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# taz.de -- Pornografie und christliche Werte: Kein Squirten mit der Kirche
> Julia Pink war beruflich Erzieherin, privat Pornostar. Die evangelische
> Diakonie kündigte ihr, weil ihr Hobby mit christlichen Werten unvereinbar
> sei.
Bild: Julia Pink bei der Vergabe der Venus Awards 2014, dem Filmpreis der Porno…
Murr an der Murr/Berlin taz | Mitten in Murr an der Murr, in einer
Wohngegend mit Gartenzwerg und Carport, steht ein kleiner weißer
Industriebau, zwei Stockwerke hoch. Darin: ein S/M-Studio. Ein
Gynäkologenstuhl, ein Bett und allerhand Folterwerkzeuge, die etwas mit
hochziehen und fesseln zu tun haben könnten. Auf dem Gynäkologenstuhl liegt
Julia Pink.
Ihre Figur ist gebräunt, ihr langes glattes Haar erblondet. Den pinken
Bikini hat sie ausgezogen. Vor ihr steht Steven, ein Kopf kleiner, mit
einem freundlichen Handwerkergesicht, und tut etwas, das man nur noch
schwerlich als fingern bezeichnen kann. Es geht mehr so in Richtung fisten,
schnell und schneller, der Stuhl wackelt, Julia Pink wackelt, sie stöhnt
sich bis zum Orgasmus, der mit einem beeindruckenden Tropfenregen aus ihrer
Möse endet. Weibliche Ejakulation, live und in Farbe. Squirten nennen sie
das.
Die Journalistin bekommt eine Vorführung. Julia Pink bekommt, was sie will:
jede Menge Sex. Sie lädt Männer ein, die mit ihr Sex haben wollen, ihr
Freund, früher Autoverkäufer, jetzt ihr Manager, sexuell ein Voyeur, filmt
das Ganze mit großem Vergnügen. Julia Pink stellt die Filme auf ihre Seite.
Wer sie sehen will, muss zahlen. Die Jungs bekommen nichts, außer Sex mit
Julia Pink. Ihren richtigen Namen sagt sie nicht. Trennung von Hobby und
Person, sozusagen.
Die Diakonie Neuendettelsau vollzieht diese Trennung nicht nach. Julia Pink
hat hier 16 Jahren lang gearbeitet, als Erzieherin Behinderte in einer WG
betreut. Jemand hat ihrer Vorgesetzten von ihrem Hobby erzählt. Die
Vorgesetzte forderte sie auf, darauf zu verzichten, Julia Pink sah das
nicht ein. Ihr wurde gekündigt.
## Jesus ist ziemlich eindeutig
Jesus sagt laut Matthäus 5: „Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der
hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.“ Jesus ist ziemlich
eindeutig. Auch in 1. Johannes 2,16: „Denn alles, was in der Welt ist: des
Fleisches Lust und der Augen Lust und hoffärtiges Leben, ist nicht vom
Vater, sondern von der Welt.“ Die Weltentsagung der Kirche ist auch die
Ignoranz des Körpers und seiner Lüste. Die KatholikInnen haben schon
Probleme damit, wenn der Sex nur um des Spaßes willen stattfindet und nicht
der Empfängnis dient. Die ProtestantInnen dagegen hadern mit der
christlichen Sexualmoral.
In ihrer letzten Denkschrift zur Sexualethik aus dem Jahr 1971 weist die
Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die katholische Maximalforderung
zurück, Sex dürfe nur innerehelich stattfinden und der Fortpflanzung
dienen. „Unter dem Einfluss eines dualistischen Menschenverständnisses hat
man vielfach das geschlechtliche Leben dämonisiert“, heißt es darin.
Und stellt fest: „Das geschlechtliche Gegenüber und die Begegnung von
Männern und Frauen haben ihren Sinn in sich selbst.“ Und weiter noch: „Die
Darstellung des Nackten in Wort und Bild kann informationsfördernd sein und
zur Bereicherung der Beziehungen von Mann und Frau beitragen, wenn sie die
Zusammenhänge menschlicher Sexualität nicht verfälscht.“
## Die evangelische Kirche ist sich uneins
Erotische Darstellungen könnten auch missbraucht werden, warnt die Schrift:
„Das nur ich-bezogene Ausleben der Antriebe, das den Partner zum bloßen
Objekt der eigenen Bedürfnisse macht, bedroht sowohl das Leben des
einzelnen als auch das Zusammenleben in der Gemeinschaft.“
Könnte die Produktion eines Pornofilms auch „den Sinn in sich selbst“
haben? Oder verfälscht Julia Pink auf ihrem Gynäkologenstuhl die
Zusammenhänge menschlicher Sexualität?
Wenn „die Sympathie nicht stimmt, dann läuft nichts“, sagt Pink.
Eigentlich, ergänzt sie, sei sie ja devot. Aber gegenüber der Diakonie ist
sie es nicht. Sie verteidigt ihr Hobby und sieht die klassische Doppelmoral
am Werk: „Dann müsste die Diakonie auch alle entlassen, die Pornos gucken.“
Was fehlt den Protestanten denn nun genau? „Menschen, die eine
ganzheitliche Beziehung vernachlässigen und dennoch Geschlechtsverkehr
miteinander haben, verfehlen die Partnerschaft“, steht in der Denkschrift.
Und dies sei zu behandeln: „Was als bloße Zügellosigkeit oder hemmungslose
Genusssucht angesehen wird, ist in vielen Fällen Unwissenheit, Unreife oder
Unfähigkeit zu Kontakt, Hingabe und Verzicht. Diese Mängel in der
Persönlichkeitsentwicklung sind nicht durch moralische Forderungen zu
beseitigen, sondern erfordern fachliche Hilfe wie Seelsorge und Beratung.“
## Eine psychologische Störung?
Statt Verdammnis hat die evangelische Kirche die Pathologisierung des
unverbindlichen Geschlechtsverkehrs im Angebot. Wer viel mit wechselnden
Partnern vögelt, muss einen psychischen Defekt haben. Julia Pink müsste
demnach geholfen werden. Die Kirche hätte sich um sie kümmern müssen. Das
Gegenteil ist geschehen. Das müsse aufhören, sagte die Diakonie.
Keineswegs, sagt Pink, die keinerlei Einsicht zeigt. Weder die Diakonie
noch Frau Pink glauben, es handele sich um einen Defekt in ihrer
Persönlichkeitsentwicklung.
Wie chaotisch die evangelische Kirche mit der Sexualmoral umgeht, zeigt
sich in weiteren Punkten ihrer Denkschrift: Homosexualität ist danach
schlicht eine „sexuelle Fehlform“. Die Diakonie stellt in ihrer Erläuterung
zum kirchlichen Arbeitsrecht aber klar, dass Homosexualität nicht zu einer
Kündigung führe. Und war laut der Denkschrift die bildliche Darstellung von
Erotik gerade noch hilfreich, so ist Pornografie einige Seiten später „ein
Ausdruck nicht bewältigter Sexualität“ und als „sozialschädlich
abzulehnen“. Pornos legten den Sex auf eine „infantile Stufe der Schau- und
Zeigelust“ fest, Sex werde zum „Objekt des Konsums und der Profitgier“.
Schau- und Zeigelust ist bei Frau Pink und ihren Gespielen garantiert am
Werk. Konsumiert werden ihre Pornos auch, nur mit dem Profit hapert es noch
etwas. Allerdings hat der Konflikt mit der Diakonie dem Profit auf die
Sprünge geholfen: Julia Pink ist nun bundesweit bekannt. Gerade vertreiben
sie eine Puppe mit ihrem Aussehen: 200 Euro soll die kosten.
Dennoch beharrte sie vor Gericht darauf, dass all dies ihr Privatvergnügen
sei, das Dank ihres Pseudonyms nichts mit ihrem Beruf zu tun hat. Doch die
Diakonie sieht das ganz anders: Dieses Verhalten stelle „eine
schwerwiegende persönliche sittliche Verfehlung“ dar.
Zudem seien pornografische Aktivitäten nicht mit ihrem Betreuungsjob
vereinbar, da sie sich dort auch mit dem Sexualleben ihrer Bewohner
auseinandersetzen müsse. „Wer kann das wohl besser als ich?“, fragt Julia
Pink.
## Freiwillig, einvernehmlich und selbstbestimmt
Die evangelische Kirche ist schon seit geraumer Zeit unzufrieden mit ihrer
Denkschrift. 2012 hat sie eine Adhoc-Kommission gebildet, die eine neue
Sexualethik entwickeln sollte. Als sie 2013 eine Orientierungshilfe
herausbrachte, in der sie den Familienbegriff nicht mehr an die Ehe
koppelte, brach ein Sturm der Entrüstung los. Die Adhoc-Kommission wurde
wieder aufgelöst.
Ihr Vorsitzender war der Erlanger Professor Peter Dabrock. Er tritt dafür
ein, feste Kriterien für eine gute Sexualität zu entwickeln, und nennt
ebenfalls Freiwilligkeit, Selbstbestimmung und Einvernehmen. Dabei hat er
das experimentierende Sexualleben der Jugend vor Augen. Und Julia Pink?
Freiwillig, einvernehmlich, selbstbestimmt.
Dabrock, persönlich angeschrieben, sieht durchaus, dass seine drei
Kriterien auch bei Pornografie erfüllt sein könnten. Aber mit ihr verbunden
sei nicht nur eine teils „menschenverachtende Sexindustrie“, sondern werde
auch ein Frauenbild transportiert, das in der Regel Frauen „zu Objekten von
machohaften Männerfantasien degradiere“. Die Kirche dürfe, das sehe die
Verfassung vor, einen gewissen Korridor an Standards der Lebensführung
ihrer MitarbeiterInnen erwarten.
Allerdings hat die Kirche selbst diesen Korridor zuletzt aufgeweicht:
Homosexuelle Pfarrer dürfen laut EKD im Amt bleiben, wenn sie ihre
Homosexualität so wenig wie möglich thematisieren und weiter für die
heterosexuelle Ehe werben. Auch das weltliche Recht setzt Grenzen: Ein
wiederverheirateter Pfarrer durfte trotz Sünde von der katholischen Kirche
nicht entlassen werden. Homosexualität wird in der Bibel sehr viel schärfer
verurteilt als Pornografie. Homosexualität aber ist gesellschaftlich
mittlerweile anerkannt.
## Vom Gleichberechtigungsgesetz ausgenommen
Seiner Mandantin stehe das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit
zu, argumentiert Florian Fleig, Pinks Anwalt. Das sei ein Grundrecht, das
auch die Kirchen nicht ohne weiteres einschränken dürften. Dürfen sie
nicht? Insbesondere das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zeigt,
welche Lücke zwischen Recht und Kirchenrecht klafft. Jemandem wegen seiner
sexuellen Orientierung, seiner ethnischen Herkunft, seiner Religion oder
seines Geschlechts zu kündigen ist laut AGG verboten. Ausnahme: wenn das
Selbstverständnis der Kirche dies rechtfertigt. Die Kirche darf also
theoretisch weiter benachteiligen. Beide Kirchen sind nach dem öffentlichen
Dienst die zweitgrößten Arbeitgeberinnen in Deutschland. Sie beschäftigen
1,3 Millionen Menschen. Darf für sie wirklich das AGG nicht gelten?
So einfach ist das nicht. So hat ein Gericht entschieden, dass bei
„verkündigungsfernen Berufen“ wie etwa bei einer Sozialarbeiterin das AGG
durchaus Anwendung findet.
Und noch ein Problem betrifft das kirchliche Arbeitsrecht: Denn das Prinzip
der Subsidiarität in der Wohlfahrtspflege besagt, dass der Staat bei
sozialen Diensten nur einspringt, wenn andere Träger, also in der Regel die
Kirchen, nicht tätig werden. Zugleich finanziert der Staat aber die soziale
Arbeit der Kirchen. Er unterstützt damit zwei Arbeitgeber, die Menschen
diskriminieren. Der Staat darf aber eigentlich nicht diskriminieren.
Allerdings: Für die Abschaffung des Sonderstatus der Kirchen wäre eine
Grundgesetzänderung und damit eine Zweidrittelmehrheit sowohl des
Bundesrats als auch des Bundestags nötig. Die ist nicht in Sicht. Es wird
also weiter mit kleinen Meißeln am Monolithen der Kirche herumgemeißelt.
Einen der Meißel hat Julia Pink in der Hand gehalten.
Pinks Berufung wurde abgewiesen. „Hätte ich bei Lidl gearbeitet, hätte ich
recht bekommen, hat auch der Richter gesagt“, meint sie. Dass es zweierlei
Recht in Deutschland gibt, kann sie nicht akzeptieren. Julia Pink ist am
vergangenen Donnerstag aus der Kirche ausgetreten.
21 Dec 2015
## AUTOREN
Heide Oestreich
## TAGS
Porno
Evangelische Kirche
Diakonie
Kirche
Flüchtlinge
Sylt
Pornofilm
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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