# taz.de -- BGH vor Grundsatzurteil: Kann Selbstverteidigung Terror sein? | |
> Die „Allgäuer Islamistin“ wollte sich in Syrien mit einer Waffe gegen | |
> Angriffe von Regierungssoldaten wehren. Zu prüfen ist, ob das als Notwehr | |
> gilt. | |
Bild: Muss sich erklären: die Angeklagte Andrea B., hier im Landgericht Münch… | |
KARLSRUHE taz | Eigentlich gilt Selbstverteidigung nicht als Terrorismus. | |
Was aber, wenn sich jemand in syrischen Rebellengebieten gegen Angriffe der | |
staatlichen Armee verteidigen will? Im Fall der „Allgäuer Islamistin“ | |
Andrea B. muss jetzt der Bundesgerichtshof ein Grundsatzurteil fällen. | |
Die junge Verkäuferin aus Immenstadt konvertierte 2012 zum Islam und | |
radikalisierte sich schnell. Im Internet lernte sie ein Paar kennen, das | |
aus Hessen stammte und jetzt in den syrischen Kampfgebieten lebte. B. | |
reiste 2014 ebenfalls nach Syrien und wurde zur Zweitfrau des Mannes. Mit | |
dabei hatte sie ihre beiden Töchter, damals drei und sieben Jahre alt. Der | |
Mann kämpfte zwar für die Nusra-Front, den syrischen Ableger von Al Qaida. | |
Andrea B. sagte später jedoch, sie habe nur humanitäre Hilfe leisten | |
wollen. Nachdem ihr die Lage in Syrien zu gefährlich wurde, kehrte sie nach | |
einigen Monaten zurück. | |
[1][Das Landgericht München verurteilte B. im Februar] zu einer | |
eineinhalbjährigen Bewährungsstrafe wegen Kindesentziehung. Der Vater der | |
Töchter, mit dem sie nicht mehr zusammenlebte, hatte sie angezeigt, weil | |
sie die Kinder ohne ihn zu fragen nach Syrien mitgenommen hatte. | |
Die Staatsanwaltschaft ging in die Revision. Sie wollte, dass Andrea B. | |
auch wegen „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ | |
verurteilt wird. B. hatte in Syrien Zugang zu Handgranaten und ihr Mann | |
unterwies sie auch im Gebrauch einer Kalaschnikow. Aus | |
Internet-Chatprotokollen wurde deutlich, dass sie bereit war, die Waffen | |
einzusetzen, wenn die syrische Armee angreift. | |
## Verteidigung oder Terrorakt? | |
Bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe ging es nun um die Frage, ob | |
auch solche Verteidigungshandlungen als Terrorakt gewertet werden können. | |
Die Bundesanwaltschaft bejahte dies. Eine Verteidigung gegen die | |
offiziellen syrischen Truppen sei nicht gerechtfertigt, denn diese | |
handelten rechtmäßig, wenn sie versuchen, von Rebellen besetztes Gebiet | |
zurückzuerobern. Die Nusra-Front könne sich auch nicht auf das Recht zum | |
Töten im Krieg berufen, denn sie sei weder ein Staat noch eine | |
antikoloniale Befreiungsgewegung, sondern eine Terrororganisation. | |
Verteidiger Jochen Rüter betonte dagegen, dass B. auf keinen Fall in Kämpfe | |
verwickelt werden wollte. Mit den Waffen habe sie nur ihr eigenes Leben und | |
das ihrer Kinder verteidigen wollen. „Wenn in Syrien Soldaten kommen, wird | |
nicht angeklopft, sondern gleich geschossen“, erklärte Anwalt Rüter, | |
gewaltfreie Selbstverteidigung sei dort nicht möglich. Rüter räumte ein, | |
dass B. in einer Chat-Nachricht geschrieben habe „Wenn die Ungläubigen | |
kommen, schieß ich ihnen mit der Kalaschnikow den Kopf ab“. Das sei aber | |
nur großsprecherisch gewesen. In Wirklichkeit habe sie mehrfach ihren | |
syrischen Wohnsitz gewechselt, um Gefahren aus dem Weg zu gehen. | |
Der Vorsitzende BGH-Richter Jörg-Peter Becker deutete an, dass Andrea B. im | |
Prinzip auch gegen Übergriffe syrischer Soldaten grundsätzlich ein | |
Notwehrrecht zugestanden hätte. Es sei jedoch zu prüfen, ob das | |
Notwehrrecht hier entfalle, weil sie sich absichtlich in die Gebiete der | |
Dschihadisten begeben habe. Das Urteil wird am 27. Oktober verkündet. | |
1 Oct 2015 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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