| # taz.de -- Kolumne Liebeserklärung: Früher war alles besser | |
| > Wer früher sagte, dass „früher“ alles besser gewesen sei, outete sich | |
| > mindestens als Spießer. Im „Heute“ kennt der Kapitalismus keinen Schmerz. | |
| Bild: Lametta, früher, und so. | |
| Früher war alles besser. Und zwar schon deswegen, weil der Satz „Früher war | |
| alles besser“ früher eindeutig als Lüge oder Miesheit zu erkennen war: Denn | |
| früher bedeutet ja „früher“ etwa die Zeit vor 1945 oder vor 1968. Wer also | |
| früher sagte, dass „früher“ alles besser gewesen sei, outete sich damit | |
| mindestens als Spießer, wenn nicht als Mitläufer oder Mörder. Was er oder | |
| sie eigentlich meinte, war: Führer war alles besser. | |
| Heute können wir Älteren mit einigem Recht den – immer wenigeren – jungen | |
| Hupfern um uns herum mit Talleyrand entgegentreten: „Wer das Ancien Régime | |
| nicht kannte, wird niemals wissen können, wie süß das Leben war.“ Ob man | |
| dabei an die Zeit vor dem 11. September 2001 oder an die Epoche vor dem 9. | |
| November 1989 oder gar an jene glückseligen Zeiten denkt, als Willy Brandt | |
| Bundeskanzler war – das mag jeder mit sich selbst ausmachen. | |
| Historiker sind sich heute mehr oder weniger einig, dass der eigentliche | |
| Schwenk ins Fatal-Freie mit dem Zusammenbruch des festen Wechselkurssystems | |
| von Bretton Woods begann. Nach 1973 kamen Thatcher und Reagan, Chomeini und | |
| Kohl, Hochgeschwindigkeitshandel und neoliberale Globalisierung. Letztlich | |
| also das, was Marx und Engels 1848 im „Manifest der Kommunistischen Partei“ | |
| bereits angekündigt hatten: Der Kapitalismus kennt keinen Schmerz, er hat | |
| „kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte | |
| Interesse“. | |
| Gleichzeitig weist etwa der Historiker Andreas Rödder in seiner „Geschichte | |
| der Gegenwart“ darauf hin, dass sich aus dem schon sprichwörtlichen | |
| „Mainstream der Minderheiten“ eine nie dagewesene „Kultur der Inklusion“ | |
| entwickelt habe, in der „vielfältige Lebens- und Lernweisen als Pluralität | |
| wertgeschätzt werden“. | |
| Anders gesagt: Heute darf jede*r mitmachen beim Spiel ohne Regeln. Aber | |
| früher war mehr Lametta. | |
| 1 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Ambros Waibel | |
| ## TAGS | |
| Vergangenheit | |
| Zukunft | |
| Kapitalismus | |
| taz.gazete | |
| Zukunft | |
| Silvester | |
| Skandal | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kommentar Retropien und Nostalgie: Die Sehnsucht nach mehr Lametta | |
| Zwei Drittel der Menschen in Deutschland glauben: Früher war die Welt | |
| besser. Viele verorten sich politisch rechts von der Mitte. | |
| An Neujahr in die Zukunft blicken: Danke für nichts, Zukunft | |
| Mit dem, was da kommt, hat man nur Ärger. Das hat 2015 bewiesen. Das geht | |
| 2016 so weiter. Die Zukunft ist nur für eine Sache zu gebrauchen. | |
| Kommentar Jahreswechsel: Vergesst 2016! | |
| Kein Mensch brauchte 2015. Und 2017 wird genauso unnötig wie 1994 war. Oder | |
| 432 vor Christus. Ja, aber? Ach. Machen Sie sich frei. | |
| Die Wahrheit: Merkel! Monster!! Mutationen!!! | |
| Vorschau 2016: Der Wahrheit-Kalender durchs brandneue Jahr. Kein Skandal, | |
| kein Spektakel, keine Sensation wird ausgelassen. |