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# taz.de -- Amtsgericht unterläuft EU-Richtlinien: „Mit freundlichen Grüße…
> In Dithmarschen erhalten junge Flüchtlinge keinen Vormund – weil sie
> Telefonkontakte zu ihren Eltern haben.
Bild: Kein gesetzlicher Betreuer in Sicht: Ein jugendlicher Flüchtling blickt …
Dithmarschen taz | Der Jugendliche, der aus einem Bürgerkriegsland stammt,
weiß, dass seine Eltern noch leben, weil er hin und wieder mit ihnen
telefoniert oder per Whats-App Botschaften erhält. Das reichte vor dem
Amtsgericht Meldorf im Kreis Dithmarschen aus, um das
Vormundschafts-Verfahren zu beenden: Das Jugendamt, das den amtlichen
Fürsprecher beantragt hatte, zog zurück – Motto: Wenn Kontakt zu den Eltern
bestehe, könnten die schließlich selbst Papiere unterzeichnen und
Entscheidungen für ihr Kind treffen.
Unklar ist, ob der Richter erkennen ließ, dass er den Antrag abgelehnt
hätte: „Einen entsprechenden Hinweis gab es nicht“, sagt Gerichtssprecher
Philipp Terhorst. Andere Quellen machen dagegen das Gericht verantwortlich.
So oder so: „Es ist rechtswidrig, Jugendliche ohne Vormund zu lassen“, sagt
Ulrike Schwarz vom Bundesverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
(B-UMF) in Berlin.
Sie beruft sich auf die seit dem 1. Januar 2014 geltende
EU-Aufnahmerichtlinie, die die Rolle und die Rechte unbegleiteter
minderjähriger Flüchtlinge beschreibt. „Spätestens seit Juli 2015 muss
diese Richtlinie auch in Deutschland umgesetzt werden“, sagt Schwarz.
Neben der rechtlichen Seite erinnert die Lobbyistin an die lebenswirkliche:
„Es ist eine surreale Vorstellung, dass Eltern, die in Syrien, Somalia,
Afghanistan leben oder gar selbst auf der Flucht sind, ein deutsches
Behördenformular ausfüllen, es durch einen amtlichen Übersetzer beglaubigen
lassen und zurücksenden – mit freundlichen Grüßen und Stempeln von der
örtlichen IS-Behörde.“
Notwendig sind solche Verfahren, weil alleinreisende minderjährige
Flüchtlinge einen Sonderstatus besitzen: Für sie gilt in erster Linie nicht
Ausländer-, sondern Jugendrecht. Damit ist das Jugendamt zuständig – bis
November jeweils in dem Kreis oder der Stadt, in der ein Jugendlicher
registriert wurde.
Doch weil zurzeit Verkehrsknotenpunkte und grenznahe Gemeinden überlastet
sind, werden die minderjährigen Unbegleiteten nun bundesweit auf alle Orte
verteilt, so auch nach Dithmarschen, wo zwei Dutzend Jugendliche ankamen.
Einige hatten bereits Vormünder, für die restlichen müssen die amtlichen
Fürsprecher beim Meldorfer Gericht beantragt werden.
Nach taz-Informationen wurden die Anträge in mindestens zwei Fällen wegen
des Elternkontakts zurückgezogen, weitere Verfahren sind noch nicht
entschieden. Die Jugendlichen bleiben in der Obhut des Jugendamtes und
leben in einer Wohngruppe. Doch Entscheidungen für sie treffen oder das
Asylverfahren einleiten, damit sie möglichst schnell ihren Status klären
können, darf laut dem „Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung,
Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher“ nur der
Vormund.
Sich selbst vertreten darf ein Jugendlicher erst mit 18. Dann aber greift
das härtere Asylbewerbergesetz. Auf Anfrage der taz verwies
Gerichtssprecher Terhorst auf die Gesetzeslage, die es Jugendämtern
verbietet, Kinder unter Vormundschaft zu stellen, wenn Kontakt zu den
leiblichen Eltern besteht, auch wenn diese im Ausland sind – doch auf die
Sondersituation der minderjährigen Flüchtlinge treffe diese Regel nicht zu,
sagt Schwarz vom B-UMF: „Diese Jugendlichen brauchen einen rechtlich
qualifizierten Vertreter, der sich auf deutschem Boden aufhalten muss. Der
Kontakt zu den Eltern ist emotional wichtig für die Jugendlichen – auf
ihren Anspruch auf einen Vormund hat das keinen Einfluss.“
Ende November gab es 2.714 unbegleitete Jugendliche im Land, über 440 mehr
als Anfang November. Wie unterschiedlich die Vorgehensweise sein kann,
zeigt der Kreis Nordfriesland, der an Dithmarschen angrenzt: Zwar spricht
auch Jugendamtsleiter Daniel Thomsen vom „allgemeinen Chaos“. Er hat aber
bereits eine Jugendherberge für die unbegleiteten Minderjährigen
angemietet, darüber hinaus sucht der Kreis Gastfamilien. Und ohne Frage ist
klar: „Jeder einzelne Jugendliche benötigt einen Vormund.“
23 Dec 2015
## AUTOREN
Esther Geißlinger
## TAGS
Minderjährige Geflüchtete
Asylverfahren
CDU Schleswig-Holstein
Schwerpunkt Syrien
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