| # taz.de -- Internetarchiv-Gründer zu Netzsicherheit: „Eine lange und üble … | |
| > Brewster Kahle betreibt seit 20 Jahren das Internetarchiv, in dem | |
| > Milliarden Websites gespeichert sind. Seine Gegner sind Regierungen und | |
| > Unternehmen. | |
| Bild: Einige der Kategorien im Internetarchiv. | |
| taz: Herr Kahle, vor gut 20 Jahren haben Sie das Internetarchiv gegründet. | |
| Inzwischen finanzieren Sie Wohnungen und sagen, dass sei im Prinzip | |
| ähnlich. Wie das? | |
| Brewster Kahle: Ich interessiere mich für nachhaltige Systeme und beide | |
| dieser Projekte zielen darauf ab, etwas Nachhaltiges aufzubauen. Die USA | |
| haben sich seit meiner Kindheit stark verändert – damals hat die Regierung | |
| noch Bibliotheken selbst gebaut. Jetzt betreibe ich seit 1996 eine | |
| Bibliothek des Internets. Unser Wohnprojekt zielt darauf ab, dass unsere | |
| Angestellten sich nicht verschulden – nachhaltiges Wohnen, gewissermaßen. | |
| Der größte Teil der Ausgaben von Internetarchiv ist für Löhne und wir haben | |
| festgestellt, dass davon ein großer Anteil dafür verwendet wird, Kredite | |
| für Wohnungen abzuzahlen. Wir dachten uns, dass wir nicht mit so viel Mühe | |
| Geld sammeln müssen, um die Zinsen von Banken zu bezahlen, und haben | |
| deshalb eine Kreditgenossenschaft für unsere Angestellten gegründet. All | |
| diese Dinge habe ich vom Internet gelernt. Jetzt hacken wir das | |
| Wohnungssystem! | |
| Ging das nicht anders? | |
| Das Banksystem in den USA bewegt sich in die falsche Richtung. Jedes Jahr | |
| werden Hunderte kleine Kreditgenossenschaften geschlossen und nur eine | |
| Handvoll neue genehmigt. Was ich aber vom Internet gelernt habe, ist: Es | |
| lohnt sich, dezentralisierte Systeme zu bauen, die sind stabiler. Das | |
| machen wir im Internetarchiv, zum Beispiel wenn wir Filme über Bittorrent | |
| zur Verfügung stellen und auf Wunsch unsere Angestellten in Bitcoin | |
| bezahlen. | |
| Ist das Internetarchiv nicht gerade ein Beispiel für Zentralisierung? Sie | |
| wollen dort das ganze Wissen der Menschheit sammeln und sprechen von der | |
| Bibliothek von Alexandria 2.0. | |
| Es soll eine bessere Version der Bibliothek von Alexandria werden. Das | |
| einzige, was die meisten Menschen über die erste wissen, ist, dass sie | |
| brannte und deshalb all dieses Wissen verloren ging. Bibliotheken sind | |
| derzeit in einer Umbruchsphase. Viele wissen nicht, wie sie mit digitalen | |
| Informationen, die sich ständig verändern, verfahren sollen. Wir machen das | |
| vor, aber wir arbeiten auch mit vielen zusammen, um diesen Übergang zu | |
| gestalten. Wir digitalisieren ihre Bestände oder helfen ihnen, ähnliche | |
| Dienste wie unsere aufzubauen. Wir sind eine Bibliothek unter vielen. | |
| Bei ihrem Versuch, Bücher, Filme, Musik und sogar Computerspiele allgemein | |
| zugänglich zu machen, haben Sie auch immer wieder Schwierigkeiten bekommen. | |
| Der Staat wollte gerne Ihre Nutzerdaten haben und Firmen wollen verhindern, | |
| dass ihre Inhalte kostenlos abrufbar sind. | |
| Ja, wir haben mal einen ‚National Security Letter‘ vom FBI bekommen und | |
| sollten alle Verbindungsdaten von unseren Nutzern bekanntgeben – also wer | |
| wann was abgerufen hat. Aber zu überwachen, was die Leute lesen, hat eine | |
| lange und üble Tradition, wie man in Deutschland weiß. Wir haben deshalb | |
| die Regierung verklagt – und gewonnen! Es werden hunderte solche Briefe | |
| rausgeschickt und bisher wurden nur drei zurückgenommen, also unserer und | |
| die von zwei anderen Institutionen. | |
| Mit den Firmen ist das eine andere Sache. Wir versuchen zu respektieren, | |
| dass Leute mit diesen Dingen Geld verdienen wollen und agieren deshalb ganz | |
| transparent: Wir sagen, „schaut her, wir sind gemeinnützig und wollen hier | |
| kein Geld verdienen” und versuchen zu erklären, was unser Anliegen ist. Wir | |
| sprechen die ursprüngliche Motivation von Menschen an. Niemand arbeitet bei | |
| Buchverlagen um viel Geld zu verdienen, man arbeitet dort um von Büchern | |
| umgeben zu sein. Und viele Leute freuen sich, dass wir ihre Arbeit erhalten | |
| wollen. | |
| Wie bekommen Sie das hin? | |
| Wir suchen uns ein System in jeder Branche, das funktioniert. Bei | |
| Internetseiten archivieren wir einfach alles, außer wenn wir verpflichtet | |
| werden, Inhalte zu entfernen. Das sind wöchentlich eine Milliarde Websites. | |
| Für Bücher, die noch nicht gemeinfrei sind, haben wir ein digitales | |
| Verleihsystem entwickelt. Fernsehen kann man sich in | |
| Ein-Minuten-Ausschnitten anschauen und ganze Sendungen als DVDs kaufen. Wir | |
| haben eine Plattform programmiert, auf der alte Computerspiele jetzt im | |
| Browser gespielt werden können. Da haben wir alles hochgeladen, bis uns | |
| dann die Firmen anriefen und sagten: „Hej, das verkaufen wir doch noch!” | |
| Dann nahmen wir es wieder runter, aber 95 Prozent sind noch da. Es geht uns | |
| ja darum, dass es für alle einen Zugang zu Informationen gibt – das muss | |
| nicht kostenlos sein. | |
| Und interessiert die Leute das? | |
| Wir haben täglich zwei bis drei Millionen NutzerInnen. Das alte Zeug | |
| fasziniert Leute. Ich finde, eine Bibliothek sollte alles beinhalten, damit | |
| man Sachen lernen kann. Leute lernen von irgendwelchen Sachen, die sie im | |
| Netz finden – und wenn sie nicht im Netz sind, ist es, als würden sie nicht | |
| existieren. Deswegen sollten wir das Beste, das wir anzubieten haben, in | |
| Reichweite unserer Kinder stellen. Mein Traum ist universeller Zugang zu | |
| allem Wissen. Lasst uns mehr tolles Zeug hochladen! Das könnte der Beitrag | |
| unserer Generation zur Welt sein. | |
| Ihr Name „Internetarchiv“ ist ja nicht übertrieben. Die Website ist der | |
| Ort, an dem man alte Versionen des Netzes nachlesen kann. Ist das nicht | |
| eher eine Aufgabe für den Staat statt für eine private Stiftung? | |
| Also die Aufgabe haben wir erfunden, die gab es vor uns nicht. Und klar, | |
| ich fände es super, das alles nicht mehr machen zu müssen, wenn Regierungen | |
| und öffentliche Bibliotheken das machen würden. Aber die können oder wollen | |
| das nicht. Wir haben mal der „Library of Congress“, der Bibliothek des | |
| US-Parlaments, eine Kopie vom Internetarchiv geschenkt, eine Skulptur mit | |
| vier Bildschirmen, die ständig irgendwelche Websites zeigen. Es hat 18 | |
| Monate gebraucht, bis sie die angenommen haben. Vorher wollten sie, dass | |
| wir ein Dokument unterschreiben, dass wir die Rechte an all den Inhalten | |
| dort haben – wir haben sie dann überzeugen können, dass wir das nicht | |
| brauchen. | |
| Sie schlagen inzwischen ein neues dezentralisiertes System vor: [1][das | |
| Netz permanent „aufzuschließen“]. Wie meinen Sie das? | |
| Seit den Snowden-Enthüllungen merken wir, dass wir zu gutgläubig gegenüber | |
| Regierungen waren. Sie machen Dinge mit dem Internet, mit denen viele | |
| Menschen nicht einverstanden sind, oder die schlicht illegal sind. Man muss | |
| sich gut überlegen, was man sagt und davon ausgehen, dass man ausspioniert | |
| wird. Manche Länder blockieren manche Seiten komplett. Und das müssen wir | |
| ändern. | |
| Das Netz ist zurzeit nicht sicher, nicht privat, macht aber Spaß. Wir | |
| sollten das Netz so neubauen, dass es Spaß macht, aber auch sicher ist und | |
| die Privatsphäre schützt. Mein Vorschlag wäre ein dezentrales Netz, in dem | |
| Inhalte nicht nur an einer Stelle vorgehalten werden, sondern an vielen. | |
| Wenn jemand dann versucht sie an dieser Stelle zu löschen, kann man sie | |
| irgendwo anders abrufen. Sie würden ihr Leben überall und nirgendwo führen. | |
| Glauben Sie, wenn so etwas entwickelt würde, würden das diese Regierung | |
| zulassen? | |
| Regierungen sind große Organisationen mit vielen verschiedenen Interessen. | |
| Das US-Außenministerium finanziert beispielsweise TOR, ein System mit dem | |
| man sich zumindest teilweise vor der Spionage der NSA entziehen kann. Seit | |
| Snowden tut sich technisch schon vieles – verschlüsselte E-Mails, mehr | |
| Websites nutzen https – aber noch nicht genug bei Gesetzen. Das muss sich | |
| ändern. | |
| 15 Sep 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=ubxWu0kne84 | |
| ## AUTOREN | |
| Lalon Sander | |
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