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# taz.de -- Die Wahrheit: Mörder auf der Retina
> In the eye of the crime: Die Forschung zur Fixierung des letzten Blickes
> stagniert global.
Bild: Griechische Forscher ließen 1975 todgeweihte Kaninchen auf Dias starren …
Der zuverlässigste Augenzeuge eines Mordes ist das Mordopfer selbst. Was,
wenn man den letzten Augenblick auf der Netzhaut des Getöteten wie ein
finales Foto fixieren könnte? Ein uralter Traum aller Kriminalisten und
Kriminologen würde Wirklichkeit. Genau das verheißt die Optografie, die
„Wissenschaft um die Fixierung des letzten Blickes“.
Der erste Mordfall, auf den diese vielversprechende Wissenschaft
zurückblicken kann, war 1699 der gewaltsame Tod eines Frosches, verursacht
von einem Jesuitenmönch. Dieser hatte den Lurch decapitiert (vulgo geköpft)
und auf der Netzhaut des getöteten Frosches ein rasch verschwindendes Bild
gesehen, das der Mönch als den letzten Blick des toten Tümpelbewohners
interpretierte.
Interessant daran ist, dass derart ein Mörder durch seine Tat eine
Wissenschaft begründen sollte, deren Idee es ist, Mördern das Handwerk zu
legen. Das widersprüchliche Phänomen des Mordens, um Mörder zu bekämpfen,
beschäftigt uns später. Der mörderische Mönch Christoph Scheiner tauchte
jedenfalls unbestraft unter und erst mal passierte noch nichts.
## Das Auge als biologische Kamera
Der Traum vom Auge als biologischer Kamera schien erst wahr zu werden, als
Franz Boll 1876 den Sehfarbstoff entdeckte, den er Rhodopsin oder Sehpurpur
nannte. Wie der verschwundene Mönch hatte Professor Boll Froschaugen
untersucht und dabei das rasche Ausbleichen der purpurfarbenen Netzhaut
beobachtet. Der Heidelberger Wilhelm Kühn entdeckte dann, dass bei
geköpften Kaninchen winzige Bilder auf der Netzhaut zu erkennen waren.
Der kühne Forscher schreckte danach noch nicht einmal davor zurück, die
Netzhaut eines geköpften Menschen zu untersuchen. Er bediente sich dabei
der Netzhaut eines Doppelmörders, der seine eigenen Kinder ertränkt hatte,
weil er sie nicht mehr ernähren konnte. Kühn erkannte auf der Netzhaut ein
trübes Optogramm, das „an dem trüben Märzmorgen etwa fünf Minuten sichtbar
blieb“.
Was er aber nun genau gesehen hatte, konnte er nicht herausfinden, trotz
„intensiver Suche im Exekutionsumfeld“ (Spiegel Online). Kühn hatte nun
aber genug nicht gesehen und ließ von weiteren Experimenten an Geköpften
ab. Die verbliebenen Kaninchen in seinem Labor konnten aufatmen.
Die Idee, mit Hilfe des letzten Augenblicks einen Mörder überführen zu
können, lebte allerdings weiter. Doch das sollte nur ein einziges Mal
funktionieren: Laut der Kuratorin der Ausstellung „Der letzte Blick“
gestand ein Verdächtiger eines achtfachen (!) Mordes 1924 im hessischen
Haiger die Taten, als Ermittler dem Täter erzählten, sie hätten
Netzhautbilder des Toten erstellt. Das waren noch Zeiten, als man mit
solchen schönen Tricks arbeiten konnte.
## Kaninchen starren auf Dias
Ein vorerst letztes Mal sollte die Optografie 1975 wiederbelebt werden, als
ein wahnsinniger griechischer Wissenschaftler zusammen mit einem
willfährigen Studenten eine neue Versuchsreihe an Kaninchen begann. Ein
Kriminalist hatte mit einer unbedachten Anfrage die erneute Mordserie im
Namen der Wissenschaft ausgelöst. Die zwei Forscher fixierten die
todgeweihten Tiere, die auf Dias starren mussten, bevor es um sie „für
immer dunkel wurde“ (Spiegel Online).
Die Netzhäute wurden auf Porzellankugeln aufgezogen und sollten die Bilder
zeigen, die die Tiere zuletzt gesehen hatten: Ein Schachbrettmuster und das
Bild des schnurrbärtigen Salvador Dali beispielsweise. Das funktionierte
angeblich, aber die Versuchsreihe stellte sich trotzdem als komplett unnütz
heraus.
Denn um an einem realen Tatort Anwendung zu finden, müssen für die
Optografie unsinnige Vorbedingungen herrschen: Das Opfer müsste seinen
Mörder in einem hellen Raum aus nächster Nähe anstarren und dieser müsste
die Blutzufuhr des Kopfes blitzschnell komplett unterbrechen und danach
möglichst rasch auch noch das Licht löschen. Das funktioniert natürlich
beispielsweise beim Köpfen, aber dabei wird sich der Täter in der Regel von
hinten nähern. Die Polizei müsste dann das Opfer innerhalb einer
Viertelstunde finden und zügig die Netzhaut konservieren.
Gut, das klingt jetzt wieder doch sehr realistisch zum Beispiel für einen
durchschnittlichen neuen IS-„Tatort“, da sollte es uns nicht wundern, wenn
es bald heißt „Börne und Alberich, übernehmen Sie!“
26 Oct 2015
## AUTOREN
KRIKI
## TAGS
Forschung
Wilhelm Busch
Garten
Großstadt
Schrumpfung
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