# taz.de -- Regisseur über die Arbeit an Filmen: „Kinofilme zu machen ist di… | |
> Regisseur Marco Kreuzpaintner hat mit dem „Polizeiruf 110“ erstmals einen | |
> TV-Film gedreht. Ist das Fernsehen doch viel besser als sein Ruf? | |
Bild: Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) und Baumann (Karl Markovics) in „U… | |
taz.am wochenende: Herr Kreuzpaintner, nach diversen Kinofilmen ist der | |
„Polizeiruf“ nun Ihre erste Arbeit fürs Fernsehen. Warum machen Sie das? | |
Die Arbeit mit Redaktionen in den Sendern wird doch immer als die Hölle | |
beschrieben? | |
Marco Kreuzpaintner: Nein, Kinofilme zu machen ist in Deutschland gerade | |
die Hölle, weil einem die Verleiher reinreden und man nur ein Genre | |
bedienen darf: die romantische Komödie. Und man darf die auch nur mit drei | |
Schauspielern besetzen: Elyas M’Barek, Matthias Schweighöfer oder Til | |
Schweiger. Dagegen heißt Fernsehen zu machen derzeit, dass man Filme machen | |
darf, die früher im Kinomittelfeld liefen: kein extremes Arthousekino, aber | |
auch kein Blockbusterkino. So was wie „American Beauty“. Solche Filme | |
interessieren mich am meisten – und die sind alle ins Fernsehen | |
abgewandert. | |
Wird das Fernsehen – ob linear oder nonlinear – attraktiver? | |
Muss es ja, weil das deutsche Kino unattraktiv geworden ist. Nennen Sie mir | |
zehn deutsche Filme aus den vergangenen fünf Jahren, die Ihnen am Herzen | |
liegen. Da kommen Sie nicht mal auf fünf. „Victoria“ nennen Sie vielleicht. | |
Und dann? Zuletzt noch „Der Staat gegen Fritz Bauer“. Pro Jahr werden rund | |
180 Kinofilme in Deutschland produziert, und kaum ein Film, der ohne die | |
drei genannten Schauspielern auskommt, schafft es auf mehr als 500.000 | |
Zuschauer. Das heißt: Den kommerziellen deutschen Film gibt es nicht. Es | |
gibt nur den kommerziellen M’Barek-Schweighöfer-Schweiger-Film. Und wenn du | |
keinen dieser Schauspieler bekommst oder – womöglich – gar nicht willst, | |
dann brauchst du gar nicht erst anzutreten. Das ist die große Lüge vom | |
erfolgreichen deutschen Film. | |
Wurden die Zuschauer aus den deutschen Kinofilmen getrieben, oder was ist | |
der Grund dafür? | |
Ich kann es Ihnen nicht erklären. Man kann natürlich den Zuschauer nicht | |
komplett aus der Verantwortung nehmen und nur auf die Filmbranche zeigen. | |
Ich bin es auch leid zu sagen, dass der internationale Film halt besser | |
sei. Das stimmt ja nicht. Es gibt hier ganz tolle Filmemacher. Vielleicht | |
trifft der Satz „Der Prophet ist im eigenen Land nichts wert“ auf | |
Deutschland im Besonderen zu. Seit Jahren versuche ich einen Film über | |
Rainer Werner Fassbinder zu finanzieren. Der war ein Seismograf | |
bundesdeutscher Realität und hat ein unglaubliches Werk hinterlassen: klug, | |
ohne intellektualisiert blutarm zu sein. Das ist selten. 60 Prozent des | |
Geldes würde ich aus Frankreich bekommen. Aus Deutschland kommt nichts. | |
Warum? | |
Weil es ein Fiasko ist, wie man in Deutschland finanzieren muss: Du darfst | |
einen Film ja nur einreichen, wenn du einen Sender mit im Boot hast. Und | |
unter denjenigen, die bei den Sendern für Kino-Koproduktionen zuständig | |
sind, gibt es zwei oder drei Gute und viele Angsthasen. Wenn du an einen | |
Angsthasen gerätst, kannst du schon mal gar nichts einreichen. Mein Gott, | |
ich red mich hier gerade um Kopf und Kragen. | |
Lassen Sie sich nicht aufhalten. | |
Dabei bin ich gerade eigentlich ganz positiv gestimmt, wenn ich die | |
Möglichkeiten sehe, die man mittlerweile hat. Während jahrelang das | |
Fernsehen aufgegeben wurde, hat sich dort zuletzt einiges getan. Viele gute | |
Filme sind ins Fernsehen und auf Video-on-Demand-Plattformen ausgewichen. | |
Dort werden viele Leute erreicht, und man kann tolle Geschichten erzählen. | |
Also haben Sie im Fernsehen auf dem Sonntagabendsendeplatz mehr Freiheiten | |
als im Kino? | |
Zahlreiche „Polizeirufe“ und „Tatorte“ sind ja mittlerweile Autorenfilm… | |
Du darfst deine eigene Handschrift zeigen und dich dort sogar | |
weiterentwickeln, weil du in einem ziemlich freien Raum agierst. Denn was | |
kann wirklich Schlimmes passieren? Du hast eine Stammzuschauerschaft, und | |
gerade von dem „Polizeiruf“ aus München erwarten die Zuschauer ja förmlic… | |
dass er etwas Eigenes hat. Niemand ist beleidigt, wenn du eine neue | |
Erzählform nutzt. Im Gegenteil, viele wären wohl beleidigt, wenn es | |
konventionell wäre oder wenn man versuchen würde, daraus einen | |
Sylvester-Stallone-Ballerfilm zu machen. | |
Passen Sie auf, was Sie sagen. | |
Parallelen zu anderen Sonntagabendfilmen sind rein zufällig. | |
Aber es sind ja doch einige beleidigt, wenn am Sonntagabend was Neues | |
probiert wird. Erinnern Sie sich an den letzten Tukur-„Tatort“ aus | |
Wiesbaden und die folgende Bild-Kampagne. | |
Mich lässt das kalt. Ich habe mit 27 einen Film in den USA machen dürfen, | |
mit einem bekannten Produzenten und einem bekannten Hauptdarsteller. Mein | |
Quäntchen Ego, das nach Anerkennung strebt, hatte damit seine Bestätigung. | |
Seitdem ist mir solche Kritik kackegal. Ich weiß schon selbst, ob ich | |
meinem Anspruch gerecht geworden bin. Es gibt Filme von mir, die ich okay | |
finde, und es gibt Filme, auf die ich stolz bin. Und auf diesen | |
„Polizeiruf“ bin ich stolz. | |
Warum sind Sie gerade auf den stolz? | |
Der Film hat einen Ansatz, den ich so noch nicht kannte: Dass der Täter den | |
Kommissar von seiner Tat überzeugen muss. Eine ironische Umdrehung des | |
ganzen Genres. Das hat mich fasziniert. Die Regie zu übernehmen ist ja nie | |
eine Entscheidung fürs Genre oder fürs Fernsehen, sondern immer fürs | |
Drehbuch (von Alexander Buresch und Matthias Pacht; d. Red.). Und meistens | |
strotzt das, was man in diesem Land angeboten bekommt, nicht gerade vor | |
Originalität. Aber das ist bei diesem „Polizeiruf“ anders. | |
Was ist bei diesem Drehbuch und Film anders als bei sonstigen Krimis? | |
Ich muss jetzt verallgemeinernd sprechen, obwohl ich weiß, dass es | |
Ausnahmen von dieser Norm gibt: Aber meistens ist der Mord an sich nicht | |
mehr als eine Projektionsfläche, auf der Privatprobleme der Kommissare | |
verhandelt werden. Da stehen Kommissare neben einem toten Menschen und | |
unterhalten sich lustig darüber, dass sie es nicht geschafft hätten, ihre | |
Sachen aus der Reinigung abzuholen. Wenn ich das möchte, gucke ich | |
„Lindenstraße“. Das Potenzial solch einer dramatischen Tat und die ganze | |
Empathie für das Opfer fallen hinten runter. Wenn ich einen Film mache, | |
kann ich solch eine Tat nicht nur als Hintergrund nehmen, um lustige | |
Bildchen zu drehen. Das finde ich zynisch. Ich muss doch das | |
Konfliktpotenzial ernst nehmen. Ich wusste, dass ich das bei diesem | |
Drehbuch ausreizen kann. | |
17 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Jürn Kruse | |
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