# taz.de -- Tabak und Kaffee im Dritten Reich: „Verbote wurden ignoriert“ | |
> Für manche Nazis war Tabak ein Volksfeind, Goebbels konnte sich brave | |
> Nazis nur rauchend vorstellen. Nicole Petrick-Felber über ihr Buch | |
> „Kriegswichtiger Genuss“. | |
Bild: Soldaten der Wehrmacht, 1942, rauchend. | |
taz: Frau Petrick-Felber, war Nazideutschland ein Nichtraucherparadies? | |
Nicole Petrick-Felber: Es gab durchaus einen ausgeprägten | |
Nichtraucherschutz, vor allem hinsichtlich der Jugend und schwangerer | |
Frauen. Was aber immer mitschwang: Das NS-Regime brauchte einen gesunden | |
Nachwuchs für die nächste Generation gesunder Soldaten. Ein Paradies stelle | |
ich mir anders vor. Der Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs war | |
darüber hinaus bereits seit den 1920er Jahren bekannt – selbst was das | |
Passivrauchen anbelangte. Daraus Konsequenzen für den Nichtraucherschutz zu | |
ziehen, wie es die Nazis taten – auch in der Art, wie sie es taten –, hatte | |
etwas durchaus Modernes. In der Nachkriegszeit wurde an die medizinischen | |
Erkenntnisse dann nicht mehr angeknüpft, weil sich die Mediziner mit der | |
Frage konfrontiert sahen, unter welchen Bedingungen die Ergebnisse | |
entstanden waren. | |
Heißt das, der SS-Arzt Josef Mengele hat Tabakforschung betrieben? | |
Davon ist mir nichts bekannt. Die relevanten Tabakforscher waren Mediziner | |
an Kliniken und Universitäten. Dies sind eher statistische als | |
experimentelle Arbeiten, basierend auf Krankenakten und Auswertungen von | |
Fragebögen. Ab 1941 wurde die Arbeit aber eingebremst. Was blieb, waren | |
Einschränkungen in der Werbung: Es durfte das Produkt beworben werden, | |
nicht aber das Rauchen selbst. Es durften keine Frauen adressiert und keine | |
Vorbilder für die Jugend beim Rauchen gezeigt werden. Heute nennt man es | |
reine Markenwerbung. Ob ein gesunder, erwachsener „Volksgenosse“ aber | |
rauchen wollte oder nicht, blieb ihm letztlich überlassen. | |
Das bedeutet, Einschränkungen wie das Rauchverbot in NS-Parteizentralen | |
oder im Speisewagen von Hitlers Privatzug blieben Ausnahmen auf | |
ausdrückliche Anordnung des Führers? | |
Es gab umfangreiche Werbe- und vereinzelte Rauchverbote, die bis 1941, | |
bevor sie vereinheitlicht wurden, immer wieder direkt auf Hitler | |
zurückgingen. Vor allem der „Mustergau“ Thüringen diente hier als | |
Erprobungsfeld. Letztlich waren die Verbote aber wenig erfolgreich. Frauen | |
rauchten auch unter dem Schild „Die deutsche Frau raucht nicht“ in | |
Restaurants. Das störte nicht einmal die Wirte, schließlich verkauften auch | |
sie Tabakwaren. Selbst die persönliche Anordnung Hitlers, wonach in den | |
Räumen der NSDAP-Dienststellen nicht geraucht werden durfte, wurde in | |
erstaunlichem Umfang ignoriert. Am Ende führte der zunehmende Mangel an | |
Tabakwaren im Krieg die Frage nach dem möglichen Missbrauch und | |
entsprechenden Verboten ad absurdum. | |
Wie muss man sich den alltäglichen Konsum von Kaffee vorstellen? | |
Reiner Bohnenkaffee war lange Zeit noch viel mehr Luxusgut als ein | |
alltäglich konsumiertes Produkt – ein Pfund Bohnenkaffee kostete fast das | |
Zehnfache eines Pfunds „Kornkaffee“ aus Getreide. Erst 1937 nahm der | |
Bohnenkaffeekonsum stark zu – im Zuge einer zumindest gefühlten | |
Wohlstandsmehrung nach der 1936 erreichten Vollbeschäftigung. Doch 1939 | |
brachen die Importe ein und mit Kriegsbeginn wurde Bohnenkaffee komplett | |
für die Wehrmacht beschlagnahmt. In Frankreich fühlte man sich deswegen | |
schon im Januar 1939 an die Vorkriegsmonate des Jahres 1914 erinnert, weil | |
es auffiel, dass es in Nazideutschland trotz hoher Importe an Bohnenkaffee | |
zu mangeln begann. Für die Zivilbevölkerung gab es nach Kriegsbeginn | |
Bohnenkaffee nur noch in Form von Sonderzuteilungen: jeweils alljährlich zu | |
Weihnachten und fürs Durchhalten nach Bombenangriffen – den im Volksmund | |
dann so genannten „Zitterkaffee“. | |
Und beim Tabak? | |
Bis zum Sommer 1939 rauchten die Deutschen mehr Zigaretten denn je – im | |
Schnitt 15 Stück täglich. Der Trend ging weg vom Rauch-, Kau- und | |
Schnupftabak und von der Zigarre hin zur Zigarette. Der Zigarettenkonsum | |
nahm vor allem bei Männern zu. In einer Umfrage wurde dies auf zunehmende | |
gesellschaftliche Verpflichtungen, stärkere Beanspruchungen im Beruf und | |
nervliche Belastungen durch politische Ereignisse zurückgeführt. Mit | |
Kriegsbeginn brachen zwar die Tabakimporte für Zigaretten nicht ein, denn | |
in circa 95 Prozent aller Zigaretten steckten Orienttabake aus den | |
Hauptimportländern Griechenland, Bulgarien und der Türkei. Aber die | |
überseeischen Importe für Rauchtabak und Zigarren blieben aus und somit | |
sank die Qualität dieser Produkte umgehend. Damit setzt sich auch im | |
Zweiten Weltkrieg der Siegeszug der Zigarette fort, der im Ersten Weltkrieg | |
begonnen hatte. | |
Die Nazis versuchten die Versorgung der Volksgemeinschaft mit Tabak bis zum | |
Ende aufrechtzuerhalten, obwohl das „Verführungsgift“ Rauchen eigentlich | |
nicht zu einem „Heldenvolk“ passte. Können Sie diesen Widerspruch und die | |
Versuche, ihn aufzulösen, noch mal erläutern? | |
Das NS-Regime musste irgendwann priorisieren. Es gab die | |
Gesundheitsfraktion mit teils fanatischen Vertretern, organisiert im | |
„Deutschen Bund zur Bekämpfung der Tabakgefahren“. Tabak galt ihnen als | |
„Volksfeind wie Jud Süß“. Aber es gab auch das Reichsfinanzministerium, d… | |
als Einzieher der Tabaksteuern bis zum Schluss ein Freund der | |
Tabakindustrie blieb. Am Ende entschied das Propagandaministerium, und für | |
Goebbels war die Versorgung mit Tabakwaren „kriegswichtig“. Hatten die | |
fanatischen Tabakgegner also getönt, dass das jüdische Volk das deutsche | |
Volk mit Tabak vergiften wolle, so versorgten die Nationalsozialisten | |
gerade alle „Volksgenossen“ mit Tabak und schlossen nur die Juden | |
vollständig aus der rauchenden „Volksgemeinschaft“ aus. | |
Ab wann geschah das? | |
Endgültig ab 1. Februar 1942, mit der Einführung der | |
Reichsraucherkontrollkarte, die nur bekam, wer auch die Reichskleiderkarte | |
bekam. Juden erhielten diese nicht. Goebbels hatte, in seiner Rolle als | |
Gauleiter von Berlin, allerdings schon vorher verboten, dass Juden | |
Tabakgeschäfte betreten konnten. | |
Gibt es Zeugnisse, wie all jene, die aus der Volksgemeinschaft und damit | |
aus der Tabakverteilung ausgeschlossen waren, damit umgingen? Wurde in den | |
Lagern geraucht? | |
Das Versorgungssystem der Nationalsozialisten war höchst hierarchisch. | |
Stand am oberen Ende der kämpfende Soldat an der Front – wenngleich dies in | |
der Realität des Krieges manchmal anders aussah –, fand sich am unteren | |
Ende die jüdische Bevölkerung wieder. Dazwischen wurde nach Alter, | |
Geschlecht, „Rasse“ und „Leistungsfähigkeit“ differenziert. Auch für | |
Gefängnisse und Konzentrationslager waren die Kaffee- und Tabakrationen | |
geregelt. Doch die Verteilung der Genussmittel unterlag dort den Verwaltern | |
der Lager und endete oft in Willkür, bei denen all diejenigen zu kurz | |
kamen, die im Machtgefüge auf der schwächeren Seite standen. Für die | |
Verpflegung von Insassen vorgesehene Waren fanden sich teils auf dem | |
Schwarzmarkt wieder. | |
Mehr oder weniger gleichzeitig mit Ihrem Buch ist „Der totale Rausch. | |
Drogen im Dritten Reich“ des Schriftstellers Norman Ohler erschienen und | |
hat viel Aufmerksamkeit bekommen. Kein Wunder, geht es doch um „Nazis on | |
Speed“: Pervitin, Kokain und so weiter. Wie haben Sie die Rezeption dieses | |
Buches wahrgenommen? | |
Nun ja, sex sells. In dem Fall zeigte die Presse jedenfalls mehr Interesse | |
an Drogen im Titel als an Tabak und Kaffee. Im Kern versucht Ohler, wie | |
fast alle NS-Forscher, die Antwort auf die immer gleiche, quälende Frage | |
nach dem „Warum“ zu finden. Warum war das „Dritte Reich“ möglich? Warum | |
währte es so lange? Warum kollabierte es nicht von innen? Auch Drogen | |
spielten hierbei anscheinend eine Rolle. Ohler scheint jedoch manchmal zu | |
vergessen, dass auch er mittels seiner Arbeit zum Drogenkonsum nur einen | |
kleinen Puzzlestein, somit einen Teil zur Antwort, beitragen kann, statt | |
die Antwort selbst zu liefern. „Nazis on Speed“ ist übrigens der Titel | |
eines Buches, das bereits 2002 zum selben Thema erschienen ist. | |
Und was ist aus Ihrer Kaffee/Tabak-Perspektive die Antwort auf die Frage | |
nach dem Warum? | |
Mit den Sonderzuteilungen von Tabak und Kaffee nach Luftangriffen gelang es | |
dem NS-Regime, Fürsorge vorzutäuschen und die Stimmung aufzuhellen. Das | |
bürokratische Versorgungssystem trug wiederum dazu bei, dass die | |
Bevölkerung im Alltag beschäftigt blieb. Beides wirkte zu einem gewissen | |
Grad auch systemstabilisierend. | |
21 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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