# taz.de -- Verschleierung durch Phrasen beim CCC: Die Karriere der Flüchtling… | |
> „Flüchtlingstsunami“, „Das Boot ist voll“, „Asylgegner“ – wie | |
> verschleiert Sprache mit Floskeln Sachverhalte? Auch darum geht‘s beim | |
> CCC-Kongress. | |
Bild: Gedruckte Tweets beim CCC-Kongress – bestimmt auch voller Phrasen. | |
HAMBURG taz | „Guten Tag meine sehr verehrten Damen und Herren“, Kai | |
Biermann lehnt auf dem Pult und intoniert gelangweilt ins Mikrofon. „Liebe | |
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 32. Chaos Communication Congress, liebe | |
Vertreterinnen und Vertreter gesellschaftlicher Gruppen, liebe Freunde. Ich | |
freue mich, heute, hier, in diesem Raum vor ihnen, vor euch, reden zu | |
dürfen.“ Das darf er nicht lange. Kurz darauf unterbricht ihn Martin Haase | |
um endlich zum Punkt zu kommen: Hier geht es um Floskeln in | |
Politikersprache, bei der man manchmal ganz schön lange zuhören muss, bis | |
es endlich konkret wird. | |
Haase, Linguistik-Professor in Bamberg, und Biermann, Journalist bei der | |
Zeit, machen gemeinsam das [1][Neusprechblog], auf dem sie sich mit | |
Floskeln in öffentlicher Sprache beschäftigen. Ihr Vortrag auf dem | |
CCC-Kongress ist ein Auszug aus dieser Arbeit – kurzweilig und erhellend, | |
gespickt mit ein wenig Linguistik-Theorie. | |
Sie zerlegen zum Beispiel zwei Reden von Sigmar Gabriel, beide zu demselben | |
Thema (Panzerexporte nach Saudi Arabien) und beide mit derselben Haltung | |
(ablehnend), aber mit einem gewaltigen Unterschied in der Wortwahl: Die | |
eine Rede ist von Gabriel als Oppositionspolitiker, die andere von ihm als | |
Minister. In der Opposition sagte er „gefährlich“ und „Waffen“, als be… | |
Minister „nicht zu rechtfertigen“ und „Waffensysteme“. | |
Es geht um Innenminister Thomas de Maizière, Ex-Generalbundesanwalt Harald | |
Range, Bundeskanzlerin Angela Merkel. Aus einer Merkel-Rede kürzen die | |
beiden Vortragenden alle nichtssagenden Phrasen und Doppelungen heraus: Es | |
bleibt knapp die Hälfte. „Der Witz ist, dass sich der Rest immer noch sehr | |
gut lesen lässt“, sagt Biermann. | |
Insbesondere beschäftigen sich Biermann und Haase mit Floskeln, die mit | |
Bezug auf Flüchtlinge verwendet werden, maritime Bilder wie „Das Boot ist | |
voll“ oder „Flüchtlingstsunami“, kriegerische Ursprünge wie | |
„Flüchtlingsansturm“. In einer [2][Visualisierung] zeigen sie, wie diese | |
Bilder im vergangenen Jahr verwendet wurden, wie manche Worte aufkamen und | |
wieder verschwanden, wie etwa das Wort „Bootsmigrant“. Sichtbar wird auch, | |
dass die Verharmlosungen „Asylgegner“ und „Asylkritiker“ erst im Sommer | |
aufkamen. „Flüchtlingstsunami“ oder „Flüchtlingsansturm“ sind hingege… | |
seit dem Herbst gebräuchlich. | |
Es geht nicht darum, dass Politiker und Journalisten, die diese Worte | |
verwenden, lügen, betont Biermann immer wieder. Es geht darum, dass sie | |
ihre eigentlichen Aussagen verschleiern wollen. „Die wollen euch nicht vor | |
den Kopf stoßen“, erläutert er. „Die wollen nicht, dass ihr sagt: What? | |
Damit bin ich wirklich nicht einverstanden. Die finde ich doof, die wähle | |
ich nicht mehr.“ Es lohne sich genau hinzuhören und das Überflüssige | |
herauszufiltern. | |
30 Dec 2015 | |
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[1] http://neusprech.org/ | |
[2] http://neusprech.org/floskeln-als-krisenbarometer-32c3/ | |
## AUTOREN | |
Lalon Sander | |
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