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# taz.de -- Film „Duke of Burgundy“: Rollenspiele um Dominanz und Macht
> Regisseur Strickland erzählt von einem lesbischen Paar. Ein Wunderwerk –
> auch, wenn sich die ambitionierte Eigenwilligkeit des Films etwas
> erschöpft.
Bild: Das System gerät erst ins Wanken, als eine dritte Gespielin hinzukommt: …
Die Begrüßung ist barsch: „Sie kommen spät“, sagt Cynthia, eine elegante,
stilvoll gekleidete Dame Ende 40, als sie Evelyn die Tür zu ihrem Landhaus
öffnet. Die Miene ist versteinert, die Atmosphäre eisig, der Grund für
Evelyns Kommen vorerst unklar. Hausarbeit soll die andere, ebenfalls bis in
die Spitzen ihrer aufwendigen Frisur elegante Dame erledigen, doch das
Anwesen scheint aufgeräumt und sauber, der Tonfall Cynthias zu despotisch,
ihre Forderungen scheinen willkürlich.
Schnell wird klar, dass es hier um etwas anderes geht als um das Porträt
eines Angestelltenverhältnisses – spätestens wenn uns Peter Strickland die
Handwäsche von Cynthias Dessous in magischen Nahaufnahmen zeigt, in denen
die Seifenblasen über den feinen Stoffen wie in Zeitlupe zerplatzen,
während der Soundtrack Erinnerungen an B-Movies der 70er wach werden lässt.
„Duke of Burgundy“ ist ein kleines Wunderwerk. Angefangen beim bewusst
irreführenden Titel, der mit der Bezeichnung des Herzogs und der
geografischen Verortung der Bourgogne zwei Fährten legt, die ins Leere
laufen: Herzöge oder überhaupt Männer kommen in Stricklands Universum nicht
vor, und wo der Film spielt, ist genauso rätselhaft wie seine Figuren.
Die dänische Schauspielerin Sidse Babett Knudsen und die italienische
Newcomerin Chiara D’Anna sprechen im Film betont artikuliertes, britisches
Englisch mit Akzent und lassen sich in ihrer phonetischen Künstlichkeit
genauso wenig definieren wie in ihrer Herkunft oder ihrer Geschichte.
Cynthia und Evelyn, das lässt sich im Ungewissen des Films mit Sicherheit
sagen, sind ein Liebespaar, dessen Alltag von sadomasochistischen
Rollenspielen um Dominanz und Kontrolle, Macht und Abhängigkeit bestimmt
ist. Ihre Routinen sind geplant, die Dialoge einstudiert, ihre Abläufe
repetitiv.
## Stabiles System ohne Außen
In der Systemtheorie bezeichnet „Selbstreferenzialität“ die Eigenschaft
eines sozialen Systems, sich dadurch zu stabilisieren, dass es sich nur auf
sich selbst bezieht und keine Verbindungen zu seiner Umwelt herstellt. In
solch einem selbstreferenziellen und stabilen System ohne Außen leben
Stricklands Figuren, deren Performances eine Welt herstellen, die sich
durch ihre ständige Wiederholung selbst produziert, ähnlich wie der Film
selbst. Erst als die Außenwelt in Form einer weiteren Gespielin in das
System Cynthia/Evelyn eindringt, gerät die stabile Lage und damit die
Beziehung der beiden ins Wanken.
Wie bereits in Peter Stricklands Film „Berberian Sound Studio“ ist „Duke …
Burgundy“ ein Film über Film geworden und damit ein weiteres in sich
geschlossenes System. Durch das Ausstellen und – analog zu den Handlungen
der Figuren – die Wiederkehr seiner filmischen Mittel (Zooms, Detail- und
Nahaufnahmen) erschafft Strickland eine Eigenwelt, die versucht, sich durch
Wiederholungen selbst zu erhalten. Das gelingt allerdings nur bedingt.
Die ambitionierte Eigenwilligkeit, mit der uns der Film zu betören sucht,
erschöpft sich nach gewisser Zeit und verliert, ähnlich wie die Routinen
seiner Figuren, ihre Dringlichkeit. Dass Künstlichkeit hier zu Kunst wird,
steht außer Frage, doch macht es sich Strickland mit seinem Fetisch des
Unerklärlichen auf Dauer etwas zu leicht. Die Schmetterlingsforschung
Cynthias und das damit verbundene filmische Faible für Insektenbilder etwa
bleiben in ihrer exaltierten Ausgestelltheit am Ende Selbstzweck.
Alles innerhalb des Films ist Inszenierung, doch hätte es dem Werk
gutgetan, sein System hin und wieder zu verlassen. Wer „Duke of Burgundy“
nicht im Kino gesehen hat, hat trotzdem etwas verpasst. Allein das ist
Verdienst genug.
3 Dec 2015
## AUTOREN
Toby Ashraf
## TAGS
Film
Kino
Serien
Arte
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