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# taz.de -- Hilfsaufruf: Stau vor Schweden
> Die Stadt Kiel ruft ihre Bürger auf, Flüchtlinge privat unterzubringen.
> Lage am Fährterminal etwas entspannter.
Bild: Traumziel Schweden: Flüchtlinge auf einer Fähre nach Kiel.
Kiel taz | Am Kieler Bahnhof herrscht die Ruhe zwischen zwei Anstürmen: Nur
ein junger Syrer steht am Informationstisch, den das Netzwerk
Antirassistische Arbeit Kiel (Nara) am Rande der Gleise aufgebaut hat, und
hält seine angeschwollene Wange: Zahnschmerzen. Nach einem Gespräch auf
Arabisch mit dem ehrenamtlichen Dolmetscher dankt er und geht davon.
Die Nara-Aktivisten können durchatmen – nach einem Wochenende, in dem in
Kiel die Betten für Flüchtlinge auf dem Weg nach Skandinavien knapp wurden
und einem Vormittag, an dem weitere 150 Menschen per Zug eintrafen. Am
Wochenende war die Lage so angespannt, dass Oberbürgermeister Ulf Kämpfer
(SPD) per Facebook die Bevölkerung dazu aufrief, Flüchtlinge privat
unterzubringen.
Vor dem Bahnhof fällt Nieselregen und lässt die Stadt noch grauer
erscheinen als sonst. Der Weg zu den Fährterminals am Schwedenkai beträgt
nur einige Hundert Meter, aber dort endet für viele Flüchtlinge erst einmal
ihre Reise: Es fehlt an Tickets für die Weiterfahrt nach Göteborg. Am
Sonnabend kam es zu starken Engpässen, weil die Fähren durch
Wochenend-Ausflügler belegt waren. Da Familien, Schwangere, Alte und Kranke
vorgezogen werden, sitzen besonders allein reisende Männer sitzen oft
tagelang fest – die Stimmung ist gereizt.
Untergebracht werden die Transitflüchtlinge in Notbetten im Hafen. Als das
Terminal am Wochenende für die Abfertigung von Reisenden gebraucht wurde,
mietete die Stadt von der Fährlinie Stena Holland für einen Euro die
„Markthalle“, ein leerstehendes Lokal in der Nähe des Hafens, und eröffne…
eine Notunterkunft für rund 300 Menschen. Am Sonnabend hieß es, die
Unterkunft sei voll, Männer würden nicht mehr aufgenommen: „Nur ein
Gerücht“, sagt der Einsatzleiter der Polizei am Fährterminal.
„Am Sonntag war die Lage schon deutlich entspannter“, sagt Annette
Wiese-Krukowska, Sprecherin der Landeshauptstadt. Sie betont, dass der
Aufruf des Bürgermeisters kein „Hilferuf“ gewesen sein. „Wir wollten nur
signalisieren, dass es in Kiel eng wird, damit nicht mehr so viele Leute
von Hamburg weitergeschickt werden.“
Das habe auch gut funktioniert: Der Andrang habe merklich nachgelassen, die
Markthalle sei in der Nacht zu Montag nur gut zur Hälfte belegt gewesen.
Über die Bereitschaft vieler Privatleute, Flüchtlinge zu beherbergen, freue
sich die Stadt dennoch. „Wir bauen unsere Hilfe nicht auf Privatinitiative
auf – aber gerade für Schwangere oder Familien ist ein Gästezimmer sicher
schöner als eine Sammelunterkunft“, sagt Wiese-Krukowska.
Die Ehrenamtlichen von Nara sehen die Lage kritischer. „Es läuft nicht
rund, die Stadt redet nicht mit uns“, sagt einer der Aktivisten am Bahnhof,
der wie alle Nara-Mitglieder seinen Namen nicht nennen möchte. Rund 80
Personen seien bei Nara aktiv, die im Schichtbetrieb die Anlaufstelle am
Bahnhof betreiben und ständig in den Unterkünften präsent sind.
Auch für Essen und Übersetzungen sorgen die Ehrenamtlichen. Den Aufruf des
Bürgermeisters, Gästezimmer zu öffnen, sehen die Aktivisten kritisch: Die
Stadt könne nicht kontrollieren, wer sich melde und wohin die Flüchtlinge
gehen. Da es bereits Hetzparolen und Drohungen gegeben habe, könne das
sogar gefährlich werden.
Stadt-Sprecherin Wiese-Krukowska sagt dazu: „Die Stadt tritt nicht als
Vermittlerin auf, sondern überlässt es den Kielern, solche Angebote zu
machen, und den Flüchtlingen, sie anzunehmen.“ Sicher ließen sich
Schreckensszenarien konstruieren – aber in der Regel würden sich normale,
hilfsbereite Menschen melden. Auch Bürgermeister Kämpfer und seine Frau,
die Grünen-Landtagsabgeordnete Anke Erdmann, nahmen eine Familie auf.
Von Kommunikationsproblemen sprechen alle Seiten. Der Einsatzleiter der
Polizei wählt seine Worte sorgsam: Viele Freiwillige „scheinen nicht darauf
zu vertrauen, was wir planen“. Daher würden „nach eigenem Ermessen
Empfehlungen an die Flüchtlinge ausgesprochen“. Ein Nara-Sprecher meint:
„Man muss einfach miteinander reden.“ Das soll nun geschehen, verspricht
Wiese-Krukowska: „Wir richten einen runden Tisch ein, an dem alle
Helfergruppen, auch Nara, eingeladen sind.“
21 Sep 2015
## AUTOREN
Esther Geißlinger
## TAGS
Flüchtlinge
Kiel
Fähre
Flüchtlinge
Fähre
Schwerpunkt Flucht
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