraktionsführer | |
Héctor Rodríguez den Fehdehandschuh auf. Endlich habe die Opposition ihre | |
Maskerade fallen gelassen und ihr wahre Absicht gezeigt, so Rodríguez. | |
„Ramos Allup hat beschlossen die Regierung von Präsident Nicolás Maduro | |
innerhalb von sechs Monaten zu beerdigen.“ Das werde seine Fraktion und das | |
Volk zu verhindern wissen. | |
Was folgte war ein heftiger verbaler Schlagabtausch mehrerer Redner, der in | |
seinem Verlauf für einen kurzen Moment in einen physischen Schlagabtausch | |
auszuarten drohte. Dabei hatte selbst Präsident Maduro am Vorabend zu einem | |
friedlichen Parlamentsauftakt aufgerufen. Und Verteidigungsminister General | |
Vladimir Padrino twitterte, dass sich die Armee nicht einmischen und die | |
Verfassung respektieren werde. | |
Die Anspannung war dennoch groß, viele Caraceños befürchteten gewaltsame | |
Zusammenstöße. Opposition und Regierung hatten für Dienstag | |
Unterstützungsdemonstrationen angekündet. Schon am frühen Morgen | |
kontrollierte die Polizei weiträumig das Stadtgebiet, sperrte die | |
Straßenzüge um das Parlamentsgebäude ab und schloss die umliegenden | |
Metrostationen. Große Aufmärsche fanden jedoch nicht statt, beide | |
Gruppierungen blieben überschaubar und getrennt. Wer konnte, mied diesen | |
Teil der Stadt. | |
## Demonstration und Gegendemonstration | |
Etwas verwundert rieb sich denn auch Andreína Zorilla die Augen. Pünktlich | |
um neun war die 45-jährige Staatsangestellte zur Plaza Venezuela gekommen, | |
suchte den Sammelpunkt der rotgedressten Chavistas, fand aber nur hier und | |
da kleinen Grüppchen, die an der große Plaza verloren wirkten. Warum so | |
wenige gekommen seien, verstehe sie auch nicht. „Wenn sich die | |
Konterrevolution heute des Parlaments bemächtigt, dann geht es doch | |
schließlich um die Verteidigung des Vermächtnisses unseres Comandante Hugo | |
Chávez, der sozialistischen Revolution und um unser Vaterland“, sagt sie | |
etwas trotzig und setzt sich in Richtung Präsidentenpalast Miraflores in | |
Bewegung. | |
Dass die Opposition wenig Menschen auf die Straße brachte, überraschte | |
nicht. Für viele ihrer Anhänger aus der Ober- und gut betuchten | |
Mittelschicht ist das Regierungsviertel noch immer eine Tabuzone, in der | |
die Chavistas angeblich seit Jahren keine oppositionellen Demonstranten | |
dulden. Juan Pablo Eira ist dennoch bis auf den kleinen Platz vor die | |
Nationalversammlung gekommen. Endlich sei der Tag gekommen, an dem die | |
Opposition wieder auf einer großen und wichtigen Bühne reden kann. | |
Fähnchen schwingend skandiert der 26-Jährige Student mit seiner Gruppe „Se | |
acabó, la dictadura se acabó – die Diktatur ist zu Ende“. 2014 sei er wie | |
viele seiner KommilitoInnen für einen Regierungswechsel auf die Straße | |
gegangen. Der Versuch, die Regierung mit dem Druck der Straße aus dem Amt | |
zu hebeln sei damals nicht gelungen. „Noch heute sitzen über 30 von uns im | |
Gefängnis, 2.000 sind nur unter Auflagen auf freiem Fuß“, sagt Juan Pablo. | |
Für ihn sind es politische Gefangene, deren sofortige Freilassung er | |
fordert. Für die Regierung und die von ihr kontrollierte Justiz sind sie | |
verantwortlich für gewaltsame Proteste, an deren Ende 43 Menschen getötet | |
und Tausende verletzt wurden. | |
## Live nur auf Youtube | |
Im Parlament trat der Fraktionsführer der Opposition, Julio Borges, ans | |
Rednerpult. Während sich hinter seinem Rücken sein Amtskollege Rodríguez | |
von der chavistischen Fraktion heftig mit dem Parlamentspräidenten Henry | |
Ramos Allup stritt, nannte Borges die Reihenfolge der Gesetzesvorhaben, die | |
in den kommenden Tagen von der Parlamentsmehrheit eingebracht werden soll. | |
An erster Stelle steht das Gesetz für Amnestie und nationale Versöhnung. | |
Indes erreichte der Streit des chavistischen Fraktionsführers und des | |
Parlamentspräsidenten seinen Höhepunkt. Als Konsequenz verließ die | |
GPP-Fraktion geschlossen den Plenarsaal. Später wurde der Auszug mit einer | |
Verletzung der Geschäftsordnung begründet, Borges hätte nicht über | |
Gesetzesvorhaben sprechen dürfen. | |
Von alldem bekamen die wenigsten VenezolanerInnen etwas mit. Keiner der | |
zahlreichen Fernseh- und Rundfunkkanäle übertrug die erste Plenarsitzung | |
live, dafür zeichnte die Regierung verantwortlich. Der Opposition ist es | |
jedoch gelungen, einen Livestream auf Youtube zu installieren, sodass via | |
Internet die Sitzung verfolgt werden konnte. | |
## Zwei-Drittel-Mehrheit? | |
Seit Dienstag besitzt nun die Opposition in dem Ein-Kammer-Parlament die | |
Mehrheit. Das aus Konservativen und Sozialdemokraten bestehende Bündnis | |
„Tisch der Einheit“ (MUD) stellt 112 der 167 Abgeordneten. Das chavistische | |
Regierungsbündnis Gran Polo Patriótico (GPP) kommt auf 55 Delegierte. | |
Umstritten ist gegenwärtig, ob die Opposition über eine | |
Zwei-Drittel-Mehrheit oder über eine Drei-Fünftel-Mehrheit verfügt. | |
Der minimale Unterschied hat eine maximale Auswirkung: Mit einer | |
Zwei-Drittel-Mehrheit kann die Opposition das in der Verfassung verankerte | |
Referendum über den Verbleib des Präsidenten im Amt einleiten. Nach drei | |
Jahren Amtszeit kann die Bevölkerung über den weiteren Verbleib des | |
Präsidenten im Amt entscheiden. Gegenwärtig hätte Maduro wohl kaum eine | |
Chance. Nach einem Beschluss des Obersten Gerichts sind jedoch vier Mandate | |
vorläufig ausgesetzt, drei des MUD und eines des GPP. | |
6 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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