| # taz.de -- Podcasts in Deutschland: Auf die Ohren | |
| > In den USA löste der Podcast „Serial“ einen Hype aus. Was ist davon in | |
| > Deutschland hängengeblieben? Wie präsent ist die Szene hier? | |
| Bild: Hört keine Bücher, hört Podcasts! | |
| Storytelling: Den Mord an dem jungen Berliner Burak Bektas konnte Jens | |
| Jarisch zwar nicht aufklären, dafür hat er aber eines der spannendsten | |
| Audioprojekte des zurückliegenden Jahres angestoßen. Jarisch ist Hörspiel- | |
| und Featurechef im rbb und hat zusammen mit dem Autoren Philipp Meinhold | |
| die neunteilige Reihe „Wer hat Burak erschossen?“ erarbeitet. Von Oktober | |
| bis vergangenen Donnerstag liefen die Folgen wöchentlich bei RadioEins und | |
| im rbb. | |
| Jarisch hatte schon lange vor, eine Podcast-Reihe zu produzieren. Dass sein | |
| Sender dem gerade jetzt zugestimmt hat, liege auch an dem Hype um „Serial“, | |
| glaubt Jarisch. „Während überall auf der Welt Podcasts entstanden sind, hat | |
| die ARD zunächst noch abgewartet“, sagt er. Die Senderverantwortlichen | |
| wüssten aber mittlerweile, dass Podcasts eine Möglichkeit sind, | |
| Radioinhalte viel weiter zu verteilen als bisher. Und mehr als das: „Manche | |
| Leute denken, Podcasts seien nur eine technische Frage: Wie stelle ich die | |
| Audiodatei zur Verfügung? Dabei geht es um viel mehr: Wie erzähle ich eine | |
| Geschichte so, dass die Leute sie immer wieder herunterladen? Dafür muss | |
| man seriell erzählen.“ | |
| Ähnlich sieht das Jana Wuttke. Sie ist Redakteurin von Deutschlandradio | |
| Kultur und hat im Sommer die Reihe „Mehr als ein Mord“ erarbeitet, die den | |
| Mord an dem Dresdner Asylbewerber Khaled Idris Bahray untersuchte. Acht | |
| Wochen lang hat eine Autorin in Dresden Freunde und Nachbarn des Eritreers | |
| gesprochen und den Prozess besucht. Ein Experiment, das nicht immer glatt | |
| verlief. „Wir hatten viele Hürden im Weg: mauernde Behörden, unzuverlässige | |
| oder ängstliche Interviewpartner“, sagt Wuttke. Trotz dieser Sackgassen | |
| eine spannende Geschichte zu stricken sei ihr manchmal schwergefallen. | |
| „Zudem gibt es im deutschsprachigen Raum kaum Vorbilder, die aktuellen | |
| Journalismus und künstlerische Erzählformen verbinden.“ | |
| Im Blog zu ihrer Sendung entwarf sie die Idee von „Writers Rooms“ für | |
| Podcasts, also einen Ort, analog zum Entstehungsprozess von Fernsehserien, | |
| an dem Drehbuchschreiber, Journalisten und Produzenten Geschichten | |
| entwickeln. Denn, das sagen sowohl Jarisch als auch Wuttke: In Deutschland | |
| fehlt die Erfahrung mit spannendem Audio-Erzählen. Das geht auch über die | |
| Stoffentwicklung hinaus: „Die Lockerheit einer Sarah Koenig gibt es in | |
| Deutschland einfach noch nicht“, meint Wuttke. Koenig war die Moderatorin | |
| von „Serial“, die in scheinbarem Plauderton von ihren Recherchen erzählte, | |
| ihre Zweifel und Moralfragen einflocht und gleichzeitig spannend | |
| berichtete. Denn auch das gehört zu gutem Storytelling. | |
| * * * | |
| Öffentlich-rechtliche: Ein Grund dafür, warum sich Podcasts in Deutschland | |
| langsamer entwickeln und weniger Hörer anziehen als in den USA, ist das | |
| öffentlich-rechtliche Radio. Die Sender sind stark und haben im Vergleich | |
| zu vielen anderen Ländern einen so hohen Wortanteil, dass viele Hörer dort | |
| das finden, was anderswo Podcasts liefern. Dazu kommt, dass die | |
| Öffentlich-Rechtlichen im Vergleich zu den Privatpodcastern das Geld und | |
| die Mittel für hochwertige Produktionen haben. | |
| Auch ein Blick auf die Liste der am häufigsten bei iTunes heruntergeladenen | |
| Podcasts zeigt, dass die Öffentlich-Rechtlichen dominieren: Unter den zehn | |
| ersten Plätzen sind sieben von öffentlich-rechtlichen Angeboten besetzt | |
| (wie zum Beispiel vom „Radio-Tatort“), einer von der britischen BBC und nur | |
| zwei von privaten Anbietern. | |
| Mittlerweile haben auch andere Plattformanbieter gemerkt, dass die | |
| Öffentlich-Rechtlichen die dominierenden Player in der deutschen | |
| Podcastszene sind. So kündigte der Musikstreamingdieenst Spotify zum | |
| Beispiel an, in Zukunft auch Podcasts anzubieten; er kooperiert dafür mit | |
| Deutschlandradio Kultur und dem Bayrischen Rundfunk. Gut für die Sender, | |
| schlecht für die Privatpodcaster, denen ein weiteres Vermarktungstool | |
| verloren geht (siehe Vermarktung). | |
| Andererseits betrifft der Sparzwang in vielen öffentlich-rechtlichen | |
| Häusern mittlerweile auch deren Podcastangebot: Im März dieses Jahres | |
| stellte WDR5, die Wortwelle des Westdeutschen Rundfunks, einige seiner | |
| Podcastangebote ein – weil die Abrufzahlen zu gering gewesen seien. | |
| Gerade weil es kaum Konkurrenz durch private Podcaster gab, haben die | |
| Öffentlich-Rechtlichen unter Podcasten lange eine Zweitverwertung ihrer | |
| Sendungen verstanden, die sowieso schon im Radioprogramm gelaufen waren. | |
| Das ändert sich langsam, auch durch den US-amerikanischen Podcast-Hype | |
| (siehe Storytelling). | |
| * * * | |
| ZuhörerInnen: Podcasts sind in Deutschland noch immer ein Nischenprodukt. | |
| Daran hat auch der Hype um die US-amerikanische Serie „Serial“ kaum etwas | |
| geändert. Der sei in Deutschland vor allem in Fachkreisen angekommen, also | |
| unter Journalisten und Leuten, die sowieso Podcast-begeistert sind, sagt | |
| Nele Heise, Kommunikationswissenschaftlerin aus Hamburg. | |
| Trotzdem hat sich die Zahl der Deutschen, die Podcasts hören, laut | |
| ARD/ZDF-Onlinestudie im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt: von 7 auf 13 | |
| Prozent. Unter den 14- bis 29-Jährigen ist das immerhin jeder Fünfte – aber | |
| im Vergleich zu anderen Webangeboten wie Musik oder Streaming nach wie vor | |
| wenig. | |
| Allerdings, sagt Tim Pritlove, einer der umtriebigsten Podcaster in | |
| Deutschland, gehe es vielen ProduzentInnen gar nicht um die große Masse von | |
| Zuhörern: „Podcasts sind ein Nischenmedium – und genau das ist ihre Stärk… | |
| Wir senden hochspezialisierte Formate für wenige, aber sehr gut informierte | |
| Hörer.“ | |
| * * * | |
| Laberpodcasts: Der typische deutsche Podcast beginnt so: Ein Mikro | |
| knistert, mit einem Plopp werden Flaschen geöffnet, und eine Männerrunde | |
| beginnt „loszulabern“, meist über Technik oder Nerdthemen. Nicht selten | |
| dauert diese Art Podcast Stunden. Zugegeben – das ist ein Klischee, aber | |
| genau darin stecken die Probleme der deutschen Podcastproduzentenszene. Sie | |
| ist männlich dominiert, beschäftigt sich mit Nischenthemen (archäologischen | |
| Funden, Verschwörungstheorien, Technik) und verzichtet auf das, was viele | |
| an den US-amerikanischen Vorbildern „Serial“ oder „This American Life“ … | |
| schätzen: spannendes Erzählen (siehe Storytelling). Deswegen werden | |
| deutsche Podcasts oft „Laberpodcasts“ genannt. | |
| Im vergangenen Jahr löste der Wired-Kolumnist Niklas Sema eine Debatte aus, | |
| als er sich über die Labertradition beschwerte: „Es ödet mich zu Tode an, | |
| dass wir bisher so gut wie nichts hinbekommen haben, was unseren | |
| Möglichkeiten auch nur im Ansatz gerecht wird … Die deutschen | |
| Podcast-Charts sind eine Aneinanderreihung von völlig vernerdeten | |
| Special-Interest-Themen, die vor allem viel Leerlauf zum Inhalt haben.“ | |
| Durch die deutsche Podcaster-Szene ging ein Raunen. Was Semak fordere, | |
| seien hochwertige Radioformate, für die deutschen Podcastern aber das Geld | |
| fehle (siehe Vermarktung), hieß es in diversen Blogs. Und immerhin, selbst | |
| der beliebteste und laut iTunes-Charts am häufigsten heruntergeladene | |
| Podcast ist ein Laberpodcast: „Sanft und Sorgfältig“ mit Olli Schulz und | |
| Jan Böhmermann, der im regulären Programm der ARD-Jugendwellen (siehe | |
| Öffentlich-Rechtliche) läuft. | |
| Dennoch beobachtet Podcast-Forscherin Nele Heise, dass der „typische | |
| Tecki-Laberpodcast“ ausstirbt: „Wenn sich Podcaster heute mit Netz und | |
| Technik beschäftigen, dann meist in Verbindung mit Kultur oder Politik.“ | |
| Das kommt, glaubt Heise, auch daher, dass sich die Produzentenszene langsam | |
| ausdifferenziert. Vor gut einem Jahr hat sie einen Aufruf gestartet, um | |
| weibliche Podcasterinnen zu vernetzen. Entstanden ist eine lange Liste von | |
| Frauen, die über Sachbücher (Alexandra Tobor: „In trockenen Büchern“), | |
| Stricken (Michaela Braun: „More than knitting“), Fußball (Stefanie Fiebrig: | |
| „Textilvergehen“) oder Feminismus (Antje Schrupp: „Aus Liebe zur Freiheit… | |
| podcasten. | |
| Wie viele deutsche Podcasts und Podcaster es gibt, ist schwer zu schätzen: | |
| Die Hörsuppe, ein öffentliches Podcast-Verzeichnis, listet 775 private | |
| Formate, die Website Podcast.de verzeichnet über 17.500 Podcasts; dort sind | |
| aber auch Videocasts, ausländische Angebote und Zweitverwertungspodcasts | |
| eingerechnet. | |
| * * * | |
| Vermarktung: In den USA ist die Podcast-Szene mittlerweile ein Business: | |
| Firmen schalten Werbung, Netzwerke vermarkten ihre Podcasts gebündelt an | |
| Werbepartner. In Deutschland gibt es all das nicht. Im Vergleich zu | |
| YouTubern, von denen einige mittlerweile ein Millionenpublikum erreichen | |
| und Werbeverträge einfahren, oder Bloggern, von denen einige mittlerweile | |
| einen professionellen Betrieb aufgebaut haben, ist Podcasten für viele noch | |
| immer eher Hobby als Geschäft. | |
| Große Firmen hätten Podcasts als Ort für zielgruppenspezifische Werbung | |
| noch nicht entdeckt, sagt Podcaster Tim Pritlove. Er selbst produziert die | |
| abonnierbaren Audiostücke seit 2005. Seit 2008 etwa kann er davon leben – | |
| aber nur, weil er Auftragsproduktionen übernimmt und Workshops hält. Die | |
| meisten deutschen Podcaster finanzieren sich über Spenden und Sponsoring. | |
| Viele, sagt Pritlove, wollen es auch gar nicht anders, weil hierzulande, | |
| anders als in den USA, eine starke Skepsis gegenüber Werbekunden herrscht. | |
| 24 Dec 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Anne Fromm | |
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