| # taz.de -- Debatte Pegida und der neue Hass-Diskurs: Heiter predigen glaubende… | |
| > Das „Volk“ überbietet sich gegenseitig mit Hetzreden und berauscht sich | |
| > an abstrusen Lügen. Kann es sie auch ernsthaft als wahr befinden? | |
| Bild: Die Spaltung der Gesellschaft ist schon längst vollzogen | |
| Eine Frage, die mich, was die „Dumpfbacken“ (Wolfgang Schäuble) von AfD, | |
| Pegida und Internet-Hate-Speech anbelangt, so umtreibt, ist diese: Glauben | |
| die wirklich an den bösartigen Wahnsinn, den sie verbreiten, oder tun die | |
| nur so? | |
| Immer wieder wird man mit der Nase darauf gestoßen, dass da allerdreisteste | |
| Lügengeschichten verbreitet werden, von Flüchtlingen, die angeblich alten | |
| deutschen Großmüttern ihre „prall gefüllten“ Einkaufswägen mit den Wort… | |
| „Merkel zahlt“ entwenden oder „Luxusschuhe“ mit Einkaufsgutscheinen | |
| verlangen, über die Abschaffung von „Weihnachtsmärkten“ auf Druck von | |
| „Islamisten“ bis zu steigenden Verbrechens- und Vergewaltigungsraten, | |
| welche durch Asyl-SoKos festgestellt würden. | |
| Das Kontrafaktische in den Hasspredigten ist so offensichtlich, die meisten | |
| der Gerüchte so häufig und „amtlich“ widerlegt, die Konstruktion der | |
| Geschichten so durchsichtig, dass sich die Rede davon eigentlich erübrigt. | |
| Niemand, nicht einmal der vernageltste Holzkopf, kann so etwas ernsthaft | |
| glauben. Und doch scheint es: Ein gutes Drittel der Bevölkerung tut es – | |
| mehr oder weniger. | |
| Dass man sich bei seinen wohligen Hetzritualen nicht um die einfachsten | |
| Begriffe von Logik und Anschauung schert, dass man sich mit Hetzreden | |
| gegenseitig überbietet, dass man jedes noch so abwegige Gerücht begierig | |
| aufnimmt, wenn es nur ins dumpfe völkische Weltbild passt, alles das ist | |
| für propagandistische Verblendung und Verschwörungsparanoia ja „normal“. | |
| Was nicht „normal“ ist: Wie schnell und weit das in die „Mitte“ geht, w… | |
| viel davon sich die Demokratie gefallen lässt, die sich gern einmal | |
| „wehrhaft“ nennen lässt. In ihrer Neujahrsansprache warnt die Kanzlerin vor | |
| einer Spaltung der Gesellschaft. Aber die ist längst vollzogen: Die | |
| völkisch-nationalistisch denkende und vor allem „glaubende“ Rechte und die | |
| demokratische Zivilgesellschaft können miteinander nicht mehr reden. | |
| ## Die Propagandisten kennen die Trigger | |
| Die „besorgten Bürger“, verhalten sich, wenn sie beim Lügen und Denunzier… | |
| erwischt werden, wie jene Kinder, bei denen entschieden pädagogisch etwas | |
| schiefgelaufen ist: Sie reagieren nicht mit Einsicht und Reue, sondern mit | |
| Wut und Verleugnung. Statt ihre Lügen zu gestehen erfinden sie neue, | |
| möglicherweise über den, der sie überführt hat. | |
| Sind das Leute, die sich an ihrem eigenen Lügengeflecht so berauschen, dass | |
| sie irgendwann selber dran glauben, oder sind es gewiefte Propagandisten | |
| und Taktiker, die ziemlich genau wissen, welche Trigger sie betätigen | |
| müssen, um bei ihresgleichen höhnische Zustimmung und bei den anderen | |
| Entsetzen und Empörung zu ernten? | |
| Die Frage, ob die wirklich geglaubt haben, was sie da als „ideologische“ | |
| Rechtfertigung von Raub, Mord und Niedertracht verzapft haben, die | |
| Geschichten von der Rasse, dem Volk, dem Führer usw., die habe ich schon | |
| bei den historischen, den „echten“ Nazis nicht wirklich beantworten können. | |
| Ein Grund dafür lag daran, dass diese echten Nazis die Frage selber nicht | |
| beantworten konnten und wollten. Daran glauben, mitgerissen sein, zynisch | |
| danebenstehen, mitlaufen, innerlich widersprechen – das alles scheint | |
| durcheinandergegangen zu sein. Man hat geglaubt, man hat mitgemacht, man | |
| hat profitiert, man hat von nichts gewusst. Und jetzt ist das wieder da: | |
| Ein „Volk“ berauscht sich an etwas, das nicht nur gelogen, sondern schlecht | |
| und dumm gelogen ist, und ist gleich wieder bei der Mordlust angelangt. Wie | |
| kann so was passieren? | |
| Ein bisschen hilfreich, wenn auch über Bande gespielt, erscheint mir da ein | |
| kleiner Artikel von Slavoj Žižek in der FAZ (23. 12.), den „Glauben“ an | |
| Weihnachten und seine Mythologie betreffend. Man glaubt, so Žižek, an | |
| Weihnachten, weil die Kinder an Weihnachten glauben sollen. | |
| Man glaubt an Weihnachten, weil andere daran glauben (sollen): „Auf | |
| unheimliche Weise scheint Glaube immer auf Distanz zu funktionieren. Damit | |
| er funktioniert, muss es einen ultimativen Garanten für ihn geben, einen | |
| wahren Gläubigen, doch ist dieser Garant nie persönlich anwesend. Das | |
| Subjekt, das wirklich glaubt, muss also überhaupt nicht existieren, damit | |
| der Glaube wirksam ist.“ | |
| Eine Lügengeschichte innerhalb des rassistischen Hass-Diskurses hat also | |
| nicht unbedingt den Zweck, im einfachen, „realistischen“ Sinn des Wortes | |
| „geglaubt“ zu werden, sondern vielmehr den, einen abwesenden Glaubenden zu | |
| konstruieren. Diesen nennt man nun einfach „Volk“. Und dieses Volk der | |
| neuen Hetze, noch ohne Führer, aber schon wieder mit einem kleinen Reich, | |
| ist der wahre Gläubige, der befiehlt zu hassen, und vielleicht auch das | |
| eine oder andere „Asylantenheim“ anzuzünden. | |
| ## Wahre Gläubige, wahre Hassende | |
| Da ist es beinahe unnütz zu sagen, dass man bei der Pegida-Versammlung am | |
| 21. Dezember in Dresden auch Weihnachtslieder gesungen hat. Wie obszön, wie | |
| zynisch, wie gottverlassen muss man sein, wenn man die Musik zu einem | |
| großen mythischen Drama vom Ausgestoßenwerden und Beherbergtsein | |
| missbraucht, um seinem Hass auf Flüchtlinge Ausdruck zu verleihen? | |
| Man muss, fürchte ich, Slavoj Žižek noch einmal herumdrehen. Der wahre | |
| Gläubige ist zugleich der wahre Hassende, darin sind sich Pegida-Anhänger | |
| und Dschihadisten vollkommen einig. Sie erfüllen nur den Befehl von außen, | |
| den der andere neben einem ebenso erfüllt und der vielleicht ebenso ahnt, | |
| dass der wahre Gläubige in Gestalt des wahren Hassenden gar nicht | |
| existieren muss. | |
| Die „Wahrheit“ ist nicht die denunziatorische Lügengeschichte, nicht die | |
| Hasspredigt der „halbfaschistischen Hampelmänner“ (so Marilyn Monroe einst | |
| über die Vertreter des Ausschusses für unamerikanische Umtriebe) und | |
| Hampelfrauen, die ihr Handwerk bei den Fernsehentertainern gelernt haben. | |
| Die Wahrheit ist einzig und allein der Hass. Der braucht nur ein Opfer, | |
| nichts weiter. | |
| Womit man einem Pegidisten nun wirklich nicht zu kommen braucht, ist ein | |
| „Argument“, ist „Wirklichkeit“, ist gar der Hinweis darauf, wie „nüt… | |
| am Ende die Flüchtlinge sein können (der Zynismus der Realpolitik). Worauf | |
| es ankommt, ist einzig eine Zivilgesellschaft, die selbst ein klares Wort | |
| findet. Dieses Wort lautet: „Nein“. | |
| 10 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Georg Seeßlen | |
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