# taz.de -- Neue Software für Regionalzeitung: Zu wenig Leute, zu viele Geschi… | |
> Die „Rheinische Post“ bekommt einen Algorithmus, der Storys in sozialen | |
> Netzwerken aufstöbert. Konzerne nutzen ihn als Shitstorm-Alarm. | |
Bild: Einmal durchs Netz rennen und alles einsammeln. | |
Bis vor Kurzem war Christian Lindner der Digital-Babo unter den | |
Regionalzeitungsmachern. Der Chefredakteur der Koblenzer Rhein-Zeitung | |
wurde lange dafür belächelt, mitunter mehr zu twittern als zu reden. [1][Er | |
tweetet viel]: von „Chefredakteurs Freuden“ über „Chefredakteurs Leiden�… | |
bis zur „Hall of Fame“ der Schlagzeilen, die seine Leute kreiert haben. Am | |
Mittwoch hat er die Hall-of-Fame-Headline Nr. 2000 gepostet, allein das | |
zeugt von digitaler Kontinuität. Das alles hat sich gelohnt: Die abgelegene | |
Rhein-Zeitung gilt heute als innovatives Medienhaus. Jetzt aber stiehlt ihm | |
einer die Show: [2][Michael Bröcker]. | |
Bröcker leitet – ein paar Kilometer flussabwärts – die Rheinische Post. | |
Auch er hat das Digitale für sich entdeckt. Erst holte er sich mit Daniel | |
Fiene, der das Radiomagazin „Was mit Medien“ miterfunden hatte und sich | |
alle paar Tage in ein neues Technikspielzeug verguckt, einen | |
Nachhilfelehrer ins Haus. Dann tauchte der regionale Zeitungsmacher | |
plötzlich in Texas auf dem Digitalfestival „South by Southwest“ auf. Und | |
nun startet auch er sein eigenes Digitalprojekt: Die Rheinische Post | |
bekommt ein „Listening Center“. | |
Bröcker will mit dieser Einrichtung, die letztlich bloß eine Software ist, | |
so systematisch wie keine andere Redaktion im Land das Internet nach neuen | |
Geschichten durchforsten. „Wir sind zu wenig Leute für zu viele relevante | |
Geschichten da draußen“, sagt der Chefredakteur. Seine Redaktion solle | |
„besser zuhören, was Leute interessiert“. | |
Natürlich haben Redaktionen auch in den vergangenen Jahren schon ins Netz | |
geschaut, viele sogar mit speziellen Social-Media-Redakteuren. Sie mussten | |
sich dabei allerdings stets darauf verlassen, dass sie auch ja die | |
entscheidenden Profile auf dem Schirm hatten. Die neue Software | |
durchforstet hingegen alle Einträge, die Nutzer – mehr oder minder bewusst | |
– öffentlich auf Twitter, Facebook und Co stellen. | |
## Frühwarnsystem vor Shitstorms | |
„Das Programm erkennt zum Beispiel, wenn ein Inhalt in unserer Region | |
häufig geteilt wird – etwa, weil der Nutzer einen schweren Unfall | |
fotografiert hat“, erklärt RP-Redakteur Fiene, der inzwischen als „Chief | |
Listening Officer“ durch die Redaktion läuft. Dass diese Bezeichnung nun | |
bei der RP Einzug hält, ist nur folgerichtig, ist doch die Software, die | |
Bröcker für mehrere tausend Euro lizenziert hat, bei Konzernen im Einsatz, | |
die das System vor allem als „Shitstorm-Alarm“ benötigen. Wie etwa in der | |
Deutschland-Zentrale von Vodafone. Das digitale Radar meldet sich, wenn mal | |
wieder ein Blogger über schlechten Service klagt und das im Netz auch noch | |
auf Interesse stößt. | |
RP-Chefredakteur Bröcker plant mit dem Algorithmus eine kleine Revolution: | |
Jeder seiner Redakteure soll einen persönlichen Zugang bekommen und | |
mindestens jede Abteilung eine personalisierte Sicht. Ruft er das Werkzeug | |
auf, dann sieht er, wer wie über seine Zeitung twittert und facebookt, und | |
kann sich bei Bedarf rasch einklinken, dagegenhalten oder applaudieren. | |
Lokalredaktionen wiederum sehen vor allem Beiträge, die vor ihrer | |
Redaktionstür „viral gehen“, also die Runde machen – wie auf einem | |
digitalen Marktplatz. Das funktioniert vor allem dann, wenn Nutzer den Apps | |
der sozialen Netzwerke gestatten, ihren Standort abzugreifen. Die Redaktion | |
füttert den Algorithmus aber auch mit eigenen Suchbegriffen und außerdem | |
mit einer Grundmenge an relevanten Profilen, deren Fangemeinde der | |
Algorithmus wiederum bei seinen Streifzügen durch die Weiten des Internets | |
besonders berücksichtigen soll. | |
Bröcker erzählt, dass sein neues Programm 25.000 Suchanfragen pro Minute | |
bearbeiten kann. „So weit ist die Technik“, sagt der Chefredakteur. Betont | |
lässig. „Und so wie wir ständig die Lage bei den Nachrichtenagenturen | |
checken, schauen wir jetzt eben auch ins Netz.“ | |
11 Oct 2015 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/RZChefredakteur | |
[2] https://twitter.com/MichaelBroecker | |
## AUTOREN | |
Daniel Bouhs | |
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